Dual Use. Frank Th Petermann
jedoch oftmals nicht oder nur hinlänglich vertraut sind. Eines der Ziele der vorliegenden Monografie ist es daher auch, Anwälten und Exportkontrollverantwortlichen bei konkreten Problemstellungen als Nachschlagewerk dienen zu können.
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Um diese Zielsetzungen zu erfüllen, enthält das Buch daher zuerst einen kurzen Abriss zum Thema Exportkontrolle, danach werden die völkerrechtlich (verbindlichen und nicht verbindlichen) sowie die binnenrechtlichen Rechtsgrundlagen der Exportkontrolle dargestellt. Grundbegriffe und Grundlagenwissen der Exportkontrolle werden in einem eigenen Kapitel dargestellt, ebenso wie der Begriff der Compliance im Exportkontrollrecht. Erst danach wird die Güterkontrollgesetzgebung der Schweiz im engeren Sinne, das Güterkontrollgesetz, die Güterkontrollverordnung und die in der Praxis äusserst wichtigen Anhänge zur Güterkontrollverordnung (die sogenannten Güterlisten) behandelt. Letztere werden sehr ausführlich behandelt, insbesondere Anhang II zur Güterkontrollverordnung, die Liste der Dual-Use Güter. An geeigneter Stelle werden Beispiele aus der Praxis dargestellt und Lösungsansätze aufgezeigt.
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Eine für die Praxis bisweilen sehr wichtige Materie wird im vorliegenden Werk nicht behandelt, das US-(Re-)Exportkontrollrecht. Das US-(Re-)Exportkontrollrecht kontrolliert zwar primär die Exportaktivitäten aus den USA heraus, ist also quasi das amerikanische Pendant zum Güterkontrollgesetz. Es enthält jedoch auch Regelungen für die Ausfuhren aus Drittländern (also auch aus der Schweiz), wenn die Ausfuhrgüter einen gewissen Anteil amerikanischer Teile aufweisen und dadurch (aus amerikanischer Sicht) als US-Güter einzustufen sind, was als (Re-)Export bezeichnet wird. Die Vereinigten Staaten von Amerika nehmen damit für die Kontrolle von Lieferungen amerikanischer Waren, Software und Technologien grundsätzlich eine weltweite Zuständigkeit für sich in Anspruch. Eine umfassende Darstellung hätte den Rahmen der vorliegenden Monografie gesprengt, während eine bloss schematische Bearbeitung der Thematik der Bedeutung, welche diese Materie in der Praxis haben kann, nicht Genüge getan hätte.
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Das Güterkontrollgesetz ist mit verhältnismässig scharfen Strafbestimmungen versehen. Verstösse gegen Exportkontrollbestimmungen können daher – wenn nachgewiesen – zu empfindlichen Strafen führen. Aus diesem Grunde behandelt das letzte Kapitel ausschliesslich die Situation von (behaupteten) Verstössen gegen das Güterkontrollgesetz. Ziel dieses Kapitels ist es, auch mit der Materie wenig vertraute Anwälte in die Lage zu versetzen, sich rasch ein Bild über die sich stellende Problematik machen zu können. Dies soll es ihnen ermöglichen, in einem solchen Fall die Interessenwahrung des Klienten in optima forma zu gewährleisten, und zwar noch während sich der Fall im Untersuchungsverfahren befindet – und der Anwalt damit Möglichkeiten zur Einflussnahme hat.
2.1 Geschichtliches
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Mit zunehmender Regelungsdichte und -komplexität trat die Bedeutung des Fachs Rechtsgeschichte in der juristischen Ausbildung in den Hintergrund. Dabei gibt es wenig Rechtsgebiete, welche die Bedeutung der Geschichte (und damit auch der Rechtsgeschichte) eingehender darzulegen vermögen, als es die Exportkontrollregelungen tun. Für das Verständnis der Materie als solche sind weltgeschichtliche Kenntnisse von grossem Nutzen; für das Verständnis der Güterlisten der Dual-Use Güter ist die Kenntnis ihrer geschichtlichen Entwicklung schlichtweg unerlässlich. Im vorliegenden Werk wird – aus Platzgründen – auf geschichtliche Bezüge jedoch nur soweit Bezug genommen, als sie zum Verständnis der Materie jeweils unentbehrlich sind.
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Die Exportkontrolle ist keine Erfindung der Neuzeit, soll doch das Verbot von Kaiser Marc Aurel (121–180), Waffen wie Schwerter, Schilde, Pfeile und Bogen an Barbaren zu verkaufen, die erste bekannte Exportkontrolle gewesen sein.[1] Als zweites Beispiel wird das Verbot von Papst Innozenz II. (1088–1143) aus dem Jahre 1139 erwähnt, die Armbrust zu benutzen.[2] Letzteres Beispiel ist jedoch insofern nicht richtig, weil es hier weniger um die Exportkontrolle ging als um die Ächtung eines Kriegsgerätes.[3] Diese ist von der Exportkontrolle scharf zu unterscheiden, verfolgt sie doch völlig andere Ziele.
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Unter Ächtung von Kriegsmitteln versteht man ein selbst auferlegtes Verbot oder Übereinkommen von Staaten, bestimmte Waffen oder Munition ganz generell oder zumindest in einem bestimmten Konflikt nicht zu verwenden. Die Ächtung gilt auch dann, wenn der Einsatz dieser Waffen militärisch gesehen vorteilhaft wäre.[4] Die Gründe für solche Ächtungen haben sich im Laufe der Zeit verändert. War im Mittelalter deren Ziel v.a. die Aufrechterhaltung der Standesordnung, so hielt mit dem Aufkommen des Humanismus der Gedanke Einzug, menschliches Leid zu lindern und selbst in einem bewaffneten Konflikt wenn immer möglich dieses auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Seit dem Aufkommen der Massenvernichtungswaffen ist in erster Linie die Angst vor völliger gegenseitiger Vernichtung die treibende Kraft solcher Ächtungen.
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Die Exportkontrolle von Dual-Use Gütern in ihrer heutigen Form und Ausgestaltung kann als eine Resultante verschiedener Ereignisse der Achtziger- und Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts angesehen werden. Wichtig für das Verständnis der Materie ist jedoch zu wissen, dass die Exportkontrolle von Dual-Use Gütern bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann und seine Wurzeln im Beginn des Kalten Krieges hatte.
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Als Vorläufer der heutigen Exportkontrolle kann und muss das Koordinationskomitee für multilaterale Exportkontrollen (CoCom)[5] angesehen werden.[6] Dieses erste Kontrollregime, welches Dual-Use Güter einschloss, war ein auf Betreiben der USA initiierter Ausschuss mit Sitz in Paris. Es wurde am 22. November 1949 gegründet und nahm seine Arbeit per 1. Januar 1950 auf; zum Zeitpunkt seiner Auflösung Ende März 1994 gehörten ihm alle NATO-Staaten (mit Ausnahme Islands) sowie Japan und Australien an. Wie auch die heutigen Kontrollregime war das CoCom ein informelles und vertraglich nicht abgesichertes Gremium. Im Zeitpunkt seiner Gründung war der Ostblock der NATO zahlenmässig weit überlegen, weshalb es die Zielsetzung der Kontrollmassnahmen des CoCom war, diese zahlenmässige militärische Überlegenheit durch einen technologischen Vorsprung zu neutralisieren. Die restriktive Ausfuhrpolitik des CoCom ging jedoch weit über den Bereich der Massenvernichtungswaffen hinaus. So war das Ziel dieser Politik nicht nur, den Technologievorsprung der CoCom-Länder zu wahren, sondern auch den Rüstungswettlauf für potentielle Feinde zu verteuern. Die Massnahmen des CoCom richteten sich des Weiteren nicht nur gegen sämtliche Mitglieder des Warschauer Paktes, sondern auch gegen die kommunistischen Regime in China, Nordkorea, Vietnam, Albanien, Kuba und die Mongolei.[7]
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Das CoCom hatte drei Hauptfunktionen:
1.Erstellung und Revision der Ausfuhrkontrolllisten:
Es gab deren drei: die Internationale Rüstungsgüterliste, die Internationale Atomenergieliste sowie die Internationale Industrieliste, in der Güter (Waren und Technologien) aufgeführt waren, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden konnten (Dual-Use Güter). Ergänzung und Revision der Listen erfolgte an den regelmässigen Treffen der technischen Experten.[8]
2.Entscheidfällung über die von den Mitgliedstaaten eingereichten Ausfuhrgesuche:
Die der Kontrolle unterstellten Güter waren – gem. ihrer strategischen Bedeutung – in drei Kategorien eingeteilt:[9]
a.Für Güter der strategisch kritischsten Kategorie war eine Ausfuhr nur möglich, wenn alle CoCom-Staaten zustimmten (Prinzip der general exception).[10]
b.Für die Ausfuhr von Gütern der zweiten Kategorie galt das Prinzip der favorable consideration; die Ausfuhr war nur erlaubt, wenn kein Mitgliedstaat des CoCom dagegen Einspruch erhob.[11]
c.Für die Ausfuhr von strategisch unproblematischeren Gütern galt das Prinzip der national discretion; es brauchte keine Ausfuhrgenehmigung des CoCom; die Notifikation der Ausfuhr genügte.[12]
3.Koordination der nationalen Exportkontrollverfahren.[13]
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Während