Geständnis mit Folgen. Ursula Schmid-Spreer
einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Und 20 Kniebeugen, nicht so lahmarschig meine Damen! Nürnberger, beweg dich, Tempo!« Belu hörte die knarrende Stimme des Sportlehrers noch heute. Das kleine drahtige Männlein wurde von allen nur Johnny genannt, und Leibesertüchtigung war für ihn das Wichtigste auf der Welt. Durchtrainiert, immer eine Trillerpfeife im Mund. Er pfiff im Takt wie auf dem Kasernenhof und scheuchte die Klasse durch den Turnsaal. Es schien ihm riesigen Spaß zu machen, gerade die etwas behäbigeren Schüler zu triezen.
»Noch eine Kniebeuge, Nürnberger, hopp-hopp.«
Belu hörte seine Stimme so deutlich, als würde er neben ihr stehen. Schnell verscheuchte sie die unangenehmen Erinnerungen. Seit ihrer Schülerzeit sahen die Turnsäle immer noch gleich aus. In den Ecken wurden von Seilen die Ringe zusammengehalten. Auf einem Wagen stapelten sich Matten. Und die Sonne, die durch die vielen Oberlichter blinzelte, zeigte deutlich, wie schmutzig die Fenster waren.
Es hat sich wirklich nichts verändert – alles schaut noch aus wie damals.
Lange Schnüre waren an Haken befestigt, so dass die Luken gekippt werden konnten. Staubpartikel tanzten über dem Boden, der leicht federte, als sie darüber ging. An den Stirnseiten standen niedrige Bänke.
Auf solchen Bänken mussten wir balancieren und wie die Hasen Haken schlagen.
Ein kleiner Schauder lief Belu über den Rücken. Sie beschloss, sich endlich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und der Vergangenheit keinen Raum mehr zu geben.
Der Hausmeister hatte, laut Mitteilung ihres Kollegen Klaus, den Toten vor dem Mattenwagen gefunden. Dieser stand nahe der Turnhallentür. Belus Blick haftete kurz an der Klinke, ging dann weiter zu dem Wagen mit den Schaumstoffmatten. Eine hing etwas herunter, davor lag zusammengekrümmt der Tote. Nicht weit davon stand eine offene Holzkiste, in der Kegel lagen. Studiendirektor Meier war wohl gerade dabei gewesen, den Turnsaal für seine erste Unterrichtsstunde vorzubereiten.
Belu blieb in einiger Entfernung respektvoll vor dem Toten stehen. Die Kriminaltechniker schleppten allerlei Gerät herbei, stellten Halogenlampen auf, öffneten Aluminiumkoffer, arbeiteten konzentriert ihre festgelegten Punkte ab.
»Warst du auch so ein Schinder? Hast die unsportlichen Mädels geärgert, durch die Halle gejagt, und wenn sie nach Luft gejapst haben, hast du da abfällige Bemerkungen gemacht, Herr Meier?«, flüsterte sie zu dem Toten gewandt. Belus Blick wanderte aufmerksam vom Kopf des Toten, der in einer Blutlache lag, weiter über den Rumpf bis zu den abgewinkelten Beinen. Verdreht lag er da, den Arm ausgestreckt.
Belu steckte sich ein neues Zigarettenstäbchen in den Mund. Eine junge Frau in einem Overall fotografierte den Toten von allen Seiten.
»Du hast deinem Mörder ins Gesicht gesehen«, murmelte sie. »Du hast einen Schlag auf den Kopf bekommen. Hast du mit ihm gestritten? Hast du ihn etwa provoziert?«
Der seltsame Blick des Rechtsmediziners, Dr. Schimmelfuß, der am Boden kniete, ließ Belu sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dr. Schimmelfuß’ Augen, von einer randlosen Brille ein wenig vergrößert, verliehen ihm den Eindruck von Intelligenz und großer Kompetenz. Mit latexbehandschuhten Fingern öffnete er seinen Koffer.
Belu steckte die Zigarette zurück in die Packung. Dann kramte sie in ihrer Handtasche, holte stattdessen Gummibärchen hervor.
»Möchten Sie?«
Dr. Schimmelfuß nickte. »Kommen Sie her, Frau Kommissarin. Ich bin so weit fertig mit der Untersuchung. Nageln Sie mich bitte nicht gleich fest. Offensichtlich ist, dass er einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. Ob das sofort zum Tode führte, kann ich noch nicht sagen. Ich muss ihn erst auf meinem Tisch haben und genau untersuchen. Es ist hier passiert. Auffindungsort ist auch Tatort. Sie sehen das Blut?«
Dr. Schimmelfuß, der über die Leiche gebeugt war, sah Belu an.
Sie streckte ihm die Gummibärentüte hin. Als sie etwas sagen wollte, wurde sie unterbrochen.
»Erst nach der Obduktion.«
»Woher wissen …?«
»Ich kenne Sie, Frau Kommissarin. Wie lange arbeiten wir jetzt zusammen? Und um einer weiteren Frage von Ihnen zuvorzukommen: so-bald-wie-möglich! Dass ihr Bullen, er lächelte, um die Schärfe wegzunehmen, »immer so ungeduldig seid!« Seine Augen lächelten mit. »Ich habe auch nur zwei Hände, wenn ich vier hätte, würde ich im Zirkus auftreten. Wenn ich fertig bin, dann bekommen Sie sofort den Bericht. Was ich Ihnen genau sagen kann, er hat einen Schlag mit diesem Holzkegel auf den Kopf erhalten.«
Er hob eine Tüte hoch, in der sich ein Kegel befand. Man konnte das Blut daran erkennen.
»Ich habe sogar noch etwas für Sie, liebe Frau Kollegin. Den Todeszeitpunkt.« Dr. Schimmelfuß hob ein Thermometer mit einer langen Sonde hoch. »Das ist eine Lebersonde. Ich habe bei unserem Toten die Lebertemperatur gemessen. Im Gegensatz zur Umgebungstemperatur kann man den Todeszeitpunkt bis zu einer halben Stunde genau eingrenzen. Also sage ich, er ist so gegen sieben Uhr morgens gestorben. Näheres, Sie wissen schon …«
Dr. Schimmelfuß gab ein schmatzendes Geräusch von sich.
»Haben Sie noch so ein Gummidings? In Rot bitte!«
Belus Mund war leicht geöffnet. Interessiert hatte sie seinen Worten zugehört. Nun klappte sie den Mund wieder zu und reichte dem Rechtsmediziner erneut die Tüte. Er schmunzelte.
»Wenn Sie keine Fragen mehr haben, gnädige Frau, dann kann der Leichnam jetzt abtransportiert werden.«
Belu wusste, dass die Leiche demnächst ins Institut für Rechtsmedizin Erlangen-Nürnberg überführt werden würde. Sie erinnerte sich mit Schaudern daran, dass es fast unmöglich war, in der Universitätsstraße einen Parkplatz zu finden, verzog die Mundwinkel, nahm eine Zigarette aus ihrer Jackentasche und ließ sie gleich wieder zurückgleiten.
»Danke. Ich weiß, Sie werden, wie immer, schnell und präzise arbeiten und es mich wissen lassen, was die Leiche Ihnen für eine Geschichte erzählt und was bei der Obduktion alles herausgekommen ist.«
»Frau Kollegin? Diese poetischen Worte aus Ihrem Munde? Noch dazu in aller Herrgottsfrüh. Ich bin beeindruckt.« Der Arzt strich sich über seinen Oberlippenbart und lächelte breit, während er die Schlösser seines Alukoffers zuschnappen ließ.
»Sie wissen doch, Doktor, Bildung gefährdet die Dummheit. Deshalb habe ich wieder mal ein Gedicht gelesen.«
»Ich dachte schon …« Der Arzt sprach den Satz nicht zu Ende, da Klaus auf die beiden zukam. »Nun dann, einen schönen Tag noch. Und Sie wissen, Frau Kommissarin, wenn Sie nicht mehr weiterkommen, der Nürnberger Trichter hängt in meinem Büro.« Er tippte grüßend an seine Kapuze und verließ eiligen Schrittes die Turnhalle.
»Grins nicht, Klausi.«
»Es ist immer wieder schön, euch zuzuhören. Bei jeder Leiche stets das Gleiche. Ey, das hat sich sogar gereimt.«
»Und?«
»Was ich über Meier herausgefunden habe?«
»Klausi!«
»Er ist, nein, war, Lehrer hier am Hedwig-Gymnasium«, antwortete Klaus, »und ein ziemlich autoritärer Knochen.«
»Welche Fächer?«
»Mathe, Religion, Sport.«
»Eine tolle Kombination. Mit Reli könnte ich ja noch leben, aber Mathe? Mein schulischer Albtraum. Und unser Sportunterricht war auch nicht so prickelnd.« Belu verdrehte die Augen.
»Dass ihr Mädels Mathe nicht leiden könnt! So schwer ist das doch gar nicht«, spottete Klaus.
»Klischee hoch zehn. Ich sag nur: Wer im Glashaus sitzt …«
»… hat immer frische Tomaten«, ergänzte Klaus. »Naja, Meier hat die Mädels in der Klasse besonders getriezt. Macht lieber einen Strickkurs, lernt anständig kochen, waren wohl noch die harmloseren Äußerungen,