Shakespeares Sternenritt. Uta Rabenstein

Shakespeares Sternenritt - Uta Rabenstein


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Rates bewirkt, dass die meisten die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit der Völker aller Spezi­es, die aus Gründen der Bequemlichkeit nur noch als ZVS bezeichnet wurde, einsahen. In letzter Zeit waren die Sitzungen einige Male außer Kontrolle geraten und die ehrwürdigen Ratsmitglieder waren kurz davor gewesen, sich wie in einem schlechten terrestrischen Science-Fiction-Kinofilm aus grauer Vorzeit gegenseitig umzubringen. Nicht mit primitiven Laserschwertern wie damals allgemein üblich, sondern mit dunkler Energie. Die Ladung sah aus wie ein schmutziger Schneeball, hatte aber eine gänzlich andere Wirkung beim Auftreffen: Lebende Materie löste sich sofort in ein paar dünne Rauchfähnchen auf, die beim Lüften des Versammlungsraumes rasch das Weite suchten. Insgeheim fand Edwina dies gar nicht so unpraktisch, da auf diese Weise die Beerdigungskosten entfielen, die bei Ratsmitgliedern rasch ruinöse Ausmaße annahmen.

      Sie erinnerte sich an die letzte ergebnislose Ratssitzung, als sich die Mitglieder gegenseitig angeschrien, angerülpst und angeblitzt hatten, je nach Kommunikationsart der Spezies. Einige hatten auch ganz einfach mörderische Gedan­ken versendet, die dem Empfänger noch tagelang solche Kopfschmerzen bescherten, als hätte er sich ein Dutzend Gläser Kosmischen Eingeweidebeißer in den Verdauungstrakt geschüttet.

      Edwinas Körpersack hatte sich vor Aufregung zu einem riesigen Ballon aufgebläht, der sie fast einen Meter über dem Boden schweben ließ. Und wie jedes Mal, wenn ihre Nerven ein Kreuzfeuer von Impulsen durch ihren Körper schickten, war der von ihrem Hauptorgan ausgeschüttete Hormoncocktail durch ihren Kreislauf gerast und hatte den Schwächsten ihrer Symbionten getötet. Die Erinnerung an die qualvollen Signale des Kleinen wühlten sie immer wieder auf und es tat weh, dass es nicht in ihrer Macht gestanden hatte, ihn zu retten. Aber wie alle Dinge im Leben hatte sogar dieser Schicksalsschlag eine positive Seite: Der Tod ihres Wurmes führte gleichzeitig zur Abson­derung von speziellen Pheromonen, die auf die meisten Ratsmitglieder eine stark besänftigende Wirkung hatten. In friedfertiger Stimmung hatten sie die Sitzung einstimmig als ergebnislos vertagt.

      Edwina unterdrückte einen Hustenanfall; sie wollte nicht sentimental werden. Ihr vorletztes »Würmelchen« war ihr sehr ans Herz gewachsen, das war ihr erst richtig bewusst geworden, nachdem sie ihn ausgeschieden hatte und zu­schauen musste, wie sich seine zart geringelten Segmente im hochfrequenten Wechselstrom-Magnetfeld des Beerdigungsinstitutes langsam auflösten. Was wäre, wenn auch noch ihr allerletzter Wurm sterben würde? Sie dachte an ihr Volk, das in Scharen zu ihrem Monolithengrabstein pilgern würde, auf dem sich ein Hologramm befinden würde mit der Inschrift »Hier ruht die Geronin von Perseus, die ihr Leben für das Wohl der Galaxis opferte. Lasst uns darauf einen trinken!«. Aber tot würde Edwina keinem mehr etwas nützen. Außerdem gab es schon genug Alkoholiker auf ihrem Heimatplaneten.

      Ihre morgendlichen Grübeleien vor dem Aufstehen brachten sie nicht weiter. Ihr Symbiont war eben aufgewacht und quasselte zwischen ihre problemwälzenden Gedankengänge. Er wollte, dass Edwina zum Frühstück ihre intrakorporalen Verdauungsausstülpungen nicht nur mit einer großen Portion ökologisch-galaktosophischem Schokomüsli, sondern auch mit einer Packung Siliziumkekse füllen sollte, weil diese dank seiner Mitwirkung auf Edwina äußerst aufbauend wirken würden. Dazu gab es immer eine Tasse des auf Terra angebauten köstlichen Getränks, das sie dort »Grüner Tee« nannten. Das Koffein darin machte Edwina immer zur Ruhe selbst. Sogar als ihre Mitbewohnerin Esmeralda bei einem Sturz den kostbaren Induktions­kochtopf zerbeult hatte – ein Geschenk von Edwinas Großcousine zweiten Grades –, weil Morula, die Dritte im Bunde ihrer Wohngemeinschaft, den Fußboden einmal wieder in eine nicht nur spiegelblanke, sondern auch spiegelglatte Fläche verwandelt hatte und weil Frauen von Terra meist so genannte Schuhe mit rutschigen Sohlen an ihren Fortbewegungsorganen trugen, konnte sie diese Katastrophe innerlich gelassen und in Harmonie mit sich und den Galaxien hinnehmen. Leider durfte sie auf den Ratssitzungen keinen Grüntee mehr trinken, weil der Älteste immer in Ohnmacht fiel, sobald auch nur ein paar Duftmoleküle des Tees seine extrem empfindlichen Geruchssensoren trafen.

      Mit einem energischen Ruck erhob Edwina ihren Kör­persack und floss anmutig zur Gemeinschaftsküche. Zum Glück hatte Morula schon aufgeräumt. Sie hatte einen Putzfimmel, der die beiden anderen in der Wohngemeinschaft glücklich machte. Nur den Abwasch erledigten alle gemäß der altüberlieferten Tradition von Edwinas Vorfahrinnen stets gemeinsam.

      Heute war Edwina mit Einkaufen für die Wohngemein­schaft an der Reihe und floss nach dem ausgiebigen Frühstück zufrieden und mit gut gefülltem Verdauungssack zum nächstgelegenen ALDIU-Discounter. Sie lebte ausschließ­lich mit weiblich gepolten Angehörigen verschiedener Spezies zusammen, meist zwischen fünf und acht Wesen. Nur zurzeit war ihre WG auf drei geschrumpft: Morula, Edwina und Esmeralda, die erst vor vier Monaten ziemlich abgebrannt vor der Tür gestanden hatte und, wie bei ihnen üblich, mit offenen Armen empfangen worden war. Esme­ralda war furchtbar verzweifelt, weil sie den Kontakt zu ihrer einzigen Tochter verloren hatte. Nächtelang hatte sie von Kira erzählt.

      »Meine einzige Tochter düst als Pilotin durch das Weltall. Ich sehe sie immer nur kurz und habe das Gefühl, dass ich alles falsch mache, wenn ich mit ihr rede. Meist geraten wir uns in die Haare und dann hören wir monate­lang nichts mehr voneinander. Aus Protest hat sie sich sogar die Haare abgeschnitten und sieht jetzt grauenhaft aus, wie ein Mann! Wie kann sich eine junge Frau nur so verunstalten! Wer soll sich denn jemals in sie verlieben – doch höchstens ein Schwuler!«

      Anschließend versuchte sie eine halbe Stunde lang, Morula zu erklären, was das Wort »schwul« bedeutete, aber sie gab entnervt auf. Auf Morulas Planeten gab es nur Zwitter, die keinerlei Probleme mit geschlechtlichen Neigungen hatten.

      Esmeralda war seit einer mehrere Jahre zurückliegenden Psychosektion mit anschließender Rekonstruktion klar, dass Kira mit einer Lebenslüge aufgewachsen war und sie ihr unbedingt die Wahrheit beichten musste. Aber die Wahrheit war so ungeheuerlich, dass sie befürchtete, Kira würde sie nicht verkraften.

      »Wenn sie erfährt, dass ihr Vater gar nicht der ist, für den sie ihn hält, wird sie mich in alle Ewigkeit hassen!« Diese dramatisch klingenden Worte wiederholte Esmeralda in zahlreichen Variationen immer wieder, unterstrichen mit Gesten, die auf Edwinas Heimatplaneten bedeutet hätten »du hast Haare im Waschbecken liegen lassen, pfui Teufel«.

      Insgeheim fragte sich Edwina zwar, was für merkwürdige Lebewesen diese doch eigentlich recht intelligenten und lernfähigen Terra-Bewohner waren, die in Dingen, die ihre Gefühle betrafen, vollkommen unkontrolliert zu den abwegigsten Handlungen neigten. Aber natürlich hatte sie Esmeraldas Tränen mit einem hoch saugfähigen Wischtuch getrocknet, das ursprünglich zur Pflege des teuren Ultrafeinvernebelungs-Düsenkopfes ihrer Dusche gedacht gewesen war, und Morula hatte als Trost fünf neue Pullover für ihre terrestrische Freundin und einen lila, rosa und hellblau eingefärbten Sack aus Treiberpflanzen-Lianenhaaren für Edwina gestrickt.

      Sie selbst hatte niemanden, mit dem sie ihre Nöte bereden konnte. Keiner bemerkte ihre internen heißen Diskussionen mit ihrem Symbionten, der mitten in einem ähnlichen Stadium steckte, das Esmeralda in den Geschichten über ihre Tochter »Pubertät« nannte, und alles in Frage stellte, was sie beide aneinander band. Er schien nicht begreifen zu wollen, dass weder Edwina ohne ihn noch er ohne Edwina lebensfähig war. Alles, was ihn interessierte, waren seine eigenen Bedürfnisse. Er meinte, er hätte zu wenige Freiheiten, auf Partys zu gehen (er liebte es, bissige Kommentare zu den Gesprächen dort zu machen), seine Freunde würden alle eingehen (was leider stimmte) und er hätte noch keine Gelegenheit gehabt, ein nettes geschlechtli­ches Gegenstück kennen zu lernen. Edwina versuchte, ihn so gut es ging mit angenehmen Visionen aufzuheitern, die sie in ihrem Hirn erzeugte, aber dieses Heimkino, wie er es verächtlich nannte, stellte ihn nicht mehr zufrieden. Die strikte Weigerung Edwinas, Pornovisionen zu erzeugen, ärgerte ihn mächtig, und immer wieder kam es zu Diskussionen folgenden Verlaufes:

      »Alle anderen Symbionten, die ich kenne, dürfen Pornovisionen gucken, nur ich nicht. Du bist der blödeste Muttersymbiont, den ich kenne!«

      »Du kannst in meinem Körper weitgehend schalten und walten, wie du möchtest, aber dieser Wunsch geht entschieden zu weit. Ich mag absolut keine Symbiontenpornos und selbst dir zuliebe werde ich mich nicht breitschlagen lassen, welche zu erzeugen.«

      »Wenn ich doch nur einen anderen Wirt hätte!«


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