Standort Deutschland. Volker Meyer-Guckel
auf Dauer anpassen – ohne in alte Verhaltensweisen zurückzufallen? Kein Hexenwerk, der Werkzeugkasten ist bekannt. Zum Beispiel beim Thema Innovationen. Covid-19 hat den Trend zum immer höheren Innovationstempo nur nochmals beschleunigt. Künftige Geschäftsmodelle müssen mehr denn je in der Lage sein, schnell zu innovieren, sich anzupassen und zu skalieren. Im Kleinen wie im Großen. So haben findige Unternehmer seit Ausbruch der Krise neue Umsatzmöglichkeiten entdeckt. Sie kooperieren erfolgreich mit Medizintechnikern. Läden bieten Lieferdienste an, Musiker lassen sich für Privatkonzerte buchen. Wann, wenn nicht jetzt? Der Ernst der Lage gibt den Unternehmen die Lizenz zur Umverteilung von Prioritäten, Ressourcen und Geldern und zu einem neuen Fokus auf Nachhaltigkeit und Gemeinsinn. Zugleich ist die Bereitschaft der Kunden gestiegen, sich auf neue Konzepte einzulassen. Aber zahlt sich das auch aus?
Die Antwort gibt ein eindrucksvolles Chart (
Viele profitierten davon, sich darüber hinaus ein Ökosystem von Partnern aufgebaut zu haben. Wer Netzwerke bildet, gewinnt tiefe Einsichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wer diese nutzt, verbessert die eigenen Produkte oder Dienstleistungen und sichert sich somit einen Wettbewerbsvorteil. Als Folge steigender Innovationskraft und Kollaborationen boomen jetzt Cloud-basierte Plattformen und Dienstanbieter. Sie gewährleisten den Zugriff auf wichtige kundenseitige (z. B. Callcenter-Technologie) und geschäftskritische Plattformen (z. B. Handels- und Brokerage-Technologie bei Banken). Noch mehr Kapital wird nun auch in Automatisierung und Digitalisierung fließen. Nicht nur, um Kosten zu sparen und Prozesse zu vereinfachen. Sondern nach der Lehrstunde aus Covid-19 auch, um den Schutz von Mitarbeitern Verkaufsbereich oder Kunden an einer Supermarktkasse zu verbessern.
Aber woher kommt frisches Kapital in den nächsten Jahren? Strategie- und Budgetplanung für 2021 und darüber hinaus sind eine Herausforderung. 40 Prozent
Abb. 3: Marktkapitalisierung innovativer Unternehmen
der von McKinsey befragten CFOs und CSOs erwarten(zumindest kurzfristig) Schwierigkeiten beim Cashflow, vor allem aufgrund von Zahlungsproblemen bei den Kunden. 30 Prozent befürchten weitere Unterbrechungen ihrer Lieferketten. Auch diese Führungskräfte müssen agiler als bisher arbeiten, ihre Prozesse flexibilisieren und dafür neue Instrumente finden. CFOs haben erkannt, dass der traditionelle Budgetierungsprozess nicht zukunftsfähig ist. So geben in dieser Umfrage bspw. 43 Prozent der CFOs an, dass sie ihre gesamten Prozesse rationalisieren müssen, um schneller und effizienter reagieren zu können. 65 Prozent erwarten, dass im Jahr 2021 und darüber hinaus verstärkt rollierende Prognosen eingesetzt werden. Abbildung 4 zeigt, welche Schritte eine erfolgreiche Planung für 2021ff. enthalten sollte.
Die COVID-19-Krise hat Wertverschiebungen beschleunigt. Das bedeutet, die Messlatte, um an der Spitze zu bleiben, liegt künftig noch höher als bisher. Im Vordergrund steht die Analyse, welche Trends durch eine dritte Corona-Welle nochmals beschleunigt werden könnten, das Denken in mehreren Szenarien und die Frage, welche Investitionen dann sinnvoll sind. Auch dafür muss finanzielle Liquidität zur Verfügung stehen. Unternehmen müssen sich ehrlich machen: Wie zukunftsfähig ist ihr Geschäftsmodell wirklich und wo liegen realistisch neue Optionen? Wer bisher gut durch die Krise gekommen ist, kann seinen Startvorteil in eine sehr starke Position für die kommenden Jahre umwandeln. Wer ins Hintertreffen geraten ist oder in seinem Sektor unterdurchschnittlich abschneidet, der hat vielleicht nur noch eine letzte Chance.
Abb. 4: Schritte für eine erfolgreiche Unternehmensplanung
2.2 Versorgungssicherheit: Lieferketten neu denken
Covid-19 wird als schlagender Beweis in die Lehrbücher eingehen, wie verletzlich globale Lieferketten, Angebote und Nachfrage sind. Leichten Herzens verzichteten viele Konsumenten gleich zu Beginn der Krise auf nicht lebensnotwendige Güter wie Bekleidung. Autokäufe wurden schlagartig verschoben. Vor allem wegen politischer Entscheidungen sank das Reiseaufkommen dramatisch, was Unternehmen in der Luftfahrt langfristig hart treffen wird. Einige Branchen wie Gastronomie oder Eventmanagement mussten ihre Geschäftstätigkeit vorübergehend gänzlich einstellen. Ganz anders aber in der Landwirtschaft oder Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie: Trotz aller Lieferketten- und Produktionswidrigkeiten musste eine unverändert hohe Nachfrage abgearbeitet werden. Viele pharmazeutische Unternehmen können gar nicht so schnell forschen, pressen und blistern, wie sie gerade sollen.
Unterschätzes Gefahrenpotenial
Covid-19 schärft den Blick nicht nur für plötzliche Nachfrageeinbrüche. Covid-19 ist auch eine Lektion darin, wie schnell selbst angemessener politischer Einfluss und nationale Interessen zu Risiken für Unternehmen werden. Bei einer internationalen politischen Krise drohen Handels-, Übernahme- und Kreditbeschränkungen, bei einem Unwetter kann es die Energieversorgung treffen. Das ist keine Schwarzmalerei: Der Anteil des Welthandels mit Ländern, die nach Einschätzung der Weltbank im Hinblick auf politische Stabilität in der unteren Hälfte der Welt rangieren, ist schon von 16 Prozent im Jahr 2000 auf 29 Prozent im Jahr 2018 gestiegen. Eine Warnung sollte auch sein, dass knapp 80 Prozent des Handels mit Ländern abgewickelt wird, in denen die politische Stabilität sinkt. Abbildung 5 verdeutlicht weitere mögliche Brandherde.
Abb. 5: Verwundbarkeit globaler Wertschöpfungsketten (Quelle: McKinsey Global Institute Analyse)
Wie sehr Probleme in der Versorgungskette über Verwundbarkeit oder Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens entscheiden, zeigt eine McKinsey-Umfrage vom Mai 2020. 93 Prozent der Befragten wollen ihre Lieferkette widerstandsfähiger machen. Auf ihren Prioritätenlisten stehen Redundanzen bei Zulieferern, »Nearshoring«, die Reduzierung der Anzahl von Einzelteilen und die stärkere Regionalisierung ihrer Lieferkette. Bis zu einem Viertel der globalen Lieferketten in einem Volumen von bis zu 4,6 Billionen Dollar jährlich könnten bereits in den nächsten fünf Jahren verlagert werden. Das zeigt unsere Studie zu den Wertschöpfungs- und Lieferketten in 23 Branchen hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für Pandemien, Cyberattacken, Handelskriege, Naturkatastrophen und Klimarisiken.
Die richtigen Fragen
Zur Gefahrenabwehr müssen jetzt die entscheidenden Fragen gestellt werden. Die erste: Welchen Risiken sind unsere Lieferketten wir ausgesetzt? Die erstaunliche Antwort: Die meisten großen Unternehmen wissen es nicht. Sie haben realistisch nur wenig mehr Überblick als über ihre Zulieferer der ersten und vielleicht noch über einige großer Zulieferer der zweiten Ebene. Hier kann Digital Analytics für mehr Effizienz und Transparenz sorgen. Auch in der globalen Fertigung gewinnen erst nach und nach wichtige Technologien an Raum wie Analytik und künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Advanced Robotik oder digitale Plattformen. Erst sie ermöglichen die Bewertung von Szenarien und Kompromissen, beschleunigen die Reaktionsgeschwindigkeit und erhöhen die Wertschöpfung.
Hinzu kommt ein Kanon weiterer Fragen. Herrscht ein Gleichgewicht zwischen Belastbarkeit und Effizienz, zwischen Just-in-Time und »für den Fall der Fälle«? Müssen Lean- und Just-in-Time-Bestandsverwaltungssysteme beendet oder modifiziert werden, um das Ausfallrisiko zu minimieren? Lässt sich unsere Risikobereitschaft messen? Kommunizieren wir Kapitalgebern klar genug, wie sich Investitionen in eine höhere Widerstandsfähigkeit auszahlen? Globale Wertschöpfungsketten verschieben sich – welche neuen Chancen können sich daraus über Produkte und Regionen hinweg ergeben? Und können wir in die Offensive gehen, wenn unsere Konkurrenten