Bin kaum da, muss schon fort. Sabine Herold

Bin kaum da, muss schon fort - Sabine Herold


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deren Leben grausam ein Ende gesetzt wurde. Salome, in meinem Herzen und meinen Gedanken bist du ein Mensch, mein Kind, mein Baby, meine Tochter.

      In einer kleinen Kapelle sitze ich lange Zeit vor dem Kreuz und komme mit Jesus ins Gespräch. Endlich bricht die ganze Trauer aus mir heraus. Ich weine hemmungslos, schluchze, kämpfe nicht mehr gegen die Tränen. Sie dürfen kommen. Vor Jesus – dem, der unendlich für mich gelitten hat – brauche ich mich nicht zu schämen. Es tut gut, die Tränen zuzulassen und mich gleichzeitig dem zu überlassen, der mein Kind und mich selbst in der Hand hält.

      Am nächsten Tag begegnet mir Jesus in der Stille. In einem inneren Bild bekomme ich drei Geschenke von ihm:

      Es ist, als wenn er mir noch einmal für ein paar Wochen lang mein Kind zurückgibt, damit ich mich in Ruhe von ihm verabschieden kann. Ich darf mir Zeit lassen zu trauern.

      Zweitens darf ich – eingehüllt in den Mantel seiner Liebe – weinen, klagen, trauern, meine Gefühle und den Schmerz zulassen. Und ich weiß: Jesus ist in diesem Schmerz bei mir. Er trauert mit mir. Vor ihm darf ich sein, wie ich bin, und das kommen lassen, was kommt – auch Tränen!

      Das dritte Geschenk ist die Verheißung neuen Lebens. Vielleicht ein weiteres Kind? Ich weiß es nicht.

      Die Zeiten der Stille tun gut. Es kommt mir vor, als wenn Jesus mir Sätze sagt wie: »Komm zu mir mit deinem Schmerz; ich weiß darum; ich halte dich. Ich lasse dir Zeit. Lass dir selbst auch Zeit – mindestens so lange, wie deine Schwangerschaft dauerte! Ich gebe dir Anteil an meinem Leben, geliebte Tochter. Und: Deine Salome ist sicher und geborgen bei mir!«

      Diese Erfahrungen sind für mich sehr tiefe Begegnungen mit Gott, und ich gebe sie an dieser Stelle nur weiter, weil ich hoffe, dass sie vielleicht Frauen in ähnlichen Situationen trösten und sie ermutigen, sich von Gott ansprechen und halten zu lassen.

      Das Wissen darum, dass ich trauern darf, entlastet mich und heilt sogar einen Teil des Schmerzes. Ich erlebe einen kleinen Durchbruch: neue Lebensfreude, Hoffnung, Trost. Der Himmel über mir scheint eine ähnliche Veränderung zu erleben. Bisher hat es nur geregnet. Jetzt endlich bahnen sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Wolken. Der Himmel bricht auf:

       Die Sonne scheint

       und wärmt, umarmt und blendet mich –

       nach dem Gewitter, den Regenschauern – Himmelstränen.

       Licht – für mich.

       Trost – von Gott.

       Ich gehe zurück in den Schmerz, zu dir, Kind,

       halte dich in meinen Gedankenhänden,

       schaue dich mit meinem inneren Auge an,

       liebe dich, liebkose dich in meinem Herzen.

       Dabei bin ich getröstet und gehalten.

       Ein Stärkerer ist bei mir,

       der »Ich-bin-da«,

       der zu mir in die Tiefe kommt,

       der meine Schwachheit und Ohnmacht teilt.

       Gott, ich überlasse mich dir.

       Ich lasse meine »Haltung« los,

       um von dir gehalten zu werden;

       verliere meine Fassung,

       um von dir erfasst zu werden.

      Bei meinem nächsten Gespräch mit der Leiterin dieser Stillewoche lade ich endlich meine Selbstanklage, mein schlechtes Gewissen und meine Schuldgefühle, dass das Kind vielleicht wegen mir gestorben ist, ab. Ich vergebe mir selbst und nehme Gottes Vergebung in Anspruch.

      Und dann vergebe ich Gott. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich gebe ihm mein Nicht-Verstehen, meine Klagen und die vielen Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Warum hat er mir meine Tochter genommen, wenn er doch der Gott des Lebens ist? Ich spreche diese Frage aus und weine den Schmerz heraus, und es tut gut. Ich lasse meine Erwartungen, die Schuld, in der er bei mir – wie ich meinte – steht, meine Forderungen, mein angebliches »Recht« auf dieses Kind los.

      Schnell geht die Woche im Tessin zu Ende. Mit einem vollen Rucksack, aber mit einem erleichterten Herzen fahre ich wieder nach Hause. Die Trauer nehme ich mit, aber ebenso Trost.

      So lange, wie meine Schwangerschaft gedauert hat, so lange lasse ich mir Zeit zu trauern. Dann bin ich bereit, mein Kind loszulassen. Ich nehme in der Stille vor Gott von Salome Abschied. Sie ist nicht verloren, nicht irgendwo, sondern in den liebenden Armen Gottes. Was bei mir zurückbleibt, ist Friede über den Abschied von meinem Kind. Auch wenn noch oft die Tränen fließen und fließen dürfen, kann ich wieder lachen.

       In der Gegenwart

      Nach ein paar Monaten bin ich wieder schwanger. Wird es diesmal gut gehen? Ich will mich nicht zu sehr freuen, aus Angst, dass es vielleicht wieder ein jähes Ende haben könnte.

      Die Schwangerschaft ist ein Geschenk! Ich weiß jetzt, dass es nicht selbstverständlich ist, überhaupt schwanger zu werden, ein Kind auszutragen und gesund auf die Welt zu bringen – es ist reine Gnade! Kein Mensch kann Kinder »machen«. Keine Frau hat ein Recht auf Kinder! Eine Schwangerschaft ist ein Geschenk des Himmels: Gott hat sich dieses Kind ausgedacht! Und jeder Tag, an dem eine Frau schwanger bleibt, ist Gnade. Jeder Tag, an dem das Kind leben, sich entfalten und wachsen darf, ist noch viel mehr!

       Sabine Herold, Laupersdorf, CH

       Dieser Artikel erschien in gekürzter Form zuerst in der Zeitschrift Lydia.

      Schon bevor wir heirateten, war uns klar, dass wir irgendwann Kinder haben wollten. Ich habe einen Beruf, der sich mit Kindern relativ gut vereinbaren lässt, und hatte ein Studium vorerst weit von mir geschoben, obwohl ich es zeitweise doch immer mal in Erwägung zog.

      Bald nach unserer Hochzeit wurde ich überraschend schnell schwanger. Nach dem ersten Schreck darüber, dass sich unser Leben früher als geplant ändern würde, freuten wir uns auf unser erstes Kind. Unser Sohn Johannes war ein sehr liebes Baby, weinte wenig und war sehr pflegeleicht. Nach einem Jahr wurde der Wunsch nach einem zweiten Kind größer, und zu unserer Freude war ich bald wieder schwanger. Bei der ersten Ultraschalluntersuchung konnte man das kleine Herz noch nicht schlagen sehen. Als ich Sorgen äußerte, wurde ich auf die nächste Untersuchung vertröstet, alles befände sich noch »im Rahmen«. Eine Woche später war nichts mehr im Rahmen. Das Kind lebte offensichtlich nicht, und ich wurde in die Klinik zur Ausschabung überwiesen. Ich war untröstlich. Noch in der Nacht vor dem Eingriff hoffte ich, dass alles nur ein böser Traum war und mein Baby lebte. Konnte Gott wirklich so grausam sein und ein sehnlich erwartetes Kind wieder nehmen? Leider ja. Ich verstand die Welt nicht mehr und trauerte intensiv um mein Kind.

      In dieser Zeit wurde ich darauf aufmerksam, dass es viele Frauen gab, die eine Fehlgeburt erlitten hatten. Das hatte ich bisher noch nie so wahrgenommen. Vielleicht, weil kaum jemand darüber sprach? Jedenfalls wusste ich nun, dass ich nicht die einzige Frau war, der so etwas passierte. Mein Mann konnte mich leider nicht wirklich unterstützen. Für ihn war das Kind ja noch nicht in irgendeiner Weise spürbar bzw. sichtbar gewesen. Richtig schlimm empfand ich damals aber diejenigen, die meinten, sie müssten meiner Trauer mit irgendwelchen dummen und auch frommen Phrasen begegnen. »Wer weiß, wozu es gut war?« (Ja, wozu eigentlich???) »Gott hat sich schon was dabei gedacht.« (Ich wüsste zu gerne, was.) »Ihr seid doch noch jung und könnt noch weitere Kinder bekommen.« (Ich wollte kein anderes, ich wollte dieses!) »Vielleicht war es ja behindert.« (Das war in dem Moment völlig egal, ich wollte, dass es lebte.) Diese und noch etliche andere wohlmeinende Ratschläge ließen mich zu dem Schluss kommen, dass es


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