Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den " Elysée-Kitas ". Matthias Springer

Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den


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häufig die soziale Herkunft über die Bildungschancen von Kindern […]. Bessere Bildung braucht entschiedeneres Handeln […]. Wir müssen diese Ungleichheiten abbauen, und das ist eine Aufgabe, die die Schulen nicht allein leisten können.6

      Eine explizite Integration von Mehrsprachigkeit, die sowohl Migrations- als auch Familiensprachen berücksichtigt, existiert im Konzept des Städtischen Trägers in Bayern zwar noch nicht. Zu erwähnen wäre jedoch das IMKi-Projekt „Effekte einer aktiven Integration von Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen“7, eine Interventionsstudie des BMBF in 19 Kindertageseinrichtungen in Bayern und Baden-Württemberg. Untersucht wird, welche Faktoren für eine gelingende (mehr)sprachliche Entwicklung von Kindern im Kindergartenalter bedeutsam sind. Das BMBF will erfahren, welche Veränderungen sich in der erst- und zweitsprachlichen Kompetenzentwicklung der Kinder ergeben, wenn Mehrsprachigkeit explizit in die Einrichtungen integriert wird.8 Die Migrationssprachen Türkisch, Russisch und Polnisch werden exemplarisch untersucht. Die weiteren Forschungsfragen lauten: Wie verändert sich die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder bei Einbezug von Mehrsprachigkeit? Welche Veränderungen auf Einrichtungsebene sind auf die pädagogische Intervention zurückzuführen? Lässt sich durch die Integration von Mehrsprachigkeit eine Erhöhung der Zufriedenheit der Eltern mit der Integration in die Einrichtung erreichen?9 Es bleibt zu wünschen, dass diese explizite Integration von Mehrsprachigkeit nicht nur im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erfolgt, sondern allgemein und flächendeckend etabliert wird.

      Im Fokus der Politik stehen dem gegenüber zahlreiche Sprachförderprogramme in DaF/DaZ für Kinder mit Migrationshintergrund,10 die die Kinder jedoch zu einer Quasi-Monolingualität führen.11 Das aktuelle Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“12 – um nur eines zu nennen – erkennt, dass

      sprachliche Kompetenzen einen erheblichen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg und den Einstieg ins Erwerbsleben haben. Dies gilt besonders für Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien und Familien mit Migrationshintergrund.13

      Wie bereits unter 1.1 diskutiert, ist grundsätzlich anerkannt, dass die L1 unter dem frühen Erwerb einer weiteren (Fremd-)Sprache nicht leidet. Im Gegenteil: Wie Studien gezeigt haben,14 profitieren beide Sprachen der Kinder von dem erhöhten Sprachbewusstsein. „Kinder mit Migrationshintergrund stehen dabei nicht so sehr im Hintertreffen wie oft befürchtet“, lautet auch ein Ergebnis des ELIAS-Projektes der Europäischen Kommission.15

      In vielen Bundesländern – auch im Freistaat Bayern – verlangen nun die Bildungspläne, dass die zwei und mehrsprachigen Kompetenzen der Kinder aktiv entwickelt werden: „Es gilt, die spezifischen Entwicklungsprofile und Bedürfnisse von mehrsprachig aufwachsenden Kindern wahrzunehmen und zu nutzen.“16 Dies kann z.B. durch die Einbindung bilingualer Konzepte geschehen.17 In Sachsen-Anhalt geht es etwa laut Bildungsplan insbesondere darum, „jedem Kind erste Erfahrungen mit unterschiedlichen Sprachen zu ermöglichen“.18

      Dem bilateralen Förderprogramm für frühen Fremdsprachenerwerb Elysée-Kitas soll genau dieser Spagat zwischen Abbau von Barrieren zur Bildungschancengleichheit und Vermittlung von Schlüsselkompetenzen gelingen. Der Zugang zur französischen Sprache wird als bildungsfördernd und chancenreich angesehen. Mit der finanziellen Unterstützung der LH München und des grundsätzlich uneingeschränkten Zugangs für alle Kinder zu diesem Angebot soll soziale und kulturelle Diskriminierung in dem Sinne vermieden werden, dass bereits in Kindertageseinrichtungen geringere Erwartungen an sozial benachteiligte Kinder mit Migrationshintergrund gerichtet werden, die sich schließlich im weiteren Bildungsverlauf verfestigen und somit die Bildungslaufbahnen von Kindern beeinträchtigen.19

      Die meisten der über 100 Kindertageseinrichtungen20 in Bayern mit Mehrsprachigkeitsmodellen im Vorschulbereich stehen unter freier Trägerschaft. Dabei handelt es sich mehrheitlich um privatwirtschaftliche Angebote, d.h. Angebote von Anbietern, die mit entsprechend hohen Gebühren verbunden sind und eine ökonomisch wie sozial eher privilegierte Bevölkerungsschicht ansprechen. Oft arbeiten sie immersiv, meistens für ein bereits bilinguales Publikum, das seine Familiensprache fördern möchte. Eine immer breitere Kundschaft finden bilinguale Einrichtungen mit einem englischen oder chinesischen Zweig,21 die darin allerdings mehr einen ökonomischen Wettbewerbsvorteil für ihre Kinder sieht, als ein rein kulturelles, soziales oder familiäres Anliegen damit verbindet.22

      Bei den Sprachen nimmt bundesweit – auch in Bayern – Französisch den zweiten Rang ein.23 Unter Berücksichtigung des deutsch-französischen Netzwerks der Elysée-Kitas – dürften sich die Sprachangebote für Englisch und Französisch nun aber nahezu angeglichen haben.

      2 Das bilaterale Programm Elysée-Kitas 2020 / écoles maternelles Elysée 2020: Verortung im europäischen Bildungsraum

      Will man verstehen, wie sich einerseits das Pilotprojekt Deutsch-Französische Elysée-Kitas 2020 in diesem Zusammenhang darstellt und warum andererseits nicht alle Kindertageseinrichtungen mit Französischangeboten im Netzwerk der Elysée-Kitas aufgenommen wurden, muss man der Genese dieses bilateralen Pilotprojektes nachgehen. Zum 50. Jubiläum des Elysée-Vertrags1 unterschrieben der französische Bildungsminister (Ministre de l’Education Nationale) Vincent Peillon und die Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten, Annegret Kramp-Karrenbauer, im Jahr 2013 die bilaterale Vereinbarung Deutsch-Französische Elysée-Kitas 2020.2 Die bildungspolitischen Zielsetzungen der Elysée-Kitas sind in einer sogenannten Qualitätscharta festgelegt: Deutschland und Frankreich sehen sich als „Vorreiter und Motor beim Aufbau eines gemeinsamen europäischen Bildungsraums“, wollen mit dem „frühkindlichen Erlernen der Partnersprache […] die gegenseitige Verständigung“ weiter vertiefen und ein „dauerhaftes Freundschafts- und Vertrauensverhältnis“ vom jüngsten Kindesalter an aufbauen. Die Deutsch-Französische Agenda 2020 ist insofern konsequent, als sie auf dem „Strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung“ basiert. Bereits im März 2002 formulierte der Europäische Rat diese Forderung als Instrument der Chancengleichheit und der europäischen Integration:

      Angesichts der Bedeutung des Erwerbs von zwei Fremdsprachen ab einem frühen Alter, auf die in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates von Barcelona hingewiesen wird, wird die Kommission ersucht, dem Rat bis Ende 2012 einen Vorschlag für eine mögliche Benchmark in diesem Bereich, die auf den laufenden Arbeiten zur Sprachenkompetenz aufbaut, vorzulegen.3

      Von der Grundannahme geleitet, dass im Bereich ‚Sprachbildung‘ auch die Frühpädagogik einen eigenen Beitrag zu leisten habe, stellte sich für die LH München die Frage, wie das Konzept Elysée-Kitas für ein breites Publikum umgesetzt werden könnte. Im Oktober 2014 führte die LH München im Sinne der Bildungschancengleichheit und Inklusion dieses Pilotprojekt in die städtischen Kindertageseinrichtungen ein. Ausgangspunkt des Städtischen Trägers war, das Angebot für Kinder ohne Französischkenntnisse kostenfrei in den Einrichtungen zu implementieren. Damit trug er auch der Erkenntnis der Sprachpsychologin Gudula List, „das Gehirn hat Platz für viele Sprachen“, Rechnung.4 Die zweite Zielsetzung dieses Pilotprojektes war darüber hinaus, einen Beitrag zur Integration von Migrationskindern mit Familiensprache Französisch zu leisten, da man hier 2014 einen Bedarf vermutete. Tatsächlich zeigen die Zahlen rückblickend, dass über ein Drittel der in München angemeldeten afrikanischen Migrantinnen und Migranten aus dem frankophonen Afrika stammten.5

      2.1 Schwerpunkte der französischen Analyse

      Auf der französischen Seite des Netzwerks der Écoles maternelles Elysée 2020 erfolgte eine Evaluation im Auftrag des französischen Bildungsministeriums. Sie wurde intern durch die Generalinspektion des Bildungsministeriums durchgeführt und im Dezember 2018 veröffentlicht.1 Die kleine Stichprobe aus acht freiwilligen französischen Vorschulen (écoles maternelles) bildete die Basis für eine Bestandsaufnahme des gesamten französischen Netzwerks, welches damals aus 73 Vorschulen bestand. Die Schwerpunkte der Analyse ergaben sich aus einem institutionellen Interesse des französischen Bildungsministeriums. Die Studie ist keine sprachwissenschaftliche Analyse, eher eine deskriptiv-präskriptive institutionelle Berichterstattung.

      Obwohl


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