Dual Use. Frank Th Petermann
nicht vielmehr dazu dient, sich selbst und allenfalls befreundete Nationen vor der Bedrohung durch nukleare und konventionelle Waffen zu schützen. Eine solche Haltung mag egoistisch sein, verwerflich ist sie dadurch jedoch nicht. Verwerflich wird sie durch die Unehrlichkeit; BÖTTCHER spricht gar von Heuchelei.[51] Eine solche Haltung erodiert Glaubwürdigkeit und Autorität einer Regierung – und macht es den Rechtsunterworfenen unnötig schwer, sich an grundsätzlich sinnvolle Regelungen zu halten, weil sie immer damit rechnen müssen, dass andere als die deklarierten Zielsetzungen damit verfolgt werden.
37
Exportkontrollregelungen im Bereich Dual-Use Güter betreffen sodann viele, wenn nicht gar einen Grossteil der heutigen Güter für industrielle Produktion. Staaten, denen der Zugang zu diesen industriellen Investitionsgütern verwehrt bleibt, haben faktisch keine Chance, selbst jemals eine industrielle Fertigung aufzubauen und sich so zu einer Industrienation zu entwickeln.
38
Man muss daher die Frage zumindest aufwerfen, ob die scharfen Exportkontrollregelungen im Bereich der Industriegüter neben den deklarierten Zielen nicht auch das Ziel verfolgen, zu verhindern, dass sich die von den Kontrollen erfassten Länder wirtschaftlich zu einer Konkurrenz für die eigene Industrie aufbauen können, also eine «Ersatzkolonialisierung» darstellen. Mit dieser in den Raum gestellten Frage soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass eine moderne industrielle Fertigung auch zur Fertigung von Waffen, Waffenbestandteilen und Munition verwendet werden kann. Auf der anderen Seite muss aber auch gesehen werden, dass man in der westlichen Welt überwiegend die Meinung vertritt, der beste Garant des Friedens sei materieller Wohlstand für die breite Bevölkerung. Indem bestimmte Länder von diesem materiellen Wohlstand für die breite Bevölkerung durch Verhinderung der Industrialisierung abgeschnitten werden, werden die Regionen, in welchen sich diese Länder befinden, auch dauerhaft von Befriedung und Stabilität abgeschnitten. Auch dies erscheint als Widerspruch zur nach aussen deklarierten Werthaltung vieler Staaten.
2.4.3 Grundrechtliche Fragezeichen von Exportkontrollregelungen
39
Das vorliegende Werk soll in erster Linie praktisches Wissen zur Güterkontrollgesetzgebung vermitteln. Dennoch soll an dieser Stelle die grundrechtliche Problematik zumindest kurz skizziert werden. Diese Skizzierung soll dem Anwender lediglich als gedanklicher Anstoss dienen, die grundrechtliche Thematik nicht vollständig aus dem Blick zu verlieren. Für die allermeisten Fälle wird der grundrechtliche Gesichtspunkt wohl nicht zum Tragen kommen. Wenn doch, dann lohnt es sich, sowohl die hier aufgeworfenen wie nicht aufgeworfenen Fragen mit grosser Sorgfalt und Akribie zu behandeln.
40
Die Regelungen der Exportkontrolle vermögen nicht in allen Bereichen zu überzeugen.[52] Zunächst einmal stellen sich Fragen nach der Effektivität der getroffenen Massnahmen, d.h., ob diese überhaupt in der Lage und geeignet sind, die genannten Ziele der Exportkontrolle (Non-Proliferation, Verhinderung der unkontrollierten Verbreitung konventioneller Rüstungsgüter und neu auch Terrorismusprävention) zu gewährleisten.[53] Diese Fragen ziehen quasi automatisch die Frage nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip nach sich. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Frage nach der Verhältnismässigkeit auf einer generell-abstrakten Ebene in Bezug auf die Güterkontrollgesetzgebung wohl bejaht werden dürfte, heisst das noch lange nicht, dass deren Prüfung auf einer individuell-konkreten Ebene, sprich auf eine Verfügung oder ein Urteil hin, zum gleichen Resultat kommen muss.
41
Als besonderer Mangel, welcher zwar grundrechtlich betrachtet eher von marginaler Bedeutung ist, dafür aber gesetzgebungstechnisch betrachtet umso schwerer wiegt, erscheint die Tatsache, dass aus den Materialien des Gesetzes nicht ersichtlich ist, ob vor deren Ausarbeitung überhaupt irgendeine Form von Rechtstatsachenforschung betrieben wurde. Damit weist das Gesetz per se bereits eine grosse Unzulänglichkeit auf, weshalb es allenfalls lohnenswert wäre, dieses Manko (zusammen mit anderen Punkten) einem Gericht zur Prüfung zu unterbreiten.[54]
42
Eine weitere Unzulänglichkeit aus der grundrechtlichen Betrachtungsweise ist, dass die Nennung der vier genannten Kontrollregime, die faktisch für die Schweiz mitbestimmen, welche Güter als Dual-Use Güter anzusehen sind, erst auf Verordnungsstufe erfolgt (Art. 1 Abs. 2 GKV). Es muss daher an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, ob dies mit dem Erfordernis der Gesetzesform (Gesetzesvorbehalt i.e.S.) in Einklang zu bringen ist. Zwar verlangt Art. 5 Abs. 1 BV nicht grundsätzlich, dass sich eine rechtliche Grundlage immer in einem Gesetz im formellen Sinn zu finden habe. Wenn aber Grundrechte schwerwiegend eingeschränkt werden, und dies ist hier gleich in mehrerer Hinsicht der Fall (Wirtschaftsfreiheit gem. Art. 27 BV und Schutz der Privatsphäre gem. Art. 13 BV), so besteht nach Art. 36 Abs. 1 BV das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage im formellen Sinn.[55]
43
Des Weiteren muss auch die Frage der Rechtsgleichheit zumindest aufgeworfen werden. Im schweizerischen Verfassungsrecht ist diese in Art. 8 BV geregelt, und der Schutz vor Willkür und die Wahrung von Treu und Glauben in Art. 9 BV.[56] Man spricht von «absoluter Gleichbehandlung», wenn das Recht an zwei miteinander vergleichbare Sachverhalte die genau gleichen Rechtsfolgen anknüpft. Durch eine solche absolute Gleichbehandlung entsteht mitunter aber das Paradoxon einer rechtsungleichen Behandlung. Müssen z.B. Spitzenverdiener und Schlechtverdienende den genau gleichen Betrag an Steuern entrichten, so sind zwar die Rechtsfolgen gleich, aber der Schlechtverdiener muss einen viel grösseren Teil seiner finanziellen Mittel aufwenden, um die Steuern zu bezahlen. Früh wurde bereits erkannt, dass in solchen Fällen der Gleichheitsgedanke besser durch eine «relative Gleichbehandlung» verwirklicht wird. Um beim genannten Beispiel zu bleiben, indem unter Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten der Steuerpflichtigen verschieden hohe Steuern erhoben werden, z.B. durch Festsetzung einer entsprechenden Steuerprogression.[57]
44
Absolute Gleichbehandlung wird durch die Bundesverfassung nur in sehr wenigen Fällen verlangt, bspw. bei der Menschenwürde, beim Stimmrecht etc. Grundsätzlich aber wird die Rechtsgleichheit durch eine differenzierende Regelung realisiert. Es gilt diesbzgl. der Gleichheitssatz: Gleiches ist nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln.[58]
45
Dem Gesetzgeber kommt dabei zwar eine erhebliche Gestaltungsfreiheit zu, es ist ihm jedoch verboten, Differenzierungen zu treffen, für die keine sachlichen und vernünftigen Gründe vorliegen. Auf der anderen Seite darf er sich aber auch nicht über erhebliche tatsächliche Unterschiede hinwegsetzen. Danach verletzt ein Erlass das Rechtsgleichheitsgebot, «wenn hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn Unterscheidungen unterlassen werden, die aufgrund der Verhältnisse hätten getroffen werden müssen».[59]
46
In Bezug auf die Güterkontrollgesetzgebung resp. deren Umsetzung wird, wie noch aufgezeigt wird, die Compliance eine wichtige Rolle spielen. Die Compliance delegiert u.a. komplexe Kontrollaufgaben an die Rechtsunterworfenen. Zwar muss die Tatsache, dass in einer immer komplexer werdenden Welt auch das Recht komplexer wird, als eine unvermeidbare Realität angesehen werden. Im Bereich der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern hat diese Komplexität nun aber Formen erreicht, welche einerseits über das Ziel hinausschiessen und andererseits insb. für kleinere Exporteure, welche nicht über eigene spezialisierte Fachpersonen im Hause verfügen, eine Benachteiligung darstellen.[60]
47
Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, dass die von einem Rechtsunterworfenen kaum in vollem Umfang vorhersehbaren Risiken, die ihm aus dem Export von Dual-Use Gütern erwachsen, durchaus zu Konflikten mit Art. 8 Abs. 1 EMRK führen können. Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Grundrechtsnorm, welche anlässlich der Revision der Bundesverfassung ihr Pendant in Art. 13 BV gefunden hat. Art. 8 Abs. 1 EMRK resp. Art. 13 Abs. 1 BV verlangen von den Vertragsstaaten u.a. die Achtung