Mein Walk of Fame. Dieter Wahl

Mein Walk of Fame - Dieter Wahl


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aufs Pflaster legt.

      Sollte der Treff missglücken, hätte das keine redaktionellen Folgen. Es ist kein geforderter Pflichttermin, sondern eine hausgemachte Kür. Denn zum knallharten täglichen Brot der Berichterstattung über die aktuelle Politik in unserem weiträumigen westeuropäischen Länderbereich hatte ich begonnen, mir und dem Fernsehpublikum einen selbst gestellten Auftrag zu erfüllen. Ich hatte mir eine Liste ausgeknobelt mit Namen hochkarätiger internationaler Persönlichkeiten, die ich aus der Welt von Kunst, Literatur, Politik, Film, Theater- und Showbühne verehre und näher kennenlernen und befragen wollte – nicht über den letzten Skandal oder die vorletzte Liebschaft. Nein, ich wollte ihre Intelligenz nicht durch Lappalien beleidigen, sondern ihre Meinung zu substanziellen Themen erfahren. Das machte den Reiz meiner Idee aus, deren Verwirklichung ich mir allerdings leichter vorgestellt hatte. Zugute kam mir dabei ein Bonus, den ich voll ausspielte: Als Mann des DDR-Fernsehens war ich inmitten der Westpresse ein Exot, auf den oft auch ein West-Prominenter neugierig war. Da traf Neugier auf Neugier.

      Anfangs griff ich mir aus meinem Wunschzettel diesen und jenen Kandidaten heraus, den ich glaubte, problemlos vor die Kamera zu bekommen, weil er unter demselben Himmel in Paris wohnte. Schnell aber dämmerte mir, dass ein Multigenie und Kosmopolit wie Peter Ustinov als Weltbürger in ganz Europa zu Hause ist und man ihm von Paris bis Genf hinterherrecherchieren muss. Das habe ich monatelang immer mal wieder getan, wenn Luftlöcher in der Arbeit es gestatteten. Ihn zu suchen, war eine strapaziöse Telefon-Odyssee – ihn gefunden zu haben, eine überreichliche Belohnung.

      Über zahlreiche Umwege hatte ich mir Ustinovs private Telefonnummer von seinem Haus in Bursins zwischen Genfer See und Jura-Gebirge besorgt. Damit begann eine wochenlange Durststrecke vergeblicher Versuche. Nach intensivem Schweigen ließ sich plötzlich die Stimme einer Haushälterin vernehmen und es entspann sich ein nerviger Dialog: „Herr Ustinov ist unterwegs.“ „Wo?“ „Diesmal in Europa.“ „Könnten Sie das bitte präzisieren?“ „Fragen Sie in seiner Filiale in Boulogne-Billancourt nach. Das ist bei Paris.“ Ich konnte es nicht fassen. Da horchte ich in aller Welt herum und direkt neben mir nur einige Straßen weiter saß sein Management. Wenigstens hatte ich seine Agentin auf Anhieb an der Strippe. Madame Coutourie hörte sich mein Begehr geduldig an und gab bereitwillig Auskunft: „Monsieur Ustinov ist derzeit in England.“ „In London?“ „Ja, in einem Hotel in London. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.“ Das war schon etwas Genaueres. Ich schöpfte wieder Mut.

      Nach weiteren Kreuz-und-quer-Recherchen in Ustinovs Freundeskreis kannte ich schließlich seine Bleibe in der Themse-Stadt. Pech: Der Weltenbummler hatte bereits das Hotelzimmer geräumt. Glück: Der beherzte Portier erwischte ihn noch in der Empfangshalle, wo ihn eine Gruppe von Autogrammjägern umzingelt und damit aufgehalten hatte. Ich bin ihnen dafür heute noch dankbar. Bange Warteminuten erschienen mir wie eine Ewigkeit, aber schließlich war er am Telefon. Endlich! Der Druck des Suchens wich dem Glück des Findens. Ja, es war die filmbekannte Stimme von Peter, dem Großen. Als ich mich als Deutscher oute, wechselt er mühelos vom tadellosen Englisch ins tadellose Deutsch.

      Statt Adresse ein Winksignal

      Meine von mir dramatisch ausgeschmückte Verfolgungsjagd auf seinen Spuren amüsierte ihn sichtlich. Das war auch spürbar am Tonfall, der in wohlwollender Modulation durch die Leitung drang. Ja, übermorgen sei er in Paris. „Ein Treffen und ein Interview fürs Ostfernsehen? Ein Novum! Warum nicht?“ „Wo und wann?“ „Kommen Sie gegen zehn zum Trocadéro-Platz, zu der kleinen leicht abschüssigen Straße links hinter dem Palais de Chaillot. Dort warte ich.“ „Welche Hausnummer, Herr Ustinov?“ „Ist nicht nötig. Ich schaue von der obersten Etage aus dem Fenster und winke mit meinem Schal.“ Ich glaubte mich verhört zu haben, fragte ungläubig und verdattert zurück: „Am Fenster?“ Ich spürte förmlich durch den Hörer, wie er die Situation genoss: „Ja, Sie sehen mich oben am Fenster. Ich werde winken.“ Damit verabschiedete er sich und ließ mich mit meiner Verblüffung allein.

      Auf die Minute genau erscheint er Punkt zehn im Obergeschoss eines unauffälligen Altpariser Reihenhauses im Fensterrahmen und wedelt mit einem Schal. Echt Ustinov! Das ist sein Auftritt! Wenn keine Bühne da ist, schafft er sie sich selbst. Gagverliebt, wie ihn alle beschreiben, die ihn erlebt haben. Wir nun auch. Ein Erzkomödiant mit fanatischem Sinn fürs Ausgefallene. Ein geistreicher Gaukler, der seine Zeit kritisch auslotet, ihre Krankheiten mit der Präzision eines Skalpells seziert und mit erbarmungsloser Satire geißelt. Ein Tänzer auf vielen Hochzeiten – und auf einem dünnen Seil über dem Abgrund, wenn er die Mächtigen dieser Welt für ihre Todsünden sowohl mit beißender Satire als auch mit beiläufigem Spott überzieht. Nie laut und polternd, sondern mit leisem, feinsinnigem Humor. Nie Hiebe mit der Axt oder dem Säbel, sondern Pikser mit der Nadel oder Stiche mit dem Florett. Dafür hasst ihn die Schar der Angegriffenen und liebt ihn der Rest der Welt. Ein kreativer Intellektueller und 14-facher Ehrendoktor, ausgestattet mit der Gabe des unverbesserlichen Optimismus. Sein Motto: „Humor ist einfach eine komische Art, ernst zu sein.“

      Extrem ungewöhnlich ist er seit jeher, der Sohn eines deutschen Journalisten und einer französischen Malerin, der zudem noch russische und äthiopische Vorfahren hat. Er weiß selbst nicht so recht, was er eigentlich ist. Auf jeden Fall aber ein begnadeter Theater-, Film- und Selbstdarsteller, Regisseur und Schriftsteller, Maler und Karikaturist, Bühnenbildner, Entertainer und Alleinunterhalter, der sein Publikum mit geistreichen Pointen überschüttet. Sie sprudeln nur so aus ihm heraus, als wir zum Café Kleber am Rande des kopfsteingepflasterten Rondells schlendern. Er parliert mit uns in fließendem Deutsch, beherrscht aber mit derselben verbalen Leichtigkeit weitere sieben Sprachen: Englisch, Russisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch und Türkisch. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der stets bestens informierte Haudegen der alten Schule sich unterwegs an einem Kiosk mit Zeitungen aus aller Herren Länder eindeckt. Er ist 65 Jahre alt und Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Weißhaarig, gelbgemusterte Krawatte zum hellgrün gemuschelten Seidenschal, weißes Hemd unter dunklem dickwolligem Wintermantel.

      Ich vermisse das Presseklischee, er habe es immer eilig. Sollte es so sein, woran ich nicht zweifle, merkt man es ihm nicht an. Er ist die personifizierte freundliche Ruhe und Ausgeglichenheit eines Mannes, der mit sich selbst, seinem Leben, seinem Standpunkt und Stehvermögen im Reinen ist. Ein älterer Herr, der weiß, was er ist, kann und will, wenngleich er sich schon wieder zwischen zwei stressigen Terminen befindet.

      Neulich, so berichtet er, habe er in der kirgisischen Hauptstadt Frunse den kommunistischen Schriftsteller Tschingis Aitmatow besucht, der mit seiner verfilmten und vielfach übersetzten Erzählung „Djamila“ berühmt wurde. Später, in der Perestroika-Zeit, war er Berater Gorbatschows, letzter Botschafter für die Sowjetunion in Luxemburg und anschließend für Kirgisistan in Frankreich und den Beneluxtaaten.

      Vor unserem Treffen, so plaudert Ustinov in offener, unverblümter Art weiter, habe er in Washington einen Empfang von Ronald Reagan moderiert. Seine Miene wird verschmitzt. Er habe sich gewundert, dass der Präsident immer als Letzter über seine Witzeleien gelacht habe – bis er mitbekam, dass der Boss des Weißen Hauses wohl schwerhörig sei. Daraufhin habe er ihm sicherheitshalber die Pointen seiner Scherze noch einmal ins Ohr geflüstert. Der Anflug eines schelmischen Lächelns gleitet über sein Gesicht.

      Obwohl leichtes Frösteln in der Luft liegt, hat der Wirt vom Café Kleber noch Korbstühle draußen gelassen, wenngleich sie niemand benutzt – außer Peter Ustinov. Wir setzen uns zu ihm und laden ihn zu einem Espresso ein. Der Kellner verschwindet und erscheint mit einem Gästebuch und der Bitte nach einem Autogramm. Es wird gut drei Jahre später noch wertvoller werden, nachdem Frankreich Monsieur Ustinov mit der höchsten Würde beglückt, die einem Ausländer zuteilwerden kann. Die „Académie française der Schönen Künste“ nimmt den England-Schweizer Anfang 1989 in ihren erlesenen Kreis der „Unsterblichen“ auf. Das ist schon für einen Franzosen eine kaum vorstellbare Ehre, für einen Fremdling kommt es einer Heiligsprechung gleich. Und noch ein Jahr weiter wird Ustinovs Autogramm bestimmt glasgerahmt einen Ehrenplatz im Café Kléber erhalten, denn 1990 schlägt ihn Königin Elisabeth II. zum Ritter und adelt ihn mit dem Titel „Sir“.

      Ein vermisster Trabi

      Der künftige England-Adlige


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