Aus dem Leben listiger Großmütter. Ludwig Bröcker

Aus dem Leben listiger Großmütter - Ludwig Bröcker


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erwachte früher, als gewohnt. Im Bad war es ziemlich kühl. Sie bemerkte gleich, dass der Heizkörper keine Wärme abstrahlte und dachte mit Schrecken, dass es momentan kaum möglich wäre, einen Monteur kommen zu lassen. Was konnte sie tun? Vielleicht erst einmal der Kellerassel etwas Licht spendieren, d.h., die Sicherung wieder einschalten. Darauf war dreierlei zu hören: Gestöhne und Gejaule aus dem Gefängnis, ein beruhigendes Bullern des anspringenden Brenners und kurz danach die Klospülung. Letzteres war besonders beruhigend, denn wenn sich der Gefangene entschlossen hätte, im Keller eine Sauerei zu veranstalten, hätte er selbst zwar am meisten darunter zu leiden gehabt, aber die Wärterin des Gefängnisses wäre auch ziemlich ratlos gewesen. So konnte sie in Ruhe frühstücken und dabei einige Brote für den Gast vorbereiten. Auch Kaffee kochte sie für zwei, dachte überhaupt an alles und begab sich mit einem gut aber einfach gefüllten Korb in den Keller, wo sie mit freundlicher Singstimme

      „Früh-stück“ rief, etwa in den Tönen f-c.

      Zu ihrem Missfallen hockte ihr Gast, nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet, auf der unbezogenen Schaumstoffmatratze. Immerhin, er rappelte sich hoch und griff nach dem Pappbecher, den Lisbeth mit Hilfe einer länglichen Schachtel durch das Fensterchen geschoben hatte. Nein, Milch und Zucker wollte er nicht. Er nahm auch die Brote, machte eine etwas angewiderte Visage und fragte schließlich: „Gibt es denn hier keine Wurst?“ „Nächstes Mal, vielleicht“, sagte Lisbeth, „dann weiß ich ja für die Zukunft Bescheid. Und bitte, beziehen sie doch die Matratze, das habe ich Ihnen gestern schon gesagt, und ziehen sie nachts den Schlafanzug an. Übrigens, eine frische Zahnbürste und Zahnpasta finden Sie im Spiegelschrank.“

      Sie ließ ihn für eine halbe Stunde allein. Als sie wieder zum Gefängnis ging, erinnerte sie sich an ihre Söhne, die sich ja das Bad teilten, also hintereinander benutzten, und der jeweils Zweite sagte dann, jedenfalls manchmal, das was sie jetzt kühn zitierte: „Hier stinkt es ja, wie im Affenpuff “, worauf der Gefangene sie halb verwundert und halb erschrocken ansah. „Ja, glotzen Sie nicht so! Unter dem Lichtschalter ist ein Drehknopf. Da können sie den Ventilator doller stellen. Und sie sollten und dürfen auch duschen. Frische Handtücher finden sie in der Truhe, aber das wissen sie ja schon. Es tut mir wirklich leid, dass ich ihnen keine 30000 Euro überlassen konnte.“ Nach dieser Einlassung stieg Lisbeth wieder nach oben, beschwingt, so wie sie sich als kleines Mädchen gefühlt hatte, nachdem sie zum ersten Mal vom Dreimeterbrett gesprungen war.

      Als sie nach einer Weile wieder an der Kellertreppe lauschte, hörte sie tatsächlich Duschgeräusche und kurz danach den Ventilator auf voller Pulle, wie sich die Jungs auszudrücken pflegten.

      Beim nächsten Besuch am Gefängnis steckte in dem dunkle Arbeitsanzug gar nicht mehr der stramme Pseudopolizist vom vorigen Tag sondern mehr ein vom Leben gezeichneter Jüngling, traurig auf der Truhe sitzend. Seine Haare waren nach der Dusche pechschwarz.

      Lisbeth hatte das Gefühl, dass sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hätte.

      „Haben sie wenigstens eine Kippe?“ fragte er.

      „Eine was?“

      „Eine Kippe, Mann, eine Lusche, eine Zi-ga-rette!“

      „In diesem Haus wird eigentlich nicht geraucht, da ist zwar noch eine Pfeife von meinem Mann aber kein Tabak.“

      „Ich dachte, in diesem Haus wird nicht geraucht.“

      „Schon, aber nur auf der Terrasse. Da können sie nicht hin, vielleicht später als Freigänger.“

      „Ihre blöden Witze kotzen mich an!“

      „Na, na, na, gerade wollte ich sie dafür loben, dass sie die Matratze bezogen und sogar geduscht haben.“

      „Wo ist überhaupt ihr Mann?“

      „Gestorben vor sieben Jahren.“

      „Tut mir leid. Wie ich sie kennengelernt habe, ist er wohl hier in ihrem Privatknast verendet.“

      Das verschlug Lisbeth doch etwas die Sprache, aber zugleich versuchte sie, sich in die Situation ihres unfreiwilligen Gastes zu versetzen: Was hatte sich in seinem krausen Gehirn aufgestaut? Eine Welt voll Gier, Betrug und Rache. Es war doch nur eine ganz kleine Prise Rache und ein wenig Sühne, was sie ihm zumuten wollte. Das musste sie mit ihm besprechen. Derweil hörte sie wieder:

      „Wat is denn nu mit ner Kippe?“

      „Ich denke darüber nach.“

      Bei ihrem nächsten Besuch am Gefängnis sagte Lisbeth: „So, Herr Fack, oder wie sie auch immer heißen, wir müssen mal über ihre Zukunft nachdenken: Wie ich sehe, haben sie sich nicht für einen Hungerstreik entschieden. Das ist vernünftig, denn bei mir werden sie ganz ordentlich versorgt. Die Würde des Menschen muss gewahrt bleiben, oder wie sehen sie das?“

      „Leck mich!“

      „Das werde ich nicht tun. Nehmen wir mal an, sie machen einen Hungerstreik und verrecken hier. Vielleicht gelingt es mir, sie nach oben zu schleifen. Sie wären dann ja etwas leichter. Dann würde ich sie im Garten vergraben. Später, wenn ich selbst gestorben bin, und ein neuer Besitzer des Hauses im Garten wühlt, findet er eine Leiche, aber man weiß nicht, von wem, denn sie werden ja nicht vermisst.“

      „Ich habe schon mal gesagt, dass mich ihre Witze ankotzen!“

      „Ich weiß, ich weiß, deswegen ziehen wir einen Hungerstreik gar nicht in Erwägung. Zweite Möglichkeit: Ich rufe jetzt die Polizei. Das Dumme ist, dass Sie sich da irgendwie rausreden, und ich stehe am Ende schlechter da, als sie.“

      „Das sag ich ja. Deswegen lassen sie mich einfach raus.“

      „Dritte Möglichkeit: Ich rufe bei der Zeitung an, ein Reporter kommt, ich zeige ihm das Gefängnis - Sie hocken noch immer da drin- und erzähle die ganze Geschichte von Anfang an. Der Reporter hat eine Story, und danach geht es richtig los. Riesen Balkenüberschrift auf der Titelseite der Bildzeitung: Rentnerin sperrt Enkeltrick- Betrüger ein. Dazu tolle Bilder, hier durch dieses Fensterchen fotografiert, und Sie sitzen auf der Truhe. Ja, das machen wir.“

      „Das machen wir bitte nicht!“

      „Ihr Gesicht ist natürlich unkenntlich gemacht. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat. Ich hoffe, auch sie wissen das zu schätzen.“

      „Recht und Gerechtigkeit ist zweierlei.“

      „O, wo haben sie denn das aufgeschnappt? Aber lassen sie mich weiter spinnen: Ich bin der Star in der einen oder anderen Talkshow. Der Moderator beugt sich Viertelkreis-artig zu mir rüber: Erzählen Sie doch unseren Gästen, wie Sie auf Schauspielmodus umgeschaltet und die kühne Idee mit dem Kellergefängnis realisiert haben, und darauf sage ich schnippisch: Ich bin kein Smartphone, das auf einen oder den anderen Modus umschaltbar ist.“

      „Das ist wohl ihr höchstes Glück: Sich auf meine Kosten lustig zu machen.“

      „Sie haben Recht, das ist eigentlich nicht meine Art. Andererseits, nehmen wir einmal an, der Coup mit den 30000 Euro wäre Ihnen geglückt. Dann hätten Sie sich lustig gemacht, zusammen mit Ihrer Komplizin. 1000 Euro hätten Sie schon am selben Abend verjubelt, doch jetzt steckt Ihre Komplizin schon mit einem anderen Ganoven unter einer Decke, und das meine ich wörtlich.“

      „Fuck!“

      „Ja, Herr Fack. Ich bringe Ihnen noch die Zeitung, und dann muss ich für eine Weile weg, allerlei Besorgungen machen, alles Ihretwegen.“

      6.

      Für ihren Einkauf wählte sie eine Tasche mit Rädern, auch Kartoffelbagger genannt. So ein Gerät hatte ihr irgendein wohlmeinender Mensch geschenkt, aber sie fand es keineswegs schick und benutzte es sehr selten. Doch heute war ihre Einkaufsliste sehr umfangreich. Als sie gerade aufbrechen wollte, klingelte es. Sie schlich ins Wohnzimmer und schob die Gardine ein winziges Stück zurück: Uschi. Das hatte sie sich schon gedacht. Sie durfte nicht hereinkommen, und das gemeinsame Cappuccino- Trinken musste heute auch ausfallen. Stattdessen schob sie ihren Kartoffelbagger zur Terrassentür hinaus durch den Garten zu einer Pforte, die sie auf- und zu schließen


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