Geständnis mit Folgen. Ursula Schmid-Spreer
meinst, eine seiner Schülerinnen hat ihm eins übergezogen? Ist nur eine Vermutung.« Klaus kaute nachdenklich am Bleistift.
»Könnte sein, so wie er mit den Mädchen umgegangen ist. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln und das auch berücksichtigen.«
»Meine Chefin spricht mal wieder wahre Worte gelassen aus.«
»Wer sich selbst applaudiert, ist nie alleine.« Belu lachte lauthals, als sie das entgeisterte Gesicht ihres Kollegen sah. »Ich kann auch Paroli bieten, wenn ich will, du kennst mich noch nicht, lieber Kollege. Wo ist der Hausmeister?«
»Der steht immer noch da vorne. Der meinte übrigens auch so etwas wie Meier war ein arrogantes Arschloch, hielt sich für was Besseres. Du siehst, der Herr Studiendirektor war allseits beliebt, was ich aufgrund der ersten Äußerungen von Hausmeister Nüsslein und den beiden Klassensprechern sagen kann.«
Ohne ihren Kollegen weiter zu beachten, ging Belu auf einen Mann im grauen Kittel zu, der wie festgetackert immer noch an der Tür stand.
»Grüß Gott. Ich bin von der Kripo«, stellte sich Belu vor und zückte dabei ihren Ausweis. »Sie haben Herrn Meier gefunden.«
»Nüsslein, Schorsch, äh Georg, Hausmeister.« Er bewegte kurz den Kopf.
»Erzählen Sie doch mal«, forderte ihn Belu auf. Sie sah ihm direkt in die Augen.
»Allso, des woar a so …«, begann Nüsslein, aber als er die hochgezogene Augenbraue der Kommissarin sah, räusperte er sich und redete dann in gestelztem Hochdeutsch weiter. »Ich habe die Schlüsselgewalt hier im Haus.« Er wirkte wie der Platzhirsch in seinem Revier. »Will heißen, ich schließe die Unterrichtsräume auf und natürlich auch die Turnhalle. Das ist mein morgendlicher Rundgang. Da sehe ich dann gleich, ob etwas kaputt ist, oder ob die Räume am Tag zuvor unordentlich verlassen worden sind. Do kenn i nix, wenn däi imma net ordentli aaframa, ich sochs Ihna!«
Er schloss kurz die Augen, dann polterte er los: »Ich bin halt a Frangg und wecha Ihna werd i mi etzert net verbign!«
»Das müssen Sie auch gar nicht, Herr Nüsslein. Sprechen Sie bitte weiter!«
»Also«, meinte Nüsslein versöhnt, »der Turnsaal ist heute erst in der zweiten Stunde belegt. Studiendirektor Meier, auf den Titel hat er Wert gelegt, so ein Angeber«, Nüsslein schnaubte verächtlich, »da hat er Sport mit den Jungs der zehnten Klassen. Zwei Gruppen sind zusammengefasst. Ich habe mich gewundert, dass die Türe nur angelehnt war. Gestern Abend war ein Kurs von der Volkshochschule hier. Rückengymnastik für Bandscheibengeplagte. Die Kursleiterin hat strengste Order, immer abzuschließen und den Schlüssel in den Kasten vor der Hausmeisterloge zu werfen.«
»Und? Hat sie?«, erkundigte sich Belu.
»Also, wenn’s mich etzert so direkt froggn.« Nüsslein kratzte sich peinlich berührt hinter dem Ohr. »I hob no gor ned nochg’schaut. Naja, jedenfalls war die Tür offen, und i hob mer no denkt, dass die Frau Kursleiterin etzert an Anschiss kräigt, weil ich der des scho x-mal gsoacht hab und dann siech i a no a Maddn mitten im Eingangsbereich. Des haast, die Kursleiterin hat ned aafgramt – die Matte«, überbetonte Nüsslein das harte t.
Belu lächelte still vor sich hin. Sie fand es ganz charmant, dass Nüsslein zwischen dem fränkischen Dialekt und Schriftdeutsch hin und her wechselte.
Er schnäuzte sich geräuschvoll in ein Stofftaschentuch. Belu stellte verwundert fest, dass es gebügelt war. Anklagend hob er seinen Zeigefinger und stocherte in der Luft herum. »Genau da, wo sie nicht hingehört, und als ich dann rein bin, habe ich einen liegen sehen. Komisch verdreht, eine rot-braune Flüssigkeit war um seinen Kopf. Ich habe ja schon viel gesehen, aber so was wirklich noch nicht.« Nüsslein schüttelte sich angeekelt. »Man findet nicht jeden Tag eine Leiche.«
»Woher wussten Sie, dass Herr Meier eine Leiche ist?« Belu fragte ganz unschuldig, indem sie eine kleine Schnute zog.
»Des sieht ma doch imma im Fenseher.«
»Was denn, Herr Nüsslein?«
»Wenn einer so verdreht do liegt, dann is er meistens tot.«
»Haben Sie ihn bewegt?«
Nüsslein wurde knallrot, druckste herum. »Also gut, ich bin hin, habe meine Finger an seinen Hals gehalten, ob sein Puls noch schlägt. Aber bewegt hab ich ihn ned!«
»Und hat er geschlagen …? Der Puls …?« Belus Stimme klang ernst. Es freute sie ein bisschen, dass sie diesen überheblichen Hausmeister aus der Ruhe brachte.
»Nö«, antwortete Nüsslein. Er schlug die Lider nach unten. »Ich habe dann abgesperrt, meinen Chef, den Herrn Direktor Dressler, informiert, und der hat die Polizei angerufen. Im Fernsehen sieht man ja immer, dass man die Leiche nicht berühren und auch sonst nichts anfassen soll. Hab ich auch nicht! Ehrlich! Nur am Hals … Ach ja, die Schüler habe ich wieder zurück in ihre Klassen geschickt, bis auf die zwei Klassensprecher, die stehen da hinten.«
Beifall heischend sah er die Kommissarin an. Belu ließ sich nun darauf ein und meinte: »Das haben Sie gut gemacht, Herr Nüsslein.«
Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, das aber sofort verschwand, als Belu wie beiläufig fragte: »Und Sie haben sich wirklich nicht gewundert, dass die Saaltür nicht verschlossen war?«
»Des hob i Ihna doch scho gsagt. Kursleitung, Volkshochschule, ich habe auch mal Feierabend. Ich bleib doch nicht bis in die Puppen in der Schul. Des langt mer scho, wenn die Elternabend haben. Des ganze Jahr über kümmern sie sich ned um ihre Brut und dann – natürlich immer kurz bevors Zeugnisse gibt – kumma die Eltern und quatschen den Lehrern a Fleischküchla ans Ohr. Und da bleib ich dann natürlich scho, bis der letzte Lehrer ganga is.«
»Schon gut, Herr Nüsslein.« Belu schmunzelte in sich hinein. Nüsslein war ein typischer Hausmeister. Ohne ihn ging gar nichts, der wichtigste Mann, gleich nach dem Direktor. Da hatte Kollege Klaus schon recht gehabt. Oder war der Hausmeister die Nummer eins, dachte er zumindest, und Nummer zwei war der Direktor? Die Graukittel wussten alles, was im Schulhaus so vor sich ging, während sich der Anzugträger hinter seinen Akten und diversen Papieren versteckte.
»Übrigens, wie standen Sie zu Herrn Meier? Abgesehen davon, dass er ein arrogantes Arschloch für Sie war?«
Die Sache mit dem Schlüssel und der unverschlossenen Tür stellte Belu vorerst hinten an, zumal Nüsslein diese Tatsache großzügig überhörte. Sie machte sich eine geistige Notiz. Später würde sie darauf zurückkommen.
»Ein Fatzke war das, der immer raushängen ließ, dass er der Akademiker war und ich nur der Hausmeister mit Hauptschule. Früher war er ned a so. Da hatte ich weniger mit ihm zu tun. Seit ungefähr einem Jahr oda a länga hat der regelrecht zum Spinna ogf … ich meine zum Spinnen angefangen«, korrigierte sich Nüsslein. »Dabei würde ohne mich hier gar nichts laufen!« Jetzt richtete sich Nüsslein zu seiner vollen Größe auf – Belu schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Als er Belus Gesicht sah, klappte sein Unterkiefer herunter. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich …? Wergli ned!« Er schnaubte verächtlich.
»Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Und bitte schauen Sie nach, ob die Kursleiterin von gestern Abend den Schlüssel in den Kasten geworfen hat. Das hätte Ihre erste Tat heute Morgen sein sollen, nicht wahr?«
Mehr sagte Belu nicht. Diesen kleinen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. So ließ sie einen verdutzten Hausmeister zurück, dem eine leichte Röte den Hals hinaufkroch.
*
Er schlug zu: einmal, zweimal. Erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust. Sie wimmerte entsetzt. Der Schmerz nahm ihr den Atem. Ihre Augen weiteten sich, als er den Schürhaken aufhob und auf sie zuging. Sie stand da, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
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Dr. Schimmelfuß’ Assistentin, ebenfalls