Elias wehrt sich. Helena Beuchert
und stößt auf ein Klappmesser. Das gleiche hat er mal in einem Schaufenster gesehen.
»Damit darf man nicht spaßen. Das kann schlimm ausgehen!«, hatte ihm sein Vater damals warnend zugeflüstert.
Jetzt wird es Elias unheimlich. Er scharrt altes Laub über beide Messer und kriecht rückwärts heraus. Seine Hände schwitzen und zittern. Nichts wie heim, dröhnt es in seinem Kopf. Hoffentlich ist Papa schon da.
Elias rennt nach Hause und sieht, wie Papa gerade in die Garage fährt. Er fällt ihm beim Aussteigen voll in die Arme. »Da sind Messer vergraben«, schluchzt er, »gefährliche Messer!«
»Wo?«
Elias zieht Papa hinter sich her zurück zum Schulhof, gräbt hastig die Messer hinter der Hecke wieder aus und streckt sie heraus.
»Die bringe ich morgen ins Fundbüro, damit ist der Fall erledigt.« Wie beruhigend Papas Stimme klingt.
Hoffentlich werden sie nicht beobachtet. Elias schaut sich um. Niemand zu sehen.
Jeder Anfang ist schwer
Heute ist Elias’ erster Schultag. Er packt die Büchertasche zweimal aus und wieder ein.
»Du schaffst das, Großer!«, ermuntert ihn Papa.
Von wegen »Großer« – ganz klein fühlt sich Elias.
Mama drückt seinen Kopf an ihren Bauch, wuschelt ihm durch die Haare und bindet sie dann mit einem Gummi zusammen. Das mag er gern.
»Los jetzt! Ich will nicht zu spät kommen!«
Heute nimmt ihn Papa ausnahmsweise im Auto mit. Er begrüßt die Direktorin, die ihnen an der Treppe entgegenkommt, und stellt Elias vor.
Sie legt ihm den Arm auf die Schultern und führt ihn ins Schulgebäude.
Ist das dunkel hier! Elias schüttelt den Kopf.
Die Direktorin lässt den Arm sinken.
Im Flur steht seine neue Klassenlehrerin, Frau Lange, und empfängt ihn: »Du bekommst einen Platz ganz hinten, da hast du einen guten Überblick«, lacht sie Elias an und führt ihn ins Klassenzimmer.
Jetzt sitzt er neben Robin. Der ist mindestens so zappelig wie er und macht ständig Faxen zu einem Jungen ganz vorne.
»Max, pass jetzt bitte auf!«, sagt Frau Lange gerade zu diesem.
Max zuckt übertrieben zusammen und schlägt die Hände vors Gesicht.
Alle Kinder lachen.
Die Mädchen auf der linken Seite betrachten ihn genau. Oder schauen sie zu Robin?
Frau Lange macht lustige Spiele mit ihnen. Sie will alle Kinder kennenlernen, denn sie wird jetzt zwei Jahre lang ihre Klassenlehrerin sein.
Zuerst muss jeder ein großes Namensschild malen. Dann sagt sie: »Lasst uns bitte euren Straßennamen erraten – ohne Worte!«
Als Elias dran ist, greift er in die Luft zu einem Gegenstand und zieht dann die Hand mit einem lauten »Autsch!« zurück.
Einige Kinder lachen und rufen: »Rosenstraße!«
Auch andere Kinder wohnen in der Siedlung mit Blumennamen, aber sie beachten ihn nicht.
In der Pause steht Elias lange allein im Hof. Die Jungen umringen Max und erzählen vom Fußballspielen.
Katarina, ein Mädchen mit dunklen Haaren, das in der Reihe drüben am Fenster sitzt, winkt ihm auffordernd zu.
Langsam geht er zu der Mädchengruppe und schwingt mit ihr das Hüpf-Seil.
Fatima springt sehr lange und konzentriert. Ihre langen Haare fliegen hoch wie ein Schleier. Das sieht schön aus. Doch lieber wäre er bei der Jungenclique.
Nach der Pause legt Robin sein Lineal wie eine Grenze zu Elias hin und macht die Ellenbogen breit. Elias hat kaum Platz, um richtig zu schreiben. Er verschiebt das Lineal in die Mitte, aber Robin baut noch Bücher zwischen ihnen auf und engt Elias weiter ein.
Max dreht sich auffällig zu ihnen um, grinst breit und zeigt Robin den Siegerdaumen.
Elias sucht mit den Augen nach Frau Lange. Doch die steht gerade bei Korbinian und redet auf ihn ein. Der sitzt allein in einer Bank hinten am Fenster und schaut traurig vor sich hin.
Dann sollen die Kinder erzählen, was sie gerne in ihrer freien Zeit spielen.
Nur Mädchen melden sich. Elias kann gar nicht zuhören. In seinem Kopf denkt es immerzu: Warum ist Robin so gemein zu mir?
Als die Schulglocke läutet, packt er seine Sachen zusammen und rennt aufs Klo. Das hat er in der Stadtschule schon gemacht, wenn er nicht mit den anderen Kindern nach Hause gehen wollte. Als das Lärmen aufhört, schleicht er vorsichtig ins Freie.
Katarina und Fatima laufen mit einer schwarz gekleideten Mutter über den Pausenhof. Jedes der Mädchen trägt ein kleines Kind auf dem Arm, als wäre es selbst schon eine Mutter.
»Tschüss, Elias!«, ruft Katarina und winkt ihm.
Er lächelt ein wenig.
Auf dem Heimweg sucht Elias wieder aufmerksam den Gehsteig ab. Seine Augen sind richtige Finder-Augen. Schon zwei Kisten voller »Hosentaschen-Schätze« hat er in seinem Zimmer.
Heute entdeckt er nur einen silbrigen Schraubenschlüssel.
Elias’ Mama steht an der Gartentür und winkt ihm zu. »Wollen wir zusammen Pfannkuchen backen?« Mama will Elias an ihren Bauch ziehen, doch er windet sich unter ihrem Arm durch. »Nein, keinen Hunger«, nuschelt er und rennt auf sein Zimmer.
Du bist ein Mädchen
Am Freitag nach der Schule lauert Max hinter einer Kurve auf Elias. Er presst ihn an eine Gartenmauer und fordert: »Gib mir deinen Ranzen, du Mädchen!«
Elias ist so überrumpelt, dass er gehorcht.
Max räumt die Vordertasche aus. Er nimmt die angebrochene Tüte Gummibärchen und die Münzen aus dem Geldbeutel heraus. Dann knallt er die Tasche wieder vor Elias’ Füße. »Wehe, du sagst was!«, zischt er ihm ins Gesicht.
Elias lehnt an der Mauer und schaut sich um. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Jetzt, da alles vorbei ist, beginnt er, am ganzen Körper zu zittern. Seine Knie werden weich. Er rutscht an der Mauer herunter und kauert sich auf den Boden. »Was war das denn?«, murmelt er. Sein Kopf dröhnt.
Langsam zieht sich Elias wieder hoch und schlurft weiter. Die Schultasche schleift er hinter sich her. Vor Angst lugt er in jeden Eingang. Wenn jemand seinen Weg kreuzt, zuckt er zusammen.
Mama nimmt ihn in den Arm, als sie ihm die Haustüre aufmacht: »Warum bist du so bleich? War es nicht schön in der Schule? Hast du nichts getrunken?«
Sie holt ihm einen Becher Pfefferminztee.
Elias schüttelt den Kopf und schleppt sich in sein Zimmer. »Warum macht Max so was? Beklaut mich einfach. Will er jetzt jeden Tag etwas von mir haben?«, flüstert er vor sich hin. Weil der Pfefferminztee im Bauch würgt, erreicht Elias gerade noch das Waschbecken.
»Ich will nichts essen!«, ruft er matt zur Küche hinüber.
Besorgt kommt Mama gelaufen und fühlt seine Stirn. »Fieber hast du nicht«, kommentiert sie erleichtert. »Was ist denn, Kind? Hat dich jemand geärgert?«
Aber Elias