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Tages- und Nachtzeit zuverlässig brummend überbrückte. Damit während der bei einem Stromausfall bis zum Anspringen des Generators unvermeidlichen Spannungsschwankung nicht sämtliche Rechner abstürzten, waren sie alle einzeln an Akkumulatoren angeschlossen, die permanent aufluden, bis es zum nächsten Stromausfall kam, um dann übergangslos den Netzstrom so lange zu ersetzen, bis die vom Generator gelieferte Spannung ausreichend und gleichmäßig war. Das Blue Building beherbergte außerdem eine wochentags gut besuchte Cafeteria. Sie konnte mit vorzüglichem Espresso-Macchiato und einem in aller Regel wohlschmeckenden Mittagessen aufwarten, das von einem Restaurant aus dem Stadtzentrum geliefert wurde. In den ersten Wochen nach meiner Ankunft war das Rauchen im ICO noch nicht verboten, so daß die Kollegen ihre Zigaretten und ich meine Zigarillos einvernehmlich am Arbeitsplatz genießen konnten – eine der bürgerlichen Freiheiten, derer ich in Frankfurt schon vor Jahren verlustig gegangen war. Doch es dauerte nicht lange, bis die pädagogische Segnung des in Mode gekommenen Rauchverbots den Balkan erreicht hatte und auch bei uns Einzug hielt und jeden Raucher aus der Behaglichkeit seines Büros vertrieb. Allerdings verfügte das Gebäude an seiner rückwärtigen Front über zahlreiche, verwinkelte Feuerleitern mit Plattformen, die an jedem Stockwerk angebracht waren und jeweils bis zu drei oder vier Personen erlaubten, den Tabakkonsum einigermaßen geschützt an frischer Luft fortzuführen, oftmals mit besagtem Espresso-Macchiato und einem dienstlichen Schriftstück in der Hand und die letzten Neuigkeiten austauschend. Der Macchiato war nicht nur in der Cafeteria des Blue Building köstlich, sondern im ganzen Land. Das osmanische Erbe hatte auch sein Gutes. Und hier, auf dieser Feuertreppe, entstand auch der Begriff für unser Tun: Macchiato Diplomacy.
Mein erster Arbeitstag als Macchiato-Diplomat sollte der folgende Montag sein, der 18. Februar 2008. Aidan hatte mich bereits an diesem Samstag ins Blue Building gebracht, damit ich ohne Verzug in allen Sicherheitsbelangen instruiert und ausgerüstet werden konnte. Ich wartete einige Augenblicke gegenüber einem Pförtner hinter blaugetönter Panzerglasscheibe, der mich ebenso freundlich und interessiert musterte wie zuvor die Wache an der Sicherheitsschleuse. Dann erschien der Chef der Sicherheitsabteilung, die sich wie alle anderen Einheiten des ICO noch im Aufbau befand. Der hochgewachsene, schlanke Mann hieß Peter Kaminek und hatte ein freundliches, klares Gesicht und professionelles Auftreten. Als wir uns miteinander bekannt machten, stellte sich schnell heraus, daß er Tscheche und ehemaliger Infanterieoffizier war. Sein graumeliertes Haar stand ihm gut zu den blauen Augen, und er war angezogen wie ein Ranger: Stiefel aus GoreTex, olivgrüne Trekkinghose mit großen, von Multifunktionstaschenmesser und anderen Utensilien prall gefüllten Beintaschen, graues Flanellhemd mit Schulterklappen und hochgerollten Ärmeln, die stark behaarte, muskulöse Unterarme und eine Uhr samt Kompaß am Armband freigaben. Kamineks Büro war angefüllt mit Funkgeräten, Nato-Landkarten, einer großen, mit Notizen gespickten Wandtafel, einem mit Listen, Tabellen und sonstigen Unterlagen überhäuften Besprechungstisch, vier weiß bepinselten Stahlhelmen auf einem Metallregal an der Wand, daneben Schutzwesten und weitere Gegenstände wie Handlampen, Ladestationen und Verbandsmaterial, mit dem sich der Raum im Handumdrehen in einen paramilitärischen Gefechtsstand verwandeln ließ.
Kaminek entnahm meinen Unterlagen, daß ich ebenfalls Infanterist und Offizier der Reserve war. Das erfreute ihn, und er meinte, daß er sich die Hälfte seiner nun folgenden Ausführungen sparen könne, da ich das Metier ja kenne. Ich erhielt zusätzlich zu einem dienstlichen Mobiltelephon ein weitreichendes Motorola-Handfunkgerät, wie ich es von der Bundeswehr her tatsächlich kannte, und eine kurze Einweisung in die Aufteilung der Frequenzen sowie die verschiedenen Funkkreise, die zwischen Nato, Uno und unseren neuen ICO-Einheiten in Betrieb waren, außerdem Verhaltensregeln für die unterschiedlichen Sicherheitsstufen und Angaben zu dem Sammelplatz einer möglichen Evakuierung durch Luftlandetruppen. Im Vorfeld der für den nächsten Tag vorgesehenen Unabhängigkeitserklärung war die Sicherheitsstufe erhöht worden, so daß wir in einer festgelegten Reihenfolge mehrmals täglich einen Funkappell durchführten und uns in ständiger Rufbereitschaft befanden. Ich unterschrieb eine Vielzahl von Belehrungen, Erklärungen und Belegen, die den Umgang mit sicherheitsrelevanten Informationen, Nachrichtendiensten, Sicherheitsbestimmungen usw. betrafen, und bemühte mich, alle Anweisungen mit einem Gesichtsausdruck von Routine und Vorverständnis aufzufassen. Das schien mir zu gelingen, denn in kurzer Zeit war die Prozedur beendet, und ich erhielt abschließend eine elektronische Marke zum Eintritt in das Gebäude, einen Schlüssel für mein Büro und zum Abschied einen kameradschaftlichen Schulterklaps von Kaminek, dessen Wucht mich leicht in die Knie gehen ließ.
Aidan brachte mich, dermaßen ausgestattet, zu einem zentral gelegenen Hotel und lud mein Gepäck aus, während ich mich am Tresen anmeldete. Dann war ich mir selbst überlassen. Für fünf Tage würde die Unterkunft im Hotel vom ICO bezahlt werden; in dieser Frist mußte ich eine Wohnung finden. Diese und alle anderen Ungewißheiten schob ich beiseite, richtete mich rasch ein und verließ das enge Zimmer wieder, um auf eigene Faust die Stadt zu erkunden. Mit dem Funkgerät im Holster unter meiner Jacke trat ich vor die Tür. Es war der Vorabend der Unabhängigkeitserklärung, und schnell war die Dunkelheit hereingebrochen. Da wir uns am äußeren Rand der mitteleuropäischen Winterzeitzone befanden, war der Himmel bereits am frühen Abend finster wie in tiefer Nacht, dazu sternenklar. Die Straßen waren noch belebter als zuvor, und die meisten Fahrzeuge promenierten in Vorfreude auf den Moment der Unabhängigkeit. Viele der Automobile waren mit Menschen überladen, die trotz der niedrigen Temperatur aus den Fenstern lehnten oder auf den Dächern und Motorhauben hockten. Sie streckten ihre Arme mit dem Victory-Zeichen empor und ließen große, blutrote, albanische Fahnen über ihren Köpfen wehen. Lautes Hupen und schrille Rufe erschollen durch die Nacht, eine verhaltene Spannung schien über Priština zu liegen.
So fühlt es sich an, wenn Geschichte geschieht, dachte ich zufrieden und sah mich ein wenig an die Zeit der Wende und meine Eindrücke des Jahres 1989 erinnert. Zwischen dem hin und her brandenden Verkehr und einer dichten Menge von Fußgängern erreichte ich einen kleinen Platz. Fast ausschließlich Männer waren unterwegs, mit dunklen Haaren und Augen, die meisten auch dunkel gekleidet. Doch einige Grüppchen von Jugendlichen rannten zwischen den Männern kreuz und quer, schwenkten ihre Fahnen, lärmten in die Nacht hinein und ließen gelegentlich eine Silvesterrakete in den schwarzen Himmel steigen. In der Menge bewegte sich außerdem ein besonderes Völkchen, das mit Photoapparaten, Kameras und Mikrophonen auf der Jagd nach schönen Bildern umherlief: Reporter der internationalen Nachrichtenagenturen, Fernsehsender und Zeitschriften. Ihre Übertragungswagen und Antennenschüsseln waren am Rande des Platzes versammelt und versicherten allen Anwesenden nochmals eindrücklich, daß sie einen historischen Moment zu erleben im Begriffe standen und die Augen der Welt sich für einen kurzen Wimpernschlag auf das richteten, was gerade jetzt in Priština geschah. Mir jedoch zerstörte die Anwesenheit der Reporter den Eindruck des Besonderen. Immer wenn eine Kamera auftauchte, wurden die Menschen schlagartig zu schlechten Schauspielern. Sie versammelten sich vor der Linse, und ihre Ekstase war nur mehr gespielt. Sie vollzogen ihre Veitstänze nicht nur vor dem Objektiv, sondern für das Objektiv. Genauso gut hätte sich ihr Verhalten auf den glücklichen Ausgang eines Fußball-Länderspiels beziehen können, fand ich und war enttäuscht ob der plötzlich greifbar gewordenen gekünstelten Banalität der gesamten Situation. Es war wie bei Heisenberg: Die Beobachtung eines Gegenstands verändert die Eigenschaft desselben.
Gerade, als ich Überlegungen zum Abendessen anstellen wollte, erhielt ich eine Kurznachricht von Veronika Winzmann. Sie kam vom Ratssekretariat der EU und war für unser Aufbauteam so etwas wie die Mutter der Kompanie. Über eine persönliche Empfehlung hatte sie maßgeblich meine Rekrutierung für diese Aufgabe betrieben. Zuletzt hatten wir uns in Brüssel bei meinen Einstellungsgesprächen gesehen, seither standen wir per E-Mail zu allen vorbereitenden Fragen in Kontakt. Nun erkundigte sie sich, ob ich gut eingetroffen sei und Lust auf ein gemeinsames Abendessen habe. Sogleich sagte ich zu, erhielt eine Wegbeschreibung als Antwort und fand mich kurz darauf in einem gemütlichen Restaurant inmitten einer kleinen, munteren Tischrunde wieder.
In Priština konnte man als Macchiato-Diplomat zu meiner freudigen Überraschung vielerorts vorzüglich und dazu preiswert essen. Die Gastwirte waren findungsreiche Improvisationskünstler und offen für kulinarische Einflüsse aus ganz Europa – nicht zuletzt, weil viele von ihnen als Flüchtlinge oder Gastarbeiter in den Küchen aller Herren Länder gearbeitet hatten. Die Gastronomie ist einer der für Flüchtlinge am