Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen. Martin Heipertz

Von einem, der auszog, einen Staat aufzubauen - Martin Heipertz


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einzudämmen. Die megalomanischen Pläne eines komplett neuen Kohlekraftwerks Kosovo C mit zweitausend Megawatt Leistung, die bei uns zirkulierten, hielt er für anachronistisch angesichts der unausweichlichen Wende zu erneuerbaren Energien. Zumal ein kleiner Plan zeitnah umgesetzt werden könnte, während der große Entwurf noch lange auf Realisierung warten würde. Bis dahin blieb das Kosovo einfach in mehrere Versorgungszonen eingeteilt, die unterschiedlich zuverlässig mit Strom beliefert wurden. Das Diplomatenviertel Dragodan, in dem ich kurz nach meiner Ankunft Quartier nehmen sollte, gehörte freilich zu der zuverlässigsten Zone – aber selbst hier gab es kaum eine Woche ohne längeren Stromausfall.

      An allen Ecken schepperten dann kleine Benzingeneratoren auf der Straße. Sie verpesteten die Luft noch mehr als das Kraftwerk von Obilić, aber wenigstens konnten die Leute damit notfalls auch privat die Elektrizität herstellen, ohne die zu leben der moderne Mensch verlernt hat, auch wenn er am Rande der Zivilisation lebt. Wenn dann Block A oder B wieder ans Netz ging, nachdem er längere Zeit ausgeschaltet gewesen war, qualmten seine Schlote eine Weile lang pechschwarzen Rauch, bevor dieser langsam wieder die normale, braungelbe Farbe annahm und sich erneut jener bittersüße Geruch über die Ebene ausbreitete, den ich nun, aus dem Flugzeug steigend, zum ersten Mal kostete.

      Ich schaltete mein Mobiltelephon ein und erhielt eine befremdliche Nachricht: Willkommen in Monaco. Eingehende Anrufe kosten neunzehn Cent pro Minute. Ich steckte das Gerät wieder in meine Hosentasche. Wie Monaco sah es um mich herum nicht gerade aus. In der Abfertigungshalle hatten sich lange Schlangen vor den wenigen Schaltern gebildet. Dennoch verlief die Einreise zügig und unkompliziert. Den notorischen kosovarischen Stempel erhielt ich noch nicht, denn die Gründung der Republic of Kosova stand ja erst bevor; ihre Verfassung wurde gerade geschrieben und sollte im Juli in Kraft treten. Die Mitarbeit an den die Wirtschaftsordnung des neuen Staates betreffenden Passagen eben dieser Verfassung sollte eine meiner ersten Aufgaben werden. Ohne Verfassung war es aber selbst aus Sicht der neuen Machthaber in Priština unschicklich, kosovarische Grenzer zum hoheitlichen Einsatz zu bringen, die andererseits bereits in fabrikneuer, vermutlich in Asien genähter und mit am Ärmel abstehenden Fäden versehenen Uniform auf ihren Posten saßen. In diesem Zwischenstadium galt weiterhin die Verwaltung der Vereinten Nationen, und noch waren diese Grenzer in ihrem Namen und unter ihrer Aufsicht tätig. Also erhielt ich einen Stempel mit dem fröhlichen Akronym UNMIK: United Nations Mission in Kosovo. Interessehalber erkundigte sich der Grenzer nach meinem Dienstherrn und war hochzufrieden, als ich mit European Union antwortete.

      »Europe good, UNMIK bad«, sagte er und lächelte mit schadhaftem Gebiß.

      Ich lächelte ebenfalls, auch wenn ich damals noch nicht recht ahnen konnte, was er an UNMIK auszusetzen hatte.

      UNMIK wurde von einem pensionierten deutschen Oberbürgermeister geleitet, als ich das Kosovo zum ersten Mal betrat. Die Mission hatte tatsächlich einen überaus schlechten Ruf, wie ich alsbald feststellte; bemerkenswerterweise sowohl unter Serben als auch Albanern und hinter vorgehaltener Hand auch unter uns Ausländern. Vertreter der beiden verfeindeten Volksgruppen schienen überhaupt nur in zwei Bereichen zu sofortiger, auch persönlicher, Übereinstimmung gelangen zu können: Wenn es um einen geschäftlichen oder finanziellen Vorteil ging, den sie gemeinsam auf Kosten der sogenannten Internationalen Gemeinschaft erzielen konnten, oder wenn man sie nach den Unzulänglichkeiten von UNMIK befragte.

      Der schlechte Ruf der Uno-Verwaltung mochte in ihren vom Krieg wenig begünstigten Anfängen begründet liegen oder auch aus jener Zeit stammen, als ihr Chef ebenfalls ein Deutscher war; allerdings kein Oberbürgermeister, sondern vielmehr ein profilierter Karrierediplomat. Dessen Auftreten und Vorgehensweise aber waren bei Kennern des Kosovos keineswegs als diplomatisch, sondern bestenfalls als unkonventionell in Erinnerung geblieben und Gegenstand mancher pikanten Anekdote. Der frühere Sicherheitsberater Gerhard Schröders war nach der sogenannten Kaviar-Arschloch-Affäre ins Kosovo versetzt worden – strafversetzt, wie einige interpretierten. Er soll zuvor in einer Regierungsmaschine der Luftwaffe bei einem Aufenthalt in Moskau lautstark Kaviar verlangt und einen Flugbegleiter mit dem genannten Kraftausdruck beschimpft haben, als die Fischeier so schnell nicht aufzutreiben waren. Nach einer Weile auf seinem Bewährungsposten im Kosovo ehelichte er vorübergehend eine der vielen, gutaussehenden Frauen, die das albanische Volk schon immer hervorgebracht hat. Damit jedoch verlor er das Vertrauen seiner serbischen Untertanen. Nebenbei war er auch Urheber der als Strategie bezeichneten Hilflosigkeit, die sich hinter dem Motto Standards vor Status verbarg. Er versprach, die Lebenssituation der Bevölkerung zu verbessern, die Qualität der Verwaltung zu erhöhen und die Annäherung an die EU auf den Weg zu bringen, nicht obwohl, sondern gerade weil die Klärung der alles überschattenden Frage nach dem völkerrechtlichen Status des Protektorats auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Was die Standards betraf, waren die Menschen auch sechs Jahre später noch unzufrieden, aber Unzufriedenheit mit der Politik ist eine menschliche Grundeinstellung, nicht nur auf dem Balkan. Das eigentliche und grandiose Scheitern seiner Vorgehensweise betraf den Status, dessen Dringlichkeit und Bedeutung fatal unterschätzt worden war. Die Pogrome von 2004 verfolgte der ehemalige UNMIK-Chef nur noch aus der Ferne, von seinem neuen Posten in Genf aus.

      Seine kurze Geschichte im Kosovo wurde in unseren Kreisen oft diskutiert, und die meisten von uns sogenannten Internationalen zogen den Schluß daraus, daß selbst unzweifelhafte Kompetenz nicht vor gravierenden Fehleinschätzungen schützt und schneidiges Auftreten als bleibender Eindruck schnell von Makeln in Fragen des Anstandes überschattet wird – ganz unabhängig davon, ob der Betreffende sich weiterhin politischer Gunst erfreut oder nicht. Die Bevölkerung jedenfalls hatte ihr anfängliches Vertrauen in die internationale Obrigkeit schnell verloren, zumal diese insbesondere im Kampf gegen die Korruption kaum Erfolge aufweisen konnte.

      Die viergliedrige Struktur von UNMIK umfaßte erstens die Bereiche Polizei und Justiz, zweitens zivile Verwaltung, drittens Demokratisierung und Aufbau von Institutionen sowie viertens physischen Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Der vierte Bereich, also der Wirtschaftsarm von UNMIK, zu der auch das heikle und korruptionsanfällige Privatisierungsgeschäft gehörte, wurde von Anbeginn an durch die EU verantwortet. Sie stattete ihn mit einer Vielzahl von Vertragskräften aus, deren Kompetenz mir nicht über alle Zweifel erhaben zu sein schien, als ich einige von ihnen bei der Abwicklung und Übergabe ihrer Verantwortlichkeiten an die von mir in diesem Fachbereich vertretene, neue Obrigkeit kennenlernen durfte. Im Zuge der Unabhängigkeit sollte nämlich dieser Wirtschaftsarm als einer der ersten in nationale Zuständigkeit übergehen. Diesen dann wiederum international zu überwachen, sollte unsere Aufgabe seitens der Wirtschafts- und Finanzabteilung des International Civilian Office sein. Das ICO hatte die zivile Hoheit über den neugeschaffenen Staat. UNMIK als Verwaltungskörper jedoch blieb auch ohne seinen vierten Arm weiterhin und parallel zum ICO bestehen. Vor allem gehörte zu der Uno-Präsenz immer noch die internationale Polizei, darunter einige starke Polizeieinheiten, die aus aller Herren Länder rekrutiert waren. Wie bei Friedenseinsätzen nicht unüblich, schien es sich für so manches Entwicklungsland finanziell zu rentieren, Miliztruppen und Polizeikontingente der Uno für eine solche Verwendung zur Verfügung zu stellen. Ordnungskräfte beispielsweise aus Schwarzafrika schienen dann aber bisweilen aus Sicht der Kosovo-Albaner nicht immer den richtigen Ton zu treffen. Anläßlich einer Grenzkontrolle bei meinem nächsten Heimflug nach Frankfurt wurde ich Zeuge einer erhitzten Auseinandersetzung zwischen einem Einheimischen und einem nigerianischen Zolloffizier, die sich in schlechtem Englisch anbrüllten und sich gegenseitig als Rassisten bezichtigten.

      Die unrühmliche Zeit der Uno-Verwaltung also neigte sich ihrem Ende, und die neuen Strukturen, deren Überwachungsorgan ICO ich angehören sollte, schickten sich an, das Regiment zu übernehmen. Doch existierte UNMIK auch ohne administrative Verantwortung wie eine Untote weiter, und ihr langer Schatten fiel auf alles, was wir unternahmen. Denn das von Amerika geführte Abenteuer, dem Kosovo den Anschein von Staatlichkeit zu verschaffen, wurde von den proserbischen Vetomächten Rußland und China im Uno-Sicherheitsrat nicht gutgeheißen. Aufgrund des Vetos aus Moskau und Peking aber war es unmöglich, die dem Status quo ante zugrundeliegende Uno-Resolution 1244 außer Kraft zu setzen. So bestand UNMIK de jure fort, nur mit Ausnahme der genannten Wirtschaftsabteilung, die man im stillschweigenden Einvernehmen auflöste. Beide Systeme, das alte und das neue, gebärdeten sich in kafkaesken Verrenkungen, wann immer ihre


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