Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich

Stein mit Hörnern - Liselotte Welskopf-Henrich


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gibt es auch die Zivilisation nicht. Sie bilden sich das nur ein.«

      »Hallo, Mr King«, rief Hunt, »das ist Generalangriff. Sie werden ja nicht von uns erwarten, dass wir wieder in Zelten leben und mit Pfeil und Bogen Büffel jagen.«

      »Nein, das nicht, aber dass Sie uns das Geld geben, um Brunnen zu bauen.«

      »Wieso Brunnen?«

      »Wir haben zu wenige auf den Reservationen. Die meisten Familien laufen noch meilenweit, um schlechtes Wasser zu holen.«

      »Dann gehen Sie doch weg von einer solchen Wüste.«

      »Es ist unsere Heimat.«

      »Gefühlsbetont, sagte ich ja. Damit kommen Sie nie weiter.«

      »Wir werden sehen.«

      »Sie – entschuldigen Sie, Mr King –, Sie können sich also zu Hause tatsächlich nicht waschen?«

      Kay erschrak. Joe blieb ruhig.

      »Als Kind und junger Bursche, Mr Hunt, bin ich meilenweit gelaufen, um mich zu waschen, und habe das Trinkwasser in Eimern und Ledersäcken herangeschleppt. Als Mann habe ich mir einen Brunnen mit Motorpumpe gebaut.«

      »Die Verwaltung hat Ihnen das Geld dazu gegeben?«

      »Wohin denken Sie denn? Einen Brunnen für eine einzelne indianische Ranch? Wir streiten uns seit einigen Jahren, welches von zwei Dörfern durch den Gesundheitsdienst einen Brunnen erhalten wird. Für beide reicht das amtliche Geld nicht.«

      »Unfasslich. In welcher Welt leben Sie denn?«

      »In der Ihren, Mr Hunt, oder unter der Ihren, wie Sie wollen.«

      »Sie haben sich das Geld also aus privater Initiative beschafft. Warum tun das nicht alle Indianer?«

      »Es war ein sogenannter Zufall. Ich bin jemandem auf die Schliche gekommen, das hat sich gelohnt.«

      Das Wort »Erpresser« schwebte unhörbar durchs Zimmer. Joe hatte mit Zynismus in diese Richtung gespielt. Wo er Verständnislosigkeit oder Neugier zu spüren meinte, forderte er heraus und tarnte seinen wahren Charakter.

      »Jemandem auf die Schliche kommen – könnte Ihr spezielles Talent sein, Mr King. Sie liegen stets auf der Lauer und beobachten. Das habe ich schon lange bemerkt.«

      »Sie beobachten mich also auch.«

      »Nicht mit der gleichen Konsequenz. Sie beobachten – hm – gekonnt. Ich zweifle nicht, dass Sie die Qualitäten haben, um Gewinn zu machen.«

      »Danke. Habe auch Qualitäten für Verlustgeschäfte. Wie Sie sehen.«

      Es ging gegen Abend. Die Luft aus den Gärten wurde kühl und roch würzig. Schwester Kays Zeit war um; die Ausgabe des Abendessens stand bevor. Sie verabschiedete sich verlegen und fürchtete, dass sie ein zu lebhaftes Gespräch veranlasst habe; die Patienten hätten sich angestrengt.

      Joe lächelte ihr zu. »Was denken Sie jetzt über mich, Schwester Kay? Ich bin ein bad boy. Frech und undankbar.«

      »Sie sind ebenso aggressiv wie scheu, Mr King. Ein Indianer.«

      »Ein Wildtier, nicht? Hält sich verborgen, und wenn es herausgelockt wird, zeigt es sich bissig.«

      »Das nächste Mal erfreulichere Themen«, rief es aus zwei Betten. Kay trat für einen Augenblick ans Fenster und holte Luft, dann verließ sie mit gesenktem Kopf den Raum.

      Hunt knurrte noch während des Essens vor sich hin.

      »Es ist nicht übel, dass wir Sie hier bei uns haben, Mr King«, sagte er jedoch beim letzten Salatblatt. »Sie unternehmen es, an den Selbstverständlichkeiten unseres Lebens herumzustochern – als ob unser Establishment nichts als stinkender Käse sei. Endlich mal etwas anderes als unsere Autounfälle. Aber nun sagen Sie mir bitte – wenn Sie wollen –, warum sind Sie denn des Nachts aufgestanden? Sie können doch klingeln. Wozu sind die Schwestern da in einer zivilisierten Klinik?«

      »Vielleicht hat es in meinem Verstand geklingelt; Kurzschlusshandlung.«

      »Meine Theorie stimmt also. Gefühlsbetont. Ich glaube, das hängt mit der Stammesverfassung zusammen.«

      Das Geschirr wurde abgeräumt.

      Die Nachtschwester trat ihren Dienst an. Sie galt bei den Patienten als die Freundin des zweiten Assistenzarztes.

      In Joe erloschen Heiterkeit und Initiative, als er ihre Miene sah, ihre anordnenden Worte hörte und ihre Kontrollen und Fragen betreffend seinen körperlichen Zustand und seine körperlichen Bedürfnisse über sich ergehen lassen musste. Er hatte erhöhte Temperatur.

      Die Fenster wurden geschlossen, die gefilterte Luft hüllte Joe ein wie einen Gefangenen, und mit der Dunkelheit versanken die Bilder und Gedanken, Mr Hunt und Schwester Kay. Er war wieder ein hilfsbedürftiger Körper, sich bewusst, dass er dem Chefarzt Unannehmlichkeiten bereitete, dass er nichts als ein Indianer, ein Krimineller war, von der Polizei verhört, von dem Pflegepersonal und den Assistenzärzten argwöhnisch betrachtet, etwas wert nur durch seine außergewöhnlichen Verletzungen als medizinischer Fall – und als zahlender Patient. Vielleicht blieb er lahm.

      Vor ihm standen im Dunkeln Mary, die Büffel, das weite Land – er versuchte zu schlafen, gab es auf, sich zwingen zu wollen, und versank endlich in eine Art von Bewusstlosigkeit, aus der er am Morgen zu einem neuen Tag der Gefangenschaft geweckt wurde. Schwester Kay nahm den Tagesdienst auf. Joe fror, er hatte Untertemperatur. Er wusste, ohne zu fragen, dass Kay ihm noch Bücher bringen, aber dass sie zu keiner Unterhaltung mehr kommen würde. Probleme des Elends und der Indianer gehörten nicht in die Klinik; sie störten die zur Genesung erforderliche Ruhe. Es durfte nicht zu einer Wiederholung des Falles Stott-King kommen. Schwester Kay fürchtete das – vielleicht sogar um Joe Kings willen.

      Ihr Lächeln hatte die persönliche Färbung verloren und sich in die Maske des keep smiling zurückgezogen. Der indianische Patient ließ sich wie eine Gummipuppe hantieren; sein Ich schien abwesend. Joe scheute sich in diesen Wochen davor, seine Frau wiederzusehen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie seine Niederlage erkennen würde. So überwand er sich, mit Dr. Miller zu sprechen, und bat ihn, Besuche von Seiten Queenies und Dr. Slighs möglichst aufzuschieben, bis es ihm besser gehe und er wenigstens den vorigen Stand wieder erreicht habe. Miller sagte unwirsch zu, erfüllte aber den Wunsch des Patienten geschickt und energisch, indem er Sligh versicherte, dass es nichts wesentlich Neues gebe, Mrs King aber von weiteren Besuchen zunächst abriet, da dadurch der Patient nur aufgeregt und zu stark an daheim erinnert werde. Beide fügten sich.

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