Lasst uns Paradiese pflanzen!. Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen! - Timm Koch


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verwandelt, wie man aus Milch Käse gewinnt und wie man aus Stachelbeeren Marmelade macht. All dies gab den Höfen Nahrung und Einkommen und damit Resilienz gegen fast alle Unbilden der Zeitenläufe.

      Mit der in den 1960er-Jahren einsetzenden sogenannten grünen Revolution wurde aus dem Bauernhof ein landwirtschaftlicher Betrieb und damit ein Fall für die Lehre der Betriebswirtschaft.

      Die Rolle der Diversifikation in der Betriebswirtschaftslehre sieht folgendermaßen aus: Es gibt eine vertikale und eine horizontale Variante. Bei der horizontalen erweitert etwa ein Kaffeeröster, der vorher nur eine Sorte Bohnenkaffee im Angebot hatte, seine Produktpalette um Espresso, Crema, Mokka etcetera. Bei der vertikalen Variante hingegen verkauft derselbe Kaffeeröster auch noch Schlafanzüge, Dosenöffner und Damenslips. Übertragen auf die Landwirtschaft hieße das, dass ein Bauer, der ursprünglich nur Kühe gehalten hat, seine Produktpalette horizontal um anderes Vieh erweitern kann und auch noch Schafe, Ziegen und Schweine hält, oder sich vertikal diversifiziert und daneben Kartoffeln, Äpfel und Kohlgemüse in sein Verkaufssortiment aufnimmt. In der Betriebswirtschaftslehre wird im Spannungsfeld zwischen Spezialisierung und Arbeitsvereinigung bei Unternehmensgründungen erst einmal zur Fokussierung geraten, während gewachsene Unternehmen durchaus zur Diversifizierung ermuntert werden. In der Agrarökonomie hat man es also genau verkehrt herum gemacht. Hier wurde gewachsenen Betriebsstrukturen eine Spezialisierung geradezu aufgezwungen. Im Extremfall produziert der ehemalige, biodivers aufgestellte Bauernhof mithin nur noch Hühnerküken, von denen die weiblichen Tiere nach dem Schlüpfen an einen anderen Spezialisten geliefert werden, der sich dann um die Eierproduktion kümmert, während man die männlichen Küken kurzerhand in den Schredder wirft.

      Ich selbst stamme nicht von einem Bauernhof, hatte aber das Glück, in einem Haus mit großem Garten aufwachsen zu dürfen. Selbstversorgung mit Obst und Gemüse war bei uns etwas völlig Selbstverständliches. Meine Großeltern gaben ihr gärtnerisches Wissen, mitsamt dem Enthusiasmus, den es braucht, dieses Wissen anzuwenden, weiter an meine Eltern, diese wiederum an meine Brüder und mich, und wir versuchen, es an unsere Kinder weiterzugeben. Zu unserem Garten gehörten und gehören auch Hühner. Heute kümmert sich fast ausschließlich meine Mutter um diese interessanten und nützlichen Vögel. In meiner Kindheit hingegen gehörte es zu den morgendlichen Pflichten meiner Brüder und mir, mit einer kleinen Schaufel das Kackbrett sauberzukratzen, eventuell vorhandene Eier einzusammeln, die Hühner zu füttern und ihnen Wasser zu geben. Abends mussten wir die Klappe zumachen. Wenn wir es vergaßen, und Meister Reineke kam zufällig des Weges, war es aus mit den Hühnern und unter großem Wehgeschrei musste eine neue Herde beschafft werden. Unsere Legehennen durften schon immer Würmer und Insekten picken, durften sich mausern, Glucken werden und ihre Küken großziehen. Sie haben jede Menge Auslauf, reiche Deckung aus Bäumen und Sträuchern, immer mindestens einen Hahn bei sich und dürfen schließlich – solange sie nicht Opfer von Habicht, Marder oder Fuchs werden – im hohen Alter von sieben, acht oder auch neun Jahren tot von der Stange fallen.

      Mit wesens- und artgerechter Hühnerhaltung kennen wir uns also aus. Sie ist schön und macht Spaß. Die Tiere scheinen mir sehr intelligent zu sein. Sie haben ganz unterschiedliche Charaktere, ein ausgeprägtes soziales Gefüge und wachsen einem schnell ans Herz. Die meisten Hennen sind aufopferungsvolle Mütter, andere geben sich mit dem Nachwuchs weniger Mühe. Während junge Hähne zum Rabaukentum neigen, sind alte Hähne oft gesetzte Herren, die sich mit voller Hingabe ihrer Hühnerschar widmen. Sie sind es, die stets ein Auge gen Himmel gerichtet haben, um rechtzeitig vor der Habichtattacke warnen zu können, damit die Hennen mit ihren Küken in Ruhe der Nahrungssuche nachgehen können. Im Winter legen die Hühner wenig Eier, im Sommer legen sie viele. Die jugendlichen Rabauken werden meist im Alter von fünf oder sechs Monaten geschlachtet. Sie schmecken, genau wie die Eier der Hennen, um Meilen besser als ihre bemitleidenswerten Artgenossen aus der konventionellen Mast.

      Diese folgt der Logik von Spezialisierung und Arbeitsteilung: Ein Betrieb produziert Zuchthennen, ein anderer brütet die Küken aus, ein dritter hat sich auf Masthähnchen spezialisiert, ein vierter auf die Eierproduktion und ein fünfter betreibt eine Biogasanlage, in der die abgewirtschafteten Legehennen nach circa eineinhalb Jahren zu elektrischem Strom »veredelt« werden. Sie dürfen nicht in die Mauser, weil sie in dieser Zeit weniger Eier legen und ihr Leben sich dann nicht mehr rechnet.

      Als Gäste aus Mexiko bei uns zu Besuch waren, feierten wir unser Wiedersehen mit einem Topf Mole. Das Wort Mole hat seinen Ursprung in der Aztekensprache Nahuatl, genau wie im Deutschen die Worte Tomate und Schokolade. Das Gericht ist eine Art Sauce, die in den verschiedenen Regionen Mexikos sehr unterschiedlich ausfallen kann. Gemeinsam haben sie die große Vielzahl verschiedener Zutaten, je nach Rezept sind es für die Mole zwischen 35 und 75. Diese Vielfalt ist nicht überraschend, denn Mexiko liegt in Mesoamerika, einem Hotspot der Biodiversität, in dem mehr als 17 000 Pflanzenarten vorkommen. Mole wird hier als eine Art Paste auf den Märkten verkauft. Für das fertige Gericht braucht es dann noch eine kräftige Hühnerbrühe, mit der diese Paste angerührt wird. Das Suppenhuhn landet am Ende fachgerecht zerlegt als Fleischbeilage mit auf dem Teller. Dazu gibt es Reis und natürlich Tortillas. Am leckersten schmeckt die Mole, wenn man sie in einem irdenen Topf serviert. Wie es der Zufall wollte, hatte ich noch eines unserer Hähnchen in der Tiefkühltruhe. Leider wären wir von einem Hähnchen aber nicht satt geworden. Im Supermarkt gab es keine Bio-Hähnchen. Deshalb kauften wir eins aus konventioneller Mast. Es kostete nur wenige Euro. Als das Hähnchen, das ich selbst geschlachtet hatte, aufgetaut war, roch es frisch und sauber nach Huhn. Als wir dagegen das Masthähnchen aus seiner Plastikverpackung holten, roch es unangenehm. Obwohl es bestimmt ganz frisch war, haftete ihm ein schwer zu beschreibender, unangenehmer Geruch an. Als ich es gegenüber meiner Frau bemerke, sagt sie: »Das arme Ding hatte ein Scheißleben und musste sterben, damit wir satt werden können. Jetzt rede nicht auch noch schlecht von ihm.«

      Damit hat sie natürlich einerseits recht, was den Respekt vor der Kreatur angeht. Andererseits finde ich, dass man über diese Dinge nicht schweigen darf. Als sie, nach allen Regeln mexikanischer Kochkunst letztendlich auf unseren Tellern lagen, hätte der Unterschied zwischen den beiden Tieren nicht größer sein können. Das Hähnchen meiner Mutter wartete mit dunklem, festen Muskelfleisch auf. Es war zart, hatte aber dennoch einen gewissen Biss und viel Geschmack – fast schon wie Wild. Das andere war weich und labberig, ohne wirkliche Textur und schmeckte immer noch ein wenig so, wie es von Anfang an gerochen hatte.

      Viel tiefer will ich in diese Materie nicht eintauchen. Die perversen Auswüchse der modernen Massentierhaltung sind bekannt. Sie geschehen weder zum Vorteil der Menschen, die von schlechter Nahrung genauso krank werden können wie das arme Huhn aus dem Großstall krank wäre, würde man es nicht mit Antibiotika vollpumpen. Nur so kann es die wenige Tage Leben, die der Mensch ihm gönnt, ohne ernsthafte Infektionen überstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass kommende Generationen wegen unseres Umgangs mit unseren Nutztieren mit derselben Abscheu und demselben Unverständnis auf uns blicken werden, mit der wir heute jene Vorfahren betrachten, die das grausame Geschäft der Sklaverei betrieben haben. Der Wille dazu, all dies zu ändern, ist in großen Teilen unserer Gesellschaft Konsens. Allein, es fehlen die Konzepte. Selbst in Betrieben, die nach Demeter-Maßstäben arbeiten, kommen die Küken aus dem Brutschrank und müssen ohne Mutter aufwachsen. Auch in Biobetrieben sind Hühner eine gesichtslose Masse, ohne wirklichen Anspruch auf ein lebenswertes Leben und nur dazu da, dem Menschen Nahrung zu sein und Profit zu erbringen.

      Schuld an den Auswüchsen und Grausamkeiten der industrialisierten Landwirtschaft sind in erster Linie weder die Bauern noch die gierigen Banker im Hintergrund noch die Maschinenbauer, die die Traktoren liefern, und auch nicht die chemische Industrie, die das Gift und den Kunstdünger beisteuert. In Wahrheit sind die Schul­digen jene Betriebswissenschaftler, welche die Grundgedanken »Spezialisierung und Arbeitsteilung« – die bei technischen Abläufen mit unbelebter Materie ja funktionieren mögen – auf Ökosysteme anzuwenden suchten. So schuf man Eintönigkeit, wo vorher Vielfalt herrschte. Bewährte bäuerliche Betriebsweisen, die stets Ertrag abgeworfen hatten, wurden an den künstlichen Tropf staatlicher Förderung gehängt und unrentabel gemacht.

      Millionenfach in Brutkästen gezüchtete Hybridhühner gibt es erst seit den 1960er-Jahren. Vorher lebte die bunte Vielfalt der Hühner dieser Welt mehr oder weniger so wie die Hühner meiner Mutter. Viele Betriebswirtschaftler


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