Lasst uns Paradiese pflanzen!. Timm Koch

Lasst uns Paradiese pflanzen! - Timm Koch


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ist rein. Im Paradies wird unser Vieh nicht gequält und die Menschen sind glücklich. Paradies bedeutet die Abwesenheit von Hölle. Zum Paradies gehören Bäume. Viele Bäume. Viele unterschiedliche Bäume. Die wichtigsten Bäume sind jene, die Früchte tragen, die nahrhaft sind und die wir gut verwerten können. Wenn wir uns von den Bäumen unserer Paradiese nähren, wird die Mühsal des Ackerns mehr und mehr überflüssig werden. Die Arbeit der Landwirte wird in der Hauptsache aus Ernte bestehen.

      Wem das zu sehr nach Utopie klingt, dem kann ich versichern: Die Natur und die menschliche Tatkraft machen solche Paradiese möglich. Schlaue Konzepte für ihre Umsetzung sind vorhanden und im Gegensatz zur industrialisierten Landwirtschaft meist seit alters her sehr bewährt. Im weiteren Verlauf dieses Buches werde ich die Permakultur, den Waldgarten, einige Agroforstsysteme und die Feld-Baum-Wirtschaft vorstellen und ausgiebig auf sie eingehen. Egal ob Mensch, Pflanze, Tier oder unbelebter Stein, unsere gemeinsame Reise durch das Meer der Zeit kennt nur eine Richtung: die Zukunft. Dennoch tun wir gut daran zu versuchen, aus vergangenen Zeiten zu lernen und das Erlernte mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen. Nur so können wir die Zukunft mit all ihren Ungewissheiten so gestalten, dass sie irgendwann tatsächlich unseren Ideen und Wünschen entspricht.

      An selbst gepflanzten Bäumen können wir den Wahrheitsgehalt dieser Binsenweisheit besonders gut erkennen. Als meine Frau und ich vor rund zwanzig Jahren in das Fachwerkhaus einzogen, das unser Zuhause werden sollte, war unser Innenhof an heißen Sommertagen ein unangenehmer Ort ohne Schatten. In den ersten Jahren nach unserem Einzug pflanzte ich dort drei exotische Bäume, die eigentlich im Mittelmeerraum, beziehungsweise in China beheimatet sind: eine Feige, eine Schwarze Maulbeere und eine Kaki. Im klimatisch begünstigten Rheintal gedeihen sie ohne Probleme. Heute ist der Hof während der heißen Sommer der vergangenen Jahre, als die Temperaturen teilweise auf über vierzig Grad Celsius stiegen, eine kühle Stätte mit köstlichem Schatten, der die Temperaturen im ganzen Haus bis in den ersten Stock hinein positiv beeinflusst und im erträglichen Rahmen hält. Zusätzlich erhalten wir leckere Südfrüchte in rauen Mengen frei Haus, und sogar ein wenig Brennholz haben die braven Bäume schon geliefert. Ich stutze immer mal wieder an ihnen herum, damit sie nicht alles überwuchern. Vor zwanzig Jahren habe ich mir die Menschheitserfahrung zunutze gemacht, dass das Pflanzen von Obstbäumen eine positive Wette auf die Zukunft ist, und bin mit dieser Wette sehr gut gefahren.

      Wer an Bäume denkt, dessen Gedanken landen schnell beim Wald. Dummerweise kommen Obstbäume in unserem gängigen Konzept von einem mitteleuropäischen Wald nicht wirklich vor. Wir kennen entweder die Nadelholzmonokultur oder den sogenannten »gesunden Mischwald« mit vielen Laubbäumen und vielleicht auch noch den Auwald entlang unserer Bäche und Flüsse. Von Letzterem sind in ganz Mitteleuropa noch ganze 300 Quadratkilometer vorhanden, von denen wiederum lediglich sechzig Quadratkilometer als naturnah bezeichnet werden können. Wer sich ein wenig besser in der Materie auskennt, dem fällt auch noch der Niederwald, der Hutewald und der Lohwald ein. Im Niederwald, der bei uns im Rheintal durchaus noch anzutreffen ist, werden meist Rotbuchen in fünfzehn- bis zwanzigjährigem Umtrieb auf den Stock zurückgeschnitten, um ihr Holz als Brennmaterial nutzen zu können. Im Lohwald tat man dasselbe mit Eichen, um an ihre Rinde, die Lohe, zu kommen, die man zum Gerben benötigte. An diese Wirtschaftsweise erinnern heute meist nur noch Ortsnamen, wie etwa Lohmühle oder Lohfeld. Der Hutewald oder Hütewald schließlich wurde als Weide für das Vieh genutzt. Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Schweine – sie alle fanden, je nach Jahreszeit und örtlicher Gegebenheit, im Hutewald ihr Futter. Wer sich hingegen für Apfel- oder Walnusswälder interessiert, der muss bis nach Zentralasien reisen, wo es in Kirgisistan oder Kasachstan noch Restbestände davon gibt.

      Heutzutage sehen wir in einem Wald im Wesentlichen einen Lieferanten des begehrten Rohstoffs Holz. Man pflanzt Bäume mit wirtschaftlich attraktivem Holz, wartet eine Weile, bis sie halbwegs ausgewachsen sind und sägt sie dann wieder ab. Dieser Prozess dauert bei Buchen oder Eichen 150 bis 200 Jahre. Bei Kiefern oder Fichten geht es schneller. Sie sind schon nach rund siebzig Jahren reif für den Hieb. Zeit ist bekanntlich Geld, und daher haben wir massenweise Nadelbäume gepflanzt. Dem untergeordnet ist der Wald auch Erholungsort für gestresste Städter, Tummelplatz für Waidmänner (zu denen ich mich selber zähle) und Waidfrauen, Revier für Steinpilz, Pfifferling und Co., Touristenmagnet und so weiter. Hauptsächlich geht es bei den heutigen Wäldern aber um Holz, also um tote Bäume. In unseren Paradiesen hingegen richten wir den Blick zuerst auf den Wert lebendiger Bäume und erst dann auf die Holznutzung. Ein Walnussbaum liefert hundert Jahre lang wertvolle Nüsse, die wir selbst essen oder auch zu Geld machen können. Wenn man ihn am Ende seines Lebens schließlich umhackt, ist sein Holz wesentlich wertvoller als jenes von Fichte, Kiefer oder Lärche. Gleiches gilt für den Apfelbaum, den Birnbaum, die Esskastanie, oder die Eberesche.

      Doch nicht nur die Wahl der Baumarten, sondern auch die Form unserer zukünftigen Wälder ist von entscheidender Bedeutung. Um die richtige Bepflanzung für unser Paradies zu finden, müssen wir unseren Blick weit in die Vergangenheit richten.

      Aufschluss kann die Form der Urwälder nach dem Ende der letzten Eiszeit geben und die Frage nach den stabilsten Waldsystemen im Verlauf der Jahrtausende. Forscher sind sich heute einig, dass insbesondere eine große Artenvielfalt der entscheidende Faktor für die Stabilität von Ökosystemen ist. Bei dieser Diskussion prallen bei uns in Mitteleuropa zwei verschiedene ökologische Sichtweisen aufeinander. Die erste nennt sich »Klimaxvegetationstheorie«, die andere »Megaherbivorenhypothese«. Die Verfechter der Theorie einer Klimaxvegetation gehen davon aus, dass die Rotbuche, die höchste heimische Baumart, mit ihrem dichten Laubwerk im Laufe der Zeit alle anderen Bäume überragt, ihnen das Licht wegnimmt und sie absterben lässt. Am Ende entstehen dann geschlossene Buchenurwälder. Abiotische Faktoren, wie etwa Feuer oder Stürme, reißen immer wieder Lücken in den dichten Buchenbestand. In diesen Lücken können sich zunächst andere Baumarten ausbreiten, bis sie am Ende wieder von den Buchen totgewuchert werden.1

      Vertreter der Megaherbivorenhypothese, wie etwa der Holländer Frans Vera halten dem entgegen, dass die großen Pflanzenfresser, wie etwa Wisent, Wildpferd, Mammut, Hirsch und Auerochse durch ihr Fressverhalten dafür gesorgt haben, dass sich die dichten Buchenwälder gar nicht erst bilden konnten. Man habe es damals vielmehr mit offenen Wäldern zu tun gehabt, in denen Eichen und Hainbuchen die dominanten Baumarten darstellten. Pollenanalysen der Zeit vor etwa 500 Jahren zeigen allerdings, dass damals nur wenige Gräser geblüht haben. Was auf den ersten Blick die Theorie von der Klimaxvegetation zu stärken scheint, wird von Frans Vera mit dem Argument gekontert, dass die damaligen Herden der Megaherbivoren so groß waren, dass das meiste Gras bereits abgeweidet wurde, ehe es in die Blüte gehen konnte. Erst die Ausbreitung des Menschen habe die Größe der Herden durch Jagd und Lebensraumkonkurrenz dermaßen reduziert, dass sich ein dichter Teppich von licht- und artenarmen Buchenwäldern bilden konnte.2 Buchenurwälder, die wir heute etwa in den Karpaten und – in winzigen Gebieten – selbst in Deutschland noch vorfinden, wären demnach also bereits Ausdruck einer vom Menschen verursachten Überformung unserer Landschaften. Im Mittelalter traten erneut große Herden von Megaherbivoren auf. Diese Grasfresser waren zwar vom Menschen domestiziert, gaben der Landschaft aber in etwa ihre ursprüngliche vielgestaltige Form und damit auch ihren Artenreichtum zurück.

      Welche Waldform als »echter Urwald« zu bezeichnen wäre, ist abseits der wissenschaftlichen Diskussion erst einmal egal. Solange man unter einem Wald etwas anderes versteht, als reine Baumplantagen, haben alle Waldformen ihren Reiz und Sinn und ihre Schönheit. Die wunderbaren Buchenhochwälder abzuholzen, nur um an deren Stelle hochprofitable Obstwälder anzulegen, wäre ganz bestimmt der falsche Weg. Bei Nadelholzmonokulturen sollte man die Sache allerdings schon etwas differenzierter sehen. Sicherlich haben beispielsweise auch die lichten Kiefernforste Brandenburgs ihre ökologische Berechtigung. Die Kiefer gilt unter Forstmenschen nach wie vor als Brot- und Butterbaum. Heute sind sie dort allerdings übertrieben großflächig angelegt und sollten wenigstens zum Teil umgenutzt werden. In Brandenburg machen sie mit 750 000 Hektar insgesamt rund siebzig Prozent der Waldflächen aus. Im Frühjahr 2020 besuchte ich zusammen mit meiner Frau und unserem Hund ein befreundetes Pärchen, das sich vor Jahren irgendwo in den Weiten des niederen Fläming im südlichen Brandenburg niedergelassen hatte. Die Region ist ein Gebiet von deprimierender Eintönigkeit.


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