Dantes Inferno I. Akron Frey

Dantes Inferno I - Akron Frey


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im Licht erblickst! Das Nichts steigt als eine unstillbare himmlische Sehnsucht aus dir empor, eine göttliche Flamme, die schnell auch zum Seelenbrand entarten kann, wenn du deinen spirituellen Rahmen sprengst.»

      «Und warum brechen wir nicht auf?»

      «In dieser Hölle gibt es kein materielles Ziel», versicherte er mir, «denn dieser Ort verkörpert nicht die sinnvolle Suche, sondern die Suche nach dem Unerreichbaren, die Suche nach dem Gral. Was du auch immer fändest, es dünkte dich gering. Nur der Weise, der den langen Wegen bewußt gefolgt ist, kann ermessen, daß es kein Ziel gibt, zu dem sie hinführen. Das einzige, was du nicht findest, ist das, was du suchst!»

      «Gut», antwortete ich ihm, «wenn der innere Sinn dieser Ebene nicht das Finden ist, sondern die Erkenntnis, niemals finden zu können, weil sich in jedem Suchen nur das Finden sucht, bleibe ich hier sitzen, bis mir der Hintern am Boden festwächst.»

      «Deine innere Ungeduld und dein ungeheurer Wissensdrang sind es, die mir Sorgen machen. Du hast schon zwei Dinge vollbracht, die mir zuwider sind.»

      «Sag mir, Akron, welche?»

      «Als wir über die Lethe fuhren, hast du deine destruktiven Energien mutwillig geweckt.»

      «Du meinst die Leiche?» fragte ich.

      «Ja, die Leiche», fuhr er fort. «Sie war ein Fragment deiner selbst, die Materialisation deiner negativen und aggressiven Gefühle. Du hast die Maske der Sehnsucht auf das Gesicht der Verwesung gepfropft und damit den Tod zu deinem unbewußten Ziel erklärt.»

      «Was beunruhigte dich daran, Akron?»

      «Durch die Verbindung der Sehnsucht mit dem Tod hast du diesen zum Ziel deiner Sehnsucht erklärt. Und dann hast du dich noch einmal für den Tod entschieden, am Schaltkreis des Energieaustausches, an dem sich die Geschlechter berühren. Damit hast du dich der Todessehnsucht verschrieben, und das mit einer spielerischen Leichtigkeit, die jedem Betrachter den Angstschweiß auf die Stirn treibt.»

      «Ist das schlimm?» fragte ich keck.

      «Beunruhigend ist deine unverfrorene Naivität», antwortete er, «mit der du diese schrecklichen Kräfte dirigierst. Bis jetzt ist alles gut gegangen. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. Auf uns wartet noch der Schatten des Planktons, die dunkle Muttermilch deiner unbewußten Perversionsstillung aus den Schattenkammern der Instinktnatur, ein ekelhaftes Gekröse, das jeden angreift, der sich von der Urlust löst und über das Bekannte hinaus nach dem unmenschlichen Unbekannten strebt.»

      «Was können wir tun?» Ich hielt einen Moment den Atem an. Die plötzlich aufdämmernde Gefahr bahnte sich plötzlich in meiner Seele Raum.

      Akron schaute mich an: «Nichts! Wir müssen warten, bis es dich angreift.»

      Mehrere Minuten lang hatte ich kein anderes Empfinden als das Tosen der Brandung in der Bucht. Dann bemerkte ich, wie ein trübes, düsteres Flackern am Horizont aufzog und sich wie ein dunkler Schatten über meine Seele senkte. Mir war, als ob die Wogen des Stromes immer finsterer wurden, die ich ebenfalls in meinem Inneren spürte, und die mich umbrandenden Wasser gleichzeitig auch die giftigen Quellen meiner Seele wären, die da geheimnisvoll um meine Beine spülten. Ich spürte ein Zittern, ein Grollen, ein Pfeifen im Ohr, und als ich die Augen wieder erhob, gefror mir das Blut in den Adern.

      «Dieses Gewässer ist eine Brutstätte für deine vampirhaften inneren Empfindungen», sagte Akron plötzlich. «Wenn sie in dein Erleben dringen, dann geschieht dies durch die Visionen ungestillter Wünsche und Begierden, die sich erst zaghaft in den Träumen melden und sich dann langsam ins Bewußtsein schieben.»

      Vor mir bewegte sich eine Riesenkrake wie ein den Morästen meiner Seele entflohenes Ungeheuer heran, und ich erkannte in ihr all die prickelnden Ängste und fesselnden Abenteuer eines erhitzten, pubertierenden Knabengehirns. Das Unangenehme an der Geschichte war, daß ich diese chthonische Erinnerung aus pubertärer Urzeit als realistischen Schrecken wahrnahm. Sie erhob sich langsam aus dem dunklen, gräßlichen Abgrund meiner Seele und richtete sich in ihrer ganzen Größe vor mir auf, so daß mir die Knie zu zittern begannen. Einen Augenblick lang voll unaussprechlichen Schreckens blieb sie in ihrer erhobenen Position wie eine düstere, satanische Ausgeburt dieser Hölle vor mir stehen, als berauschte sie sich an ihrer eigenen Majestät, und dann fiel sie mit fuchtelnden Tentakeln über mich her. Blitzschnell stürzte ich zur Seite, um dem vernichtenden Schlag zu entgehen. Ich benutzte den Schwung, packte die Krake am Schopf und knallte ihren Kopf im Fallen mit einer tödlichen Bewegung gegen das Riff. Wie Fontänen schoßen die schwarzen Wasser aus der Mutterbrust meiner pervertierten Trieberfüllung, den aus Freudschen Urbildern inspirierten Schattenkammern der Lust, deren Bilder aus dem Unbewußten auftauchten und sich einen Moment ängstlich vor meinem Erleben drehten, bevor sie wieder zitternd wie Marionetten an unsichtbaren Fäden in den Tiefen der Dunkelgründe versanken. Mit wollüstigem Stolz betrachtete ich den Todeskampf der Riesenkrake. Das Bild der sterbenden Kreatur, die sich mit zuckenden Umarmungen von der Erde löste, stürzte mich in ein wahnsinniges Chaos der Lust. Akron sagte, ich solle versuchen, durch die Lücken meiner höllischen Ekstasen in die Räume jenseits meiner begrifflichen Realität einzudringen, um dort jene Wirklichkeit zu finden, die meinen inneren Träumen angemessen sei. Dann befahl er mir, meine Augen zu schließen und im Geist die Himmelsstufen zu besteigen.

      «Aber es gibt hier keine Stufen», erwiderte ich.

      «Natürlich gibt es keine materiellen Stufen», sagte er, «weil deine Ziele so hoch in den Wolken schweben, daß kein materieller Weg zu ihnen führt. Du bist daran gewöhnt, mit materiellen Dingen umzugehen, und sobald du über das Konkrete hinausgelangst, erscheint dir das, was du dort erfährst, unwirklich. Doch in dieser Hölle ist die Wahrnehmung nicht auf das Gegenständliche beschränkt, sondern bildet sich aus dem Streben, zu deiner inneren Sehnsucht zurückzukehren, oder aus dem überwältigenden Enthusiasmus, der dich erfüllt, jenen schimmernden Gipfel zu erreichen, der sich über den Wassern des Unbewußten erhebt. Dafür sind imaginäre Stufen doch der adäquate Weg. Sie bilden sich aus deinem spirituellen Sehnen, denn es ist der Archetyp des Sehnens, der dich aufwärtszieht. Oder wäre es dir lieber, auf einer Rolltreppe in die Höhe zu schweben?»

      Ich tat so, wie mir aufgetragen war. Sobald ich die Augen schloß und meinen rechten Fuß etwas anhob, fühlte ich einen Widerstand unter der Ferse, als ob mir eine Stufe unter den Absatz geschoben worden wäre. Ich verlagerte mein Gewicht vom linken auf das rechte Bein und begann den linken Fuß zu heben, um die nächste Stufe zu erreichen, und so kletterte ich Stufe um Stufe zum «Homo futurus», dem Menschen der Zukunft, empor, wie mir die Stimme das Ziel meines Aufstiegs erläuterte.

      «Langsam näherst du dich der Spitze des Wissens», erläuterte Akrons Stimme, «in der sich das Sagbare mit dem Unsagbaren kreuzt. Das ist exakt der Schnittpunkt beider Welten, an dem das Licht des Grals erscheint. Man nennt diese Stätte auch das Einswerden mit Gott oder das Bewußtsein der Hölle, weil sein Schnittpunkt irgendwo tief in der Erinnerung des Unbewußten liegt. Noch bist du hier, und dein Ziel liegt dort, du befindest dich noch im Zustand des Ich, das sich auf sein Ziel zubewegt, doch dann gelangst du allmählich in das Ziel hinein, so daß du dich immer mehr mit ihm zu identifizieren beginnst, bis du dich schließlich selbst als Teil deines Zieles erkennst, das sich nach sich selbst sehnt und sich mit dem erkannten Größeren im Außen zu verschmelzen beginnt. Doch bevor du in ihm aufgehst, wirst du es bekämpfen, weil du es aus dem Zustand der Dualität zuerst als von dir selbst verschieden ansiehst.»

      Seine Stimme erreichte mich aus unendlicher Ferne: «Du stehst jetzt unmittelbar vor dem Gipfel, und es ist Zeit für dich, deine unbewußten Inhalte zu sehen, denn du bist durch die Lücken deiner Ekstase jetzt in die Räume jenseits deiner begrifflichen Realität eingedrungen und kannst dir nun in deinen eigenen Träumen begegnen – hinter der Schwelle, die du überwunden hast!»

      Ich spürte einen Schlag, und dieser gebar eine schreckliche Vision, denn plötzlich sah ich mein kleines, gemeines, in den Begrenzungen seiner eigenen Argumente und rationalen Trugschlüsse gefangene Ego vor mir auf dem Gipfel der Erkenntnis tanzen. Mir war seine Absicht klar, das erworbene Wissen seinen egoistischen Zielen einzuverleiben und dadurch den Käfig seiner Ich-Beschränkung zu sprengen und Weltherrschaft zu erreichen.


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