Necronomicon Gnosis. Asenath Mason
Lovecraft: Cthulhus Ruf
Diese Gottheiten haben keine physischen Körper und ihre Gestalt besteht nicht aus Materie. „Die Zauber, die sie erhalten, hindern sie gleichzeitig daran, den ersten Schritt zu machen.“ Und „Sie können nur im Dunkeln auf der Lauer liegen und warten, während unzählige Millionen Jahre vorbeiströmen.“ Aber sie wissen über alles Bescheid, was sich im Universum abspielt und sie bereiten sich auf ihre Rückkehr vor. Dann wird ihnen eine Kraft von außen bei ihrer Befreiung helfen müssen – ihre Kultanhänger und Priester, die, indem sie mysteriöse Riten praktizieren, die Pforten in die Unendlichkeit öffnen und die Alten auf die Erde zurückbringen. Sie kamen vor Äonen Jahren von den Sternen auf diese Welt und gaben ihr Wissen an die Menschen weiter. Dadurch ist deren und unser Schicksal untrennbar miteinander verbunden worden. Es war das Blut Kingus, eines von ihnen, aus dem die Menschheit erschaffen wurde, und daher trägt jeder von uns in seinem Inneren ein Element der Alten Götter. Sie wurden in die chthonischen Erdregionen und die Gebiete unter Wasser vertrieben, aber wenn die Sterne richtig stehen, dann werden sie aufwachen und die Menschheit wird sich ihrer Blutsverwandtschaft und ihrer göttlichen Kraft bewusst werden. Das Motiv des Cthulhu, eines schlafenden Monsters, das in einer versunkenen Stadt ruht, bezieht sich auf das Bild des Drachen, der die gesamte Erde umfasst: Leviathan oder Ouroboros. Er schläft zwar, aber sein Puls ist in jeder lebendigen Kreatur fühlbar. Er ist die Welt-Kundalini und sein Erwachen wird von jedem gefördert, der daran arbeitet, die innere Kraft des eigenen Geistes zu erwecken – den göttlichen Funken, der das Erbe der Alten Götter darstellt. Das kann durch viele magische und spirituelle Pfade erreicht werden – und der Cthulhu-Mythos und das Necronomicon sind eine der zahllosen Philosophien, die unsere Vorstellungskraft erwecken und Inspiration für unsere magische Praxis liefern. In diesem Buch werde ich mich auf die weithin verfügbaren Versionen des Necronomicons beziehen, des Weiteren auf verwandte Texte und online publizierte Essays, sowie auf Geschichten von H. P. Lovecraft und seiner Anhänger, wie Clark Ashton Smith, August Derleth und anderer, deren Fiktion die literarische Strömung ausmacht, die als der “Cthulhu-Mythos“ bekannt ist. Gnosis bedeutet „Wissen“. Das Wissen über das Necronomicon ist ziemlich ungenau. Es handelt sich um ein magisches System, das sich nur schwer legitimieren und in einen mythologischen oder historischen Kontext stellen lässt, weil seine Elemente überall und nirgends entdeckt werden können – zumal sie sich nur schwer erkennen lassen. Die Authentizität des Necronomicons als tatsächliches Buch konnte niemals bewiesen werden, worin der Grund liegt, warum sein Wert als magisches System oft in Frage gestellt wurde. Wenn wir es jedoch als eine Wissenssammlung über die Kräfte außerhalb der Welt der Schöpfung betrachten, Dimensionen, die sich zwischen den Ebenen, die den Menschen bekannt sind, erstrecken, dann ergibt die praktische Arbeit damit einen Sinn.
Die subtilen Nachrichtenübermittlungen der Großen Alten manifestieren sich normalerweise durch Träume und Visionen. Die durch dieses System beschriebenen Wesen sind ungreifbar und formlos. Selten manifestieren sie sich auf der irdischen Ebene in einer konkreten Form, was häufig Evokationstechniken völlig nutzlos macht. Sie haben Hunderte von Avataren, die so unheimlich und überraschend sind, dass man sich oft fragt, wie so etwas überhaupt möglich ist. Selten ähneln sie Wesen, die auf der Erde leben – wie beispielsweise einem gigantischen Kraken mit Flügeln oder einem fliegenden pilzartigen Krebstier. Der Grund, warum wir sie auf diese Weise wahrnehmen, besteht darin, dass unser Bewusstsein deren unfassbare Gestalt in Formen „übersetzt“, die unserer menschlichen Wahrnehmung vertraut sind. So sind wir in der Lage, ihre Natur wahrzunehmen, die normalerweise völlig fremdartig im Bezug auf unsere Art der Realitätswahrnehmung ist. Und das ist auch der Grund, warum wir ihre Avatare so oft als extrem unheimliche Hybriden wahrnehmen. Diese Wesen bleiben außerhalb der Welt der Schöpfung im Abyss, dem Chaos, das alles umgibt und bei dem es sich um die ursprüngliche Materie handelt, aus der das gesamte manifestierte Universum geboren wurde. Und weil auch die Welt der Schöpfung eine Emanation dieses Chaos ist, ist der Drache/Tiamat – sowohl mit der Erde als auch den Menschen auf bestimmte Weise verbunden. Diese Kräfte repräsentieren menschliche Potenziale – das, was wir werden könnten, wenn wir es schaffen, aus der Welt der Schöpfung auszubrechen, die ein Gefängnis für unseren Verstand darstellt. Dann wird es uns möglich sein, wie die Großen Alten selbst zu werden – Wesen mit unbegrenztem Potenzial, sich ständig verändernd und veränderlich, Wesen mit einer unbegrenzten Natur – mit Möglichkeiten so allumfassend wie das ewige Chaos.
Die Initiation in die Necronomicon-Gnosis wird normalerweise durch Nyarlathotep, den Vermittler zwischen den Äußeren Kräften und der Menschheit durchgeführt. Er ist derjenige, der die Menschen zu den Sternen führt und auf den Pfad zur Göttlichkeit. Nyarlathotep erscheint oft in einer Gestalt, die von Menschen erfasst und verstanden werden kann – normalerweise in einer menschlichen Form. Er ist der Initiator des Linken Pfades, der alles zerstört und die Schwächen unseres Geistes rücksichtslos zerschmettert. Er ist das Schleichende Chaos, das die Pforten in die Äußere Leere öffnet, durch das die Großen Alten unser Bewusstsein betreten können. Daher ist Nyarlathotep der Anfang (der Initiator der Kommunikation mit den äußeren Göttern) und das Ende – der Zerstörer und das Prinzip der Auflösung.
Die praktische Arbeit mit dem Necronomicon wird oft als gefährlich und manchmal sogar als tödlich beschrieben. Häufig stoßen wir auf Warnungen und Entmutigungen. Ein Anfänger dieses Systems wird ermahnt, dass die invozierten Kräfte zu machtvoll sein könnten, als dass sie sich kontrollieren ließen und es deshalb leicht passieren kann, dass der menschliche Geist zerbricht. Wir werden angewiesen, bannende Rituale nach der Lektüre jeder einzelnen Seite durchzuführen, weil sonst schon das Lesen des „verbotenen“ Buches Wahnsinn oder sogar Tod verursachen könnte. Der Cthulhu-Mythos präsentiert die Großen Alten als bösartige, erschreckende und skrupellose Wesen, deren ganzes Streben darauf ausgerichtet ist, in die Welt der Menschen einzubrechen, um die Menschheit zu vernichten. Sie werden als schreckliche Monstren beschrieben und der Kontakt mit ihnen als grauenvoll und zum Wahnsinn führend. Diese Vorstellung wird durch die Erfahrungen von Leuten verursacht, die die Kräfte des Necronomicon erlebt haben, ohne dass sie ausreichend auf eine solche Konfrontation vorbereitet gewesen wären. Die Großen Alten symbolisieren die dunkle Seite des Bewusstseins, das, was wir zu verdrängen versuchen, statt dass wir versuchen, es als Teil unserer Natur zu akzeptieren. Sie aber vollständig aus unserem Geist zu verbannen, ist unmöglich. Die dunklen, verdrängten Instinkte verwandeln sich in Dämonen und Monstren, die früher oder später wieder im Licht des Bewusstseins auftauchen. Das Necronomicon beschreibt diese dunkelsten Elemente der menschlichen Seele als erschreckende außerirdische Wesen. Darum bezeichnet Lovecraft das Necronomicon als ein schreckliches und blasphemisches Buch, denn es bezieht sich auf die am besten versteckten Instinkte, die den tiefsten Abgründen des menschlichen Unterbewussten entströmen.
Aber die Alten Götter werden nicht immer als Feinde der Menschheit beschrieben. Der Magan-Text (eine Paraphrase des babylonischen Epos Enuma Elish) aus Simons Necronomicon erinnert an die Blutsverwandtschaft zwischen den Menschen und den Alten:
Und wurde der Mensch nicht aus dem Blut KINGUs geschaffen,
des Befehlshabers der Horden der Alten?
Besitzt nicht der Mensch in seinem Geist
Den Samen des Aufstands gegen die Älteren Götter?
Und das Blut der Menschen ist das Blut der Rache
Und das Blut des Menschen ist der Geist der Rache
Und die Kraft des Menschen ist die Kraft der Alten
Und dies ist der Pakt.
Das menschliche Blut ist das Symbol für den göttlichen Funken, der die Menschheit mit den Alten Göttern verbindet, die Kraft, die, sobald sie freigesetzt ist, dem Menschen erlaubt, wie seine „Eltern“ zu werden – „frei und wild, und jenseits von Gut und Böse“, der eigene Schöpfer und Gott. Der Mensch ist der Schlüssel, der das Tor öffnet – jenes, das die Alten Götter erwecken kann und die schlafenden Kräfte zurückbringt. Die Praktiken, die im Necronomicon und im Cthulhu-Mythos beschrieben werden, helfen bei diesem Prozess. Die Macht der Alten Götter