Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz


Скачать книгу
Filzstiften ihre Namen, Hoffnungen, Wünsche und ihre überbordende Freude auf die großen, gelben Lettern, die alsbald vorne, hinten und seitlich über und über bekritzelt waren und auf diese Weise das Gefühl jenes historischen Augenblicks für die Zukunft bewahren wollten. So erreichte es erhebliche Bekanntheit weit über die Landesgrenzen hinaus und kann beispielsweise in einem Musikvideo bestaunt werden, das die in Priština geborene, britische Sängerin Rita Ora unter einem vielsagenden Titel drehte: Shine Ya Light – Set the World on Fire. Sechs Jahre nach der Unabhängigkeit wurde das Denkmal schließlich neu bemalt, und zwar in den Uniform-Tarnfarben derjenigen westlichen Streitkräfte, die 1999 in das Kosovo eingerückt waren. Anonyme Sprayer brachten rosafarbene Herzchen auf dem martialischen Anstrich an.

      Vorläufig jedoch erschien das Denkmal in freudigem Gelb, und den ganzen Nachmittag über streifte ich durch die Innenstadt. Nur einmal pausierte ich in meinem engen Hotelzimmer, da es trotz des Sonnenscheins winterlich kalt war und ich mich aufwärmen wollte. Für den Abend hatte ich dank Veronikas Empfehlung eine Einladung zu einem Empfang des Deputy ICR erhalten. Das ICO wurde durch den International Civilian Representative, den ICR, geführt. Dieser stellte gemäß der noch zu verabschiedenden Verfassung die höchste zivile Instanz im Kosovo dar, befand sich allerdings noch gar nicht im Lande. Sein Stellvertreter jedoch war schon im Amt und fungierte somit als ranghöchster Angehöriger unseres ICO-Vorbereitungsteams. Der Mann hieß John Barton und war Amerikaner, Diplomat und, vielen Stimmen zufolge, Nachrichtendienstler. Auch er hatte mich im Rahmen meiner Rekrutierung in Brüssel interviewt, so daß wir bereits einen ersten Eindruck voneinander hatten gewinnen können.

      Was er von mir hielt, außer der Tatsache, daß er meiner Einstellung zugestimmt hatte, erfuhr ich bis zum Ende meiner Dienstzeit nicht. Auf mich wirkte er zu diplomatisch, wenig pragmatisch und zupackend, eher intellektuell und professoral statt professionell. Er war hochgewachsen, hager, schlaksig und mit klugen Gesichtszügen, in amerikanischer Manier immer etwas nachlässig und in zu großen Anzügen gekleidet, mit in gedeckten Farben gehaltenen Button-down-Hemden und in dünnem Knoten zu lang gebundenen, viel zu bunten Krawatten. Er war alleinstehend und verfügte über ein hervorragendes, überraschend geschmackvoll eingerichtetes Appartement ganz oben am Dragodan-Hügel, mit weiter Aussicht auf die Stadt und die am Horizont zu ahnenden Berge. Barton hatte einige Dienstjahre im Orient zugebracht und von dort eine Reihe von Exponaten und Kunstgegenständen mitgebracht, die seine Wohnung schmückten. Daß ich keinen persönlichen Zugang zu ihm fand, bedauerte ich manchmal. Wie ich führte er Tagebuch. Sicherlich wäre er ein interessanter Gesprächspartner gewesen, doch er blieb mir verschlossen. Das Letzte, was ich nach meiner Zeit im Kosovo von ihm hörte, war, daß er einen neuen Posten im Irak angetreten habe.

      Überhaupt schienen sich so manche meiner Kollegen im Kosovo über kurz oder lang im Irak oder gar in Afghanistan wiederzufinden. Einige verschlug es auch in den Kaukasus; die meisten aber blieben auf immer auf dem Balkan. Die Entwicklungshilfe war auf Dauer nicht mein berufliches Ziel, so daß ich mir von Anfang an vornahm, meinen Aufenthalt auf maximal ein Jahr zu begrenzen – eben bis ich den Berg Ljuboten von meinem Büro aus nicht mehr würde sehen können.

      Das Bonmot kursierte unter uns Macchiato-Diplomaten, daß man drei sogenannte M-Phasen im Entwicklungsdienst absolviere: missionary, mercenary, misfit. Man begann als Missionar mit einer gehörigen Portion Idealismus, wurde dann aufgrund der guten Bezahlung zum desillusionierten Söldner, um zuletzt für Beruf und bürgerliches Leben in der Heimat untauglich geworden zu sein. Das aber war nicht der Weg, den ich beschreiten wollte.

      Als ich den Dragodan-Hügel unterhalb der Residenz John Bartons über die lange Freitreppe erklommen hatte, mit der man in rüstigem Fußmarsch die serpentinenartig hinanführende Straße abkürzen konnte, brauchte ich eine Weile, um sein Haus zu finden. Doch dann bemerkte ich schon aus einiger Entfernung die Gesellschaft, die sich hinter den hell erleuchteten, großen und bis auf den Fußboden hinabreichenden Fenstern im obersten Stock des Appartementgebäudes versammelt hatte. Trotz der niedrigen Temperatur befand man sich auch auf der großzügigen, hinter schußsicherem Panzerglas geschützten Dachterrasse in lockerem Gespräch. Jazz-Musik, Gelächter und Stimmengewirr waren von der Straße her zu vernehmen. Ich gesellte mich hinzu und wurde von Barton freundlich aufgenommen. Er hielt eine kurze Rede über den historischen Moment sowie die großen Aufgaben, die uns erwarteten, und brachte einen Toast auf die neugegründete Republik Kosova aus.

      Als habe Priština auf das Ende seiner Ansprache gewartet, brach nach Bartons letztem Satz kolossales Geknattere in der ganzen Stadt los wie der Lärm eines schweren Infanteriegefechts. Salvatory fire, sagte Barton trocken, und alles stürzte auf die Terrasse, um sich das Freudenfeuer anzusehen: Militärische Leuchtkugeln stiegen in die nachtschwarze Luft, um am Fallschirm qualmend und langsam zu Boden zu trudeln, ganze Stadtviertel in gespenstisches Licht tauchend, einmal gelb, dann wieder rot und grün. Aus unzähligen Läufen ratterten die an Ton und Kadenz unverkennbaren Salven von Kalaschnikow-Sturmgewehren, und Garben von Leuchtspurmunition zischten durch den Himmel. Dazwischen knallten in schneller Folge einzelne, trockene Pistolenschüsse aus allen Ecken der Stadt. Das vielfältige Getöse war von unserem erhöhten Standpunkt aus gut vernehmbar, zumal wir die Panzerglasscheiben von Bartons Terrasse zur Seite hin aufgeklappt hatten. Ich erfuhr von einer hübschen Diplomatin aus Schweden, daß es im Kosovo mehr Schußwaffen als Einwohner gebe, und vermutete, daß keine einzige davon in dieser Nacht nicht zum Einsatz kam. Man solle sich nicht im Stadtzentrum aufhalten oder sich zumindest unterstellen, krächzte es sodann aus unseren Funkgeräten, damit man nicht von herabfallenden Projektilen getroffen werde. Der Kitzel der Gefahr würzte die Stimmung aller. Sprachlos blickte ich lange auf den feuerspeienden Hexenkessel zu meinen Füßen und sagte mir schließlich, daß der Geruch von Pulverdampf wohl zwangsläufig zur Geburt von Staaten gehöre – genau wie zu ihrem Untergang. Bartons Champagner war köstlich, und die schwedische Diplomatin tunkte eine Erdbeere in mein Glas, um sie mir anschließend in den Mund zu stecken.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAMCAgMCAgMDAwMEAwMEBQgFBQQEBQoHBwYIDAoMDAsK CwsNDhIQDQ4RDgsLEBYQERMUFRUVDA8XGBYUGBIUFRT/2wBDAQMEBAUEBQkFBQkUDQsNFBQUFBQU FBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBT/wAARCAEzAMgDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwD7XRVB A6fSrcSgDjkVnxvkg9/SpluNp9/avs2mfARkkakJVcHP4VOMSOASQKyxc5HXmp4HOMk1i4nRGa2N KUIhPliqzSAH5jQjYYEVHdqZFJXgjmoSLctLosRSgccY9qmDA1kwu8Zy3PtTvtZRsc03AlVLLU24 ZNp+9kVMLg57H2rEjug3fFWY5jjrxWMqZvGr2NCRzIuCKxJ1G5tw71orJ3/lVS6j3KSDg1UPdZNR 8yuZdwQAR61TYg9afKxDEEZNRFcnpxXfFWPLk7kckayAdj2NMSFhnByOvFS8A4oWQI2QDV3ZnZXG CAn2qveWokjIH3h+tXzKpGcVVnmDewpxbuEkrHMzxMGb5azZYwCc10l4A+7B5rGntyRgjFehCVzy qsLbGTJx04qpKSD9a0ZoCOMVVe3Ynn8sV1pnDJMp5GOetTwJuXOKSSHaafbnDbCOD0NU9iEtSzZk pJg5weKKrveFBlB8w9aKycHLU6IzjHRnpiSGpBJz0qhHIPXFWEkJ7V5DjY92Mi9CckEVfi4xWbby jPPStCGRSOtc8kdMGi7GQVx6VJjNQJME4xxRLdiNSRjA5rns76HVdJakTkBz0HNVruSPK4PzDiqs lyWz1A9agaTzOT+FdMYPc451OhdWfG
Скачать книгу