Ring der Narren. Chris Inken Soppa

Ring der Narren - Chris Inken Soppa


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drückte einen unsichtbaren Lichtschalter. An der Decke kämpften sich blitzende, summende Neonleuchten langsam und widerwillig in ihren Betriebsmodus. Miltons Blick folgte dem unerwarteten Glitzern und Funkeln, das ihm in dieser Vorhölle aus gebrauchten Klamotten unpassend vorkam. Eine verwuschelte Perücke aus roten, langen Haaren stach ihm ins Blickfeld, zwei ausgestreckte Arme. Ein jeansbekleidetes Frauenbein, das der Schwerkraft zu trotzen schien und senkrecht in die Höhe reichte, um sich irgendwo hinter einem Vorhang aus schwarzem Samt zu verlieren. Milton erschrak, als sich die verwuschelten roten Haare auf einmal teilten und dazwischen ein helles Gesicht auftauchte.

      „Ich komme runter!“ Das Frauenbein beschrieb einen kleinen Kreis und verschwand im Glitzern und Funkeln. „Ich muss bloß noch … Mist!“

      Milton hörte das elastische Aufkommen zweier Schuhsohlen auf dem Holzboden. Das Glitzern und Funkeln rutschte nach unten weg, und vor ihm stand eine sehnige Frau in zerfransten Jeans und Tank-Top. Ihre roten Haare waren echt. „Tschuldigung für den Auftritt.“ Die Frau versuchte, ihre elektrisierte Frisur mit den Händen zu glätten. „Das war nur ein bisschen Vertikalseilakrobatik. Eigentlich haben wir längst zu.“

      Miltons Blick folgte dem dicken Seil, das mehrere Meter über ihnen um einen beachtlichen Deckenbalken geschlungen war und dessen Ende die Frau locker in der Hand hielt. „Wollen Sie sich aufhängen?“

      „Ja. Aber ich warte noch auf jemanden.“

      „Auf Godot?“, schlug Milton vor.

      „Nein.“ Ihre Unterlippe verriet Missmut. „Bloß auf irgend einen Idioten, der mir den Schemel unter den Füßen weg stößt. Würden Sie sich das zutrauen?“

      „Unbedingt.“ Milton blickte sich um. „Ich sehe aber keinen Schemel.“

      „Tja.“ Die Frau hob in gespielter Ratlosigkeit die Hände. „Dann habe ich ihn wohl verkauft. Ich erinnere mich noch, vor zwei, drei Stunden war einer da, der irgendwas für seine Werkstatt wollte. Einen blauen Anton oder so. Vielleicht hat der ihn mitgenommen.“

      „Pech für Sie, dann müssen Sie das Aufhängen leider verschieben.“ Milton sah sie bedauernd an.

      „Tja, Pech“, stimmte sie ihm zu. „Es gibt so viele Durchgeknallte. Letztens lief hier eine Objektophile ein, die sich in die Motorsense ihres Nachbarn verliebt hatte. Verliebt, verstehen Sie, im Sinne von miteinander-vögeln-und-anschließend-heiraten-wollen. Doch offenbar war die Motorsense nicht interessiert.“

      „Wirklich nicht?“

      „Nein, und dann stand sie hier. Fünfundvierzig Jahre, mausgrauer Pferdeschwanz. Heulte sich die Augen aus. Sie suchte ein Geschenk.“

      „Für den Nachbarn?“

      „Für die Motorsense. Etwas zum Wärmen im kalten Schuppen. Ich weiß nicht genau, wie Motorsensen im Allgemeinen so gebaut sind, aber sie suchte eine Art extralangen Schlafsack. Daunengefüttert. Damit konnte ich ihr nicht dienen, doch ein ehemaliger Gebirgsjäger hat mir vor Jahren ein aufblasbares Lawinenzelt dagelassen. Das fand sie toll. Sogar die Farbe hat ihr gefallen.“

      „Signalorange?“

      „Sepia. Sie gab mir dreißig Euro dafür. Erstaunlich, was die Leute alles brauchen.“

      „Ich brauche ein paar Stilettopumps Größe 46“, sagte Milton.

      Die Frau bückte sich rasch nach ihrem Umhang und hängte ihn sich über die Schulter. Ihr knisterndes rotes Haar umrahmte sommersprossige helle Haut und aufgeworfene Lippen, die für ihr Alter zu mädchenhaft wirkten. Ihre Augen waren dunkel und engstehend konzentriert. „Na, dann kommen Sie mal mit.“

      Ihr funkelnder Umhang schwang im Kreis, als sie entschieden auf der Ferse umkehrte. Milton fühlte sich, als stünde er am Eingang zu Willy Wonkas Schokofabrik. Er merkte, dass er aufgeregt war. Neugierig. Und ein bisschen hungrig.

      In den Tiefen des Ladens fanden sich weitere Kleiderständer, auch automatische, ellipsenförmige, von der Sorte, wie man sie in Wäschereien findet. Einer war vollbehängt mit Mänteln. Im Vorbeigehen drückte Milton auf einen roten Knopf, und die Mäntel fuhren ruckelnd an, schaukelten auf ihren Bügeln und bewegten sich zögernd vorwärts, scheinbar ängstlich darauf bedacht, ihre Bahn nicht zu verlassen. Milton drückte erneut auf den Knopf. Die Maschine blieb stehen. Die Mäntel schwangen in perfektem Gleichtakt nach vorne und wieder zurück, wie eine Reihe Funkenmariechen. Milton griff nach einem lodengrünen Ärmel und hielt ihn fest.

      „Den hat uns Heino persönlich überlassen“, sagte die Frau. „Deshalb haben wir ihn auch noch nicht gereinigt.“

      „Verstehe.“ Milton zerrte den lodengrünen Mantel zwischen den anderen hervor. Das Kleidungsstück war schwer, unansehnlich und so weit, dass ein Schlauchboot darunter Platz finden konnte.

      „Nein, wirklich.“ Die Frau hakte den Bügel aus und breitete den Mantel flach über die übrigen. „Dieses Lodenzeug nimmt Haare und Schuppen wunderbar auf. Und es gibt genügend Fans, die verzweifelt auf der Suche sind nach Heino-DNA. Den Mantel hier werde ich demnächst bei eBay versteigern. Für einen guten Preis.“

      Jetzt glaubte Milton, ein paar weißblonde Haare auf dem Lodenstoff zu erkennen.

      „Das sind Hundehaare.“

      „Und wenn schon.“ Die Frau hängte den hässlichen Mantel wieder zwischen die anderen. „Wenn Sie jetzt bitte mit mir kommen wollen.“

      Im nächsten Raum standen Wandregale voller Schuhe, bis unter die Decke. Auf mehreren Etagen waren Filzpantoffeln verteilt, die sich wie geduckte Igel erfolglos unsichtbar zu machen versuchten. Schwarze und braune Herrenhalbschuhe, der Größe nach geordnet. Buntere Fußbekleidungen für Damen. Paarweise in Reih und Glied stehende Absätze in Primärfarben, rot, blau, gelb. Dazwischen einige Abweichler in violett und rosa. Die Frau griff sich ein schwarzes Paar Schuhe mit weißen Paspeln und Zehenriemchen aus der obersten Regaletage.

      „Das sind die einzigen Damenschuhe in Ihrer Größe, die ich habe.“

      Es waren keine Stilettopumps, sondern Sandalen. Immerhin hatten sie Absätze, halbhoch, gewichtig, konkav, mit gewaltiger Trittfläche. Mit denen brauchte sich Milton keine Sorgen zu machen, sie könnten abbrechen.

      „Man kann ganz gut darauf stehen.“ Die Frau wies auf einen roten würfelförmigen Hocker, neben dem ein langer silberner Schuhlöffel lag. „Probieren Sie mal!“

      In einem Anflug von Scham setzte sich Milton, zog seine schwarzen, unansehnlichen Mokassins aus und schob sie zur Seite. Die Frau hielt ihren Umhang unter dem Kinn zusammen, als fröre sie. Milton überlegte, ob er seine grauen Socken ebenfalls ausziehen sollte, doch in Gegenwart dieser Frau kam ihm der Gedanke demütigend vor.

      „Ich hätte nie vermutet, dass Sie so etwas brauchen.“ Sie reichte ihm den linken Schuh. Milton behielt ihn in der Hand. Trotz der Klobigkeit der Absätze wirkte der Schuh zart, die Riemchen waren winzig. Eine silberne Schnalle verschwand zwischen seinen Fingerspitzen. Das helle Leder der Innensohle zeigte einen klaren dunklen Fußabdruck. Die frühere Besitzerin des Schuhs musste einen hohen Spann gehabt haben, bei Größe 46.

      Die Frau mit dem glitzernden Cape irritierte ihn. Das Neonlicht brach sich nicht nur in den Pailletten ihres Umhangs, sondern auch in ihren leuchtenden roten Haaren. Benommen brachte Milton heraus: „Bei meinen Knick-Senkfüßen brauche ich hohe Absätze. Sonst ermüdet der Knorpel, und sie werden noch platter.“

      Deutlich amüsiert betrachtete die Frau seine Socken, die viel zu groß und formlos waren. Elefantenfüße.

      „Bei Sohlengängern ein häufiges Leiden“, stimmte sie zu. „Denken Sie nur an die jungen Leute in ihren Badeschlappen. Sie schlurfen mit müden Ballen, X-Beinen und weichen Waden wie Altersheimer. Die Eltern achten gar nicht mehr darauf.“

      Inzwischen hatte Milton es fertigbekommen, beide Riemchen über seine Socken zu ziehen, ohne die zierlichen Schnallen zu öffnen. Seine Vorgängerin musste ein Walross gewesen sein.

      Als er stand, schwankte er erst


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