Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den " Elysée-Kitas ". Matthias Springer

Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den


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und ihre Kinder davon überzeugen, daran teilzunehmen. Eltern, die das deutsche Bildungssystem durchliefen, wissen außerdem, dass in Deutschland Französisch nach Englisch die am häufigsten gelernte Sprache ist und in der EU als bildungsrelevante Fremdsprache gilt.8

      Fallen Migration und Bildungsferne zusammen, spricht man in der Forschung von „soziale[r] und migrationsgekoppelte[r] Ungleichheit“.9 Werden von Erzieherinnen höhere Erwartungen an Kinder gestellt, potenziert das ihre Leistungsmotivation. Damit kann der sog. „institutionellen Diskriminierung“10 entgegengetreten werden. An dieser Stelle ist es Aufgabe der Einrichtung, Eltern, die sich der Stellung und des Bildungspotenzials der französischen Sprache nicht bewusst sind, von diesem Angebot zu überzeugen. Vom pädagogischen Personal wird erwartet, dass es an alle Kinder mit und ohne Migrationshintergrund unabhängig vom sozioökonomischen Status der Eltern die gleichen Erwartungen hat. Alle Eltern sollten dezidiert miteinbezogen werden, um einer Verstärkung von Ungleichheiten entgegenzusteuern. Kindertageseinrichtungen sind zwar, anders als Grundschulen oder französische Vorschulen, keine primär leistungsorientierten Institutionen. Nichtdestotrotz „kann der Kindergarten als Bildungsort verstanden werden, der zwar nicht leistungsorientiert ist, aber für die Grundlegung des späteren Schulerfolgs mehr oder weniger förderlich sein kann.“11

      Vor diesem Hintergrund wurde in der von der LH München ausgeschriebenen Leistungsbeschreibung ein großes Augenmerk sowohl auf die Qualität als auch auf die Originalität des von den Bewerbern vorgeschlagenen Konzepts gelegt. Das Institut Français bietet zusätzlich zum Konzept für die Schnupperstunde monatliche partizipative Eltern-Kind-Workshops am Institut Français an, welche für die am Pilotprojekt Teilnehmenden vorgesehen sind.12 Für die LH München ist dies ein interessantes Angebot. Aufgrund früherer guter Zusammenarbeit und seines Status als kulturelle Einrichtung des französischen Auswärtigen Amtes erhielt das Institut Français den Auftrag für das Pilotprojekt und führt diesen bis heute aus. Gesucht war ein Kooperationspartner, der nicht kommerziell handelt und befugt ist, den Städtischen Träger im Austausch mit den französischen écoles maternelles, also mit dem französischen Bildungsministerium, direkt zu unterstützen. Bildungskooperation gehört zum Auftrag des Institut Français.

      Die Aufnahme der städtischen Münchner Einrichtungen ins bundesweite Netzwerk Elysée-Kitas und deren Zertifizierung auf der Grundlage der Deutsch-Französischen Qualitätscharta für bilinguale Kindertageseinrichtungen konnte nach der ersten erfolgreichen Antragsstellung der Regierung von Oberbayern ab dem Jahr 2016 erfolgen. Damit sind inzwischen sieben Münchner Einrichtungen Teil des bilateralen Netzwerks „Elysée-Kitasécoles maternelles 2020“, welches bis dato 164 deutsche Kindertageseinrichtungen und 98 französische écoles maternelles zertifiziert hat.13 Der achte Antrag für eine Münchner Einrichtung liegt vor.

      Die Münchner Kitas, die im Folgenden untersucht wurden, arbeiten mit einem anderen Auftrag als Eltern-Kind-Initiativen oder kommerzielle Einrichtungen, die einem (halb)frankophonen oder elitären Publikum die Familiensprache für (halb)frankophone Kinder immersiv anbieten. Dass die Zertifizierungen insbesondere bei kommerziellen Einrichtungen einer anderen Strategie folgen, sieht man daran, dass manche in erster Linie einen Marketingvorteil daraus ziehen wollen.

      2.2.2 Projektbetreuung durch den Städtischen Träger

      Der nachhaltige Erfolg der deutsch-französischen Elysée-Kitas hängt mit einer fortlaufenden Qualitätsentwicklung zusammen und macht es unerlässlich, sich an Qualitätskriterien zu orientieren. Die Verantwortung dafür liegt beim Städtischen Träger. Seit Beginn des Projektes steht dieser den Einrichtungsleitungen uneingeschränkt unterstützend zur Seite. Dabei kommt eine Anforderung aus der deutsch-französischen Qualitätscharta zum Tragen, nämlich die Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen lokalen, regionalen, nationalen oder internationalen kulturellen Institutionen.1

      Die im Netzwerk der städtischen Elysée-Kitas bisher umgesetzten Maßnahmen erfüllen die Qualitätscharta insbesondere in diesem Punkt und kommen den Qualitätskriterien, die im Kriterienhandbuch „Qita“ der Robert Bosch Stiftung für den Bereich ‚Sprache und Mehrsprachigkeit‘2 vorgegeben sind, sehr nahe. Zu den Qualitätskriterien des Handbuchs gehören die ständige Reflexion über die pädagogischen Inhalte und deren Umsetzung. Dazu organisiert der Städtische Träger ca. alle drei Monate regelmäßige Vernetzungstreffen. Einrichtungsleitungen, pädagogisches Personal, Französischlehrkräfte sowie Vertreterinnen und Vertreter des Institut Français kommen zum Erfahrungsaustausch in Bezug auf die Implementierung des Sprachkonzeptes zusammen.

      Fort- und Weiterbildungen zum Thema ‚früher Fremdsprachenerwerb‘ wurden in Zusammenarbeit mit dem Institut Français und weiteren Partnereinrichtungen angeboten. Institutionelle Vernetzungsarbeit mit entsprechenden französischen Schulämtern und Partnereinrichtungen (écoles maternelles) erfolgte mit dem Ziel, die Münchner Pädagoginnen und Pädagogen für die unterschiedlichen bildungspolitischen Traditionen, Zuständigkeiten und Ansätze zu sensibilisieren. Für beide Seiten waren Delegationsbesuche und der jeweilige Fachaustausch horizonterweiternd, da die Integration der Vorschulen in das jeweilige Bildungssystem historisch unterschiedlich gewachsen ist:

      Das französische Modell ist seit mehr als 100 Jahren in das Bildungssystem integriert und folgt – dem trägt auch der Name Rechnung – dem Auftrag und der Logik von Schule. Das deutsche steht in der Tradition der Sozialfürsorge und folgt einer Logik von Kinderbetreuung, zu der seit 19963 dann, über den Betreuungs- und Erziehungsauftrag hinausgehend, ein Bildungsauftrag hinzukam. Zudem ist das französische Modell zentralistisch, das deutsche hingegen föderal. Einander gegenüber stehen also ein französisches zentralistisches „Bildungsmodell“ und ein deutsches Modell, das zwischen Betreuung und Bildung gespalten und zudem föderal ist.4

      2.2.2.1 Grenzüberschreitende Entsendung bzw. Gewinnung von Personal

      Fremdsprachiges Personal wird bereits erfolgreich in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt München und den Umlandgemeinden angeworben, mit Frankreich wurden Auslandspraktika für Nachwuchskräfte initiiert. In dieser Hinsicht ist der von der LH München anvisierte strukturierte grenzüberschreitende Erzieher-innenaustausch in Partnerschaft mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk eine besonders vielversprechende und zukunftsweisende Initiative.

      Außerdem kann positiv angemerkt werden, dass der Städtische Träger zur Implementierung des Sprachkonzeptes und zur Qualitätsentwicklung des Projektes den Leitungen und pädagogischen Teams unterstützend zur Seite steht. Im Folgenden soll in die konkrete Koordinationsarbeit exemplarisch Einblick gegeben werden.

      2.2.2.2 Umgesetzte Maßnahmen

Reisen/Austausch/Delegationen/Kontakte1 Dez. 2014: Provence-Delegation in München (Schulamtsdirektion Toulon-Nizza) 28. Juni bis 04. Juli 2015: Münchner-Delegation in der Provence Feb.-März 2016: sprachliche Vorbereitung und Auslandspraktika von vier Studentinnen der Katholischen Fachakademie für Sozialpädagogik München in einer Vorschule in Carqueiranne (Provence) Kontaktaufnahme zur Erzieherschule Institut d'Enseignement Supérieur de Travail Social (IESTS) in Nizza 23. bis 25. Mai 2016: Münchner Delegation in Paris 2. bis 5. Juli 2018: Delegation aus Frankreich in München Oktober 2017: Praktikantin aus Nizza im Haus für Kinder Müllerstr. 5 16. bis 20. April 2018: Münchner Delegation in die Provence, Nizza, vier Vertreterinnen des Städtischen Trägers, eine Vertreterin des Institut Français März 2019: vier Studierende der Fachakademie München machen ihr Praktikum in Nizza 24. bis 28. März 2019: Münchner Delegation in die Provence, Nizza, elf Vertreterinnen des Städtischen Trägers, eine Vertreterin der Katholischen Stifungshochschule, eine Vertreterin von einem freien Träger und ein Vertreter des Institut Français 16. bis 20. Sept. 2019: Delegation aus Nizza in München, drei Personen 09. bis 11. Okt. 2019: Münchner Delegation in Straßburg, vier Vertreterinnen des Städtischen Trägers 09. Okt. 2019: Studientag zum Thema: „Bilinguale Bildung und Erziehung: von der Theorie zur Praxis”, in Kooperation mit dem Saarländischen Ministerium für Bildung und Kultur und
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