Methoden in der Politikwissenschaft. Rolf Frankenberger
gab, aber auch Fragen, die sich aus bisherigen Antworten ergeben. Dabei geht es nicht um beliebige Fragen, sondern um wissenschaftlich – und idealerweise: gesellschaftlich – relevante Fragen. Ziel der Forschung ist dabei neben der konkreten Antwort: den Wissensbestand über die Wirklichkeit zu erweitern, zu verfeinern und zu verbessern. Ziel muss es auch sein, insofern Forschung gesellschaftlich relevant sein will, Handlungsempfehlungen zu geben, wie diese Wirklichkeit besser, lebenswerter gestaltet werden kann. Letzteres Ziel mögen nicht alle Wissenschafter:innen teilen. Aber Wissenschaft und Forschung haben immer auch eine Wirkung in die Gesellschaft hinein. Im Gegenzug hat die Gesellschaft auch Ansprüche an die Wissenschaft, nämlich dass diese Probleme des Lebens und Zusammenlebens zum Ausdruck bringt und in das öffentliche Bewusstsein rückt. Dieses Wechselspiel ist für eine moderne, empirisch ausgerichtete Politikwissenschaft von besonderer Bedeutung, beschäftigt sie sich doch von Berufs wegen mit der Analyse derjenigen Prozesse, Strukturen und Akteur:innen, die mit dem Herstellen und Durchsetzen allgemeinverbindlicher Entscheidungen in einem Staat, einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft oder Gruppe befasst sind.
Zur Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen möchte der vorliegende Band einen Beitrag leisten, indem für die Politikwissenschaft und die in der Politikwissenschaft verwendeten Methoden dargelegt wird, wie ein wissenschaftlicher Erkenntnisprozess abläuft, wie er hinsichtlich seiner Qualität bewertet werden kann und welche Methoden bei welchen Fragestellungen zur Anwendung kommen. Im Folgenden findet sich ein kurzer Überblick über die Inhalte des Buches, das den Leser:innen eine Orientierungshilfe anbietet, wenn sie sich für ein bestimmtes Thema interessieren.
In Kapitel 2 wird der Begriff Wissenschaft definiert als systematisches, regelgeleitetes und selbstreflektiertes Erzeugen von Erkenntnis. Dabei wird auf die Bedeutung von Theorien ebenso eingegangen wie auf wichtige Grundelemente der Wissenschaft: Begriff, Definition, Variable, Aussage, Hypothese. Für die Anwendung von Theorien spielen die Konzepte der Übersetzung (Operationalisierung) und der Erfassung (Messung) von Begriffen und Hypothesen im Forschungskontext eine zentrale Rolle. Sie werden gesondert diskutiert.
Kapitel 3 geht der Frage nach, wie empirisch fundierte, also in der Wirklichkeit verankerte, Erkenntnis möglich ist. Ausgehend von den sozialwissenschaftlichen Grundpositionen Positivismus und Konstruktivismus werden Induktion und Deduktion als schlussfolgernde Verfahren der empirischen Verankerung von Erkenntnis in der Wirklichkeit vorgestellt sowie – darauf aufbauend – Unterschiede und Gemeinsamkeiten qualitativer und quantitativer Herangehensweisen aufgezeigt.
Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftstheoretischen Grundlagen behandelt Kapitel 4 die Politik als Gegenstandsbereich einer wissenschaftlichen Disziplin. Dabei werden Politikbegriffe, Dimensionen und Analyseebenen der Politik ebenso vorgestellt wie metatheoretische Grundpositionen in der Politikwissenschaft. Was es bedeutet, Politikwissenschaft als Erfahrungswissenschaft zu betreiben, wird abschließend diskutiert.
Wie Forschungsprozesse ablaufen und wie deren Güte beurteilt werden kann, ist Gegenstand von Kapitel 5. Dabei werden idealtypische Abläufe quantitativer, positivistischer Forschungsprozesse und qualitativer, meist konstruktivistischer Forschungsprozesse vorgestellt sowie jeweils Prüfkriterien, anhand derer die Qualität der Forschung bewertet werden kann. Während das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit für beide Ansätze gilt, werden für quantitative Forschung die Kriterien Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Zuverlässigkeit) und für qualitative Ansätze Indikation (Angemessenheit), empirische Verankerung, Kohärenz und reflektierte Subjektivität als Gütekriterien diskutiert.
In Kapitel 6 wird am Beispiel der Untersuchung von Demokratieverständnissen herausgearbeitet, welche Rolle wissenschaftliche Grundpositionen und Erkenntnisinteressen für die Gestaltung eines Forschungsprozesses sowie die Analyse von Daten spielen. Demokratieverständnisse können deduktiv und quantitativ anhand standardisierter Fragebögen und statistischer Auswertung erfasst werden. Oder sie können induktiv und qualitativ anhand offener Befragungsformen und inhaltsanalytischer Methoden untersucht werden. Dabei zeigt sich, dass beide Herangehensweisen sich bei der Erzeugung und Überprüfung von Wissen durch ihre spezifischen Stärken ergänzen.
In Kapitel 7 werden in der Politikwissenschaft häufig verwendete Methoden der Datenerhebung wie etwa Experiment, Beobachtung, Befragung und Dokumentenanalyse vorgestellt. Methoden der Datenanalyse werden in qualitative und quantitative Verfahren unterteilt und entsprechend präsentiert. Die Grundannahmen und zentralen Arbeitsschritte sowie Herausforderungen bei der Verwendung der jeweiligen Methoden werden ausgehend von typischen Forschungsfragen diskutiert, welche mit der Methode beantwortet werden können.
In Kapitel 8 schließlich werden einige zentrale Bände zu Methodologie und Methoden (nicht nur) der Politikwissenschaft kurz besprochen. Das ausführliche Literaturverzeichnis schließt den Band ab.
2 Was ist Wissenschaft? Eine kurze Annäherung
Wissenschaft kann definiert werden als eine »in ihren Aussagen überprüfbare und systematische Beschäftigung mit nahezu beliebigen Bereichen der Natur, des menschlichen Denkens und des menschlichen Zusammenlebens und seiner Gestaltungsformen« (Mols 2019, 24). Es können also die unterschiedlichsten Dinge, vom schon genannten Klimawandel bis zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms, von schwarzen Löchern bis zur Entwicklung eines Klebstoffs, von der Entstehung politischer Parteien bis hin zu Krieg und Frieden, Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung sein. Im Unterschied zu Alltagswissen, das auf den eigenen Erfahrungen, den Erzählungen anderer oder überlieferten Geschichten von früher (Traditionen) beruht und oft in seiner Entstehung nicht nachvollzogen werden kann, müssen wissenschaftliche Aussagen intersubjektiv, also unabhängig von der aussagenden Person, nachvollziehbar sein. Um Intersubjektivität zu erreichen, müssen wissenschaftliche Aussagen einer Reihe von Kriterien genügen. Dazu gehören:
Präzise Sprache und genau definierte Begriffe. Es muss klar formuliert sein, was man meint, wenn man einen bestimmten Begriff verwendet, also welche Bedeutung der Begriff hat. Denn es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man Demokratie als »ich darf selbst mitentscheiden« oder als »die gewählten Vertreter entscheiden« definiert. Folgt man der ersten Definition, wird man das politische System Deutschlands als verbesserungsfähig ansehen, da es Möglichkeiten des direkten Entscheidens vor allem auf der kommunalen Ebene, weniger auf der Landesebene und mit Ausnahme der Neugliederung des Bundesgebiets (Art. 29 Abs. 2 GG) und einer neuen Verfassung (Art. 146 GG) nicht auf Bundesebene gibt. Folgt man der zweiten Definition, so wird man womöglich zu einer positiveren Bewertung kommen. Grundsätzlich wird man aber aneinander vorbeireden, wenn man sich nicht über die Bedeutung von Demokratie verständigt, sondern davon ausgeht, dass die eigene Definition geteilt wird. Für den Umgang mit Wissenschaft und wissenschaftlichen Studien bedeutet das, sich sehr genau anzuschauen, wie wichtige Begriffe und Konzepte definiert sind, um nachzuvollziehen, was damit gemeint ist.
Standardisierte und regelgeleitete Vorgehensweisen bei der Untersuchung der Welt. Wenn ein Thema oder Ereignis wissenschaftlich untersucht wird, muss klar sein, wie man bei der Untersuchung vorgegangen ist, welche einzelnen Schritte bei einem Experiment man gemacht hat, welche Fragen in einer Umfrage gestellt wurden und allgemeiner: welche Methoden man verwendet hat, um zu Erkenntnis über die Welt zu gelangen. So kann man in einer Umfrage zur Demokratiezufriedenheit beispielsweise fragen: »Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie?« Man sollte diese Frage dann in jedem Interview in genau der gleichen Weise stellen und nicht etwa einmal »Sie sind doch sicher zufrieden mit der Demokratie, oder?« und ein anderes Mal »Sind Sie denn zufrieden mit der Demokratie?«. Denn das könnte zu Verzerrungen in den Antworten führen. Bei der ersten Frage wird schon eine Antwort nahegelegt. Zudem fällt es aufgrund der Ja-Sage-Tendenz (Akquieszenz) unabhängig vom Inhalt der Frage leichter, zuzustimmen als zu widersprechen. Darüber hinaus würde bei dieser Frage hinzukommen, dass der Begriff der Demokratie wenig präzise ist. Die Frage erscheint zwar recht eindeutig, aber es ist nicht nachvollziehbar, auf was sich die Antwort bezieht. Das könnte die Idee der Demokratie oder die Demokratie in Deutschland sein. Präziser wäre es also, die Frage aufzuteilen und wie in den meisten Umfragen üblich nach der Zustimmung zur Idee der Demokratie, zur Verankerung im Grundgesetz und zur praktischen Umsetzung in Deutschland zu fragen. Von zentraler Bedeutung ist es jedenfalls, die eigene Vorgehensweise, verwendete Messinstrumente – in diesem Fall einen