Berufsbezogenes Marketing. Gerhard Seidel

Berufsbezogenes Marketing - Gerhard Seidel


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prüfen, ob das Dach auch die vorgeschriebene Neigung hat, und für den Bauunternehmer summieren sich all diese Überlegungen letztlich in Stunden, Steinen, Zement, Eisen usw. Dem Ganzen setzt dann der Architekt die Krone auf, der sich mit dem Objekt nicht nur ein fremdfinanziertes Denkmal schaffen will, sondern auch potenzielle Kunden davon überzeugen möchte: Bei mir sind Sie richtig! (So zumindest meine Erfahrungen und Wahrheiten, was das Hausbauen angeht.)

      Aber erst alle Sichtweisen ermöglichen ein fertiges Objekt „Haus“. Deshalb gibt es in der Regel keine falschen Ansichten, höchstens andere.

      Welche Zahl ist das, die die beiden Herren sehen? – Es kommt auf den Standpunkt an. Für den einen ist es ganz klar eine „6“, während der andere eine „9“ erkennt.

      Dies zeigt eine Ursache auf, die dazu führt, dass es viele Kommunikationsprobleme gibt: Man versucht zu lange, dem anderen klarzumachen, dass dessen Ansichten falsch sind, anstatt sich zu fragen, wie der Kollege oder der Chef zu seiner Interpretation kommt.

       Praxisbeispiel Dresden

      Hier ein Praxisbeispiel dafür, welche Konsequenzen verschiedene Sichtweisen haben können. Es handelt sich um einen sehr lehrreichen Vorfall aus unserer Branche, ein Bewerbertraining, welches die Leitung eines Kombinats gekündigten Mitarbeitern zu sehr günstigen Konditionen (14 Tage für 100 DM) angeboten hatte.

      Wir hatten kurz nach der Wende in Dresden ein Gruppen-Outplacement abzuwickeln. Von 280 eingeladenen Arbeitnehmern, die von der Kündigung bedroht waren, erschienen 180 zur Informationsveranstaltung. Um 17.00 Uhr (normalerweise war um 16.00 Uhr Feierabend) waren noch 30 Teilnehmer da. Mit 25 führten wir dann letztlich das Bewerbertraining usw. durch und brachten 22 von ihnen in Arbeit.

      Sie denken vielleicht (Ihre Sichtweise und Interpretation): Donnerwetter, das waren ja ziemlich viele, bei dieser schwierigen Situation des Arbeitsmarktes. Na ja, vielleicht denken Sie aber auch (andere Sichtweise und Interpretation): Wenn über 90 Prozent freiwillig aus dem Rennen ausscheiden, dann dürfte es nicht mehr allzu schwierig sein, den Rest unterzubringen. Das stimmt – so oder so. Zumal ein Teilnehmer eines Bewerbertrainings damals mit Sicherheit bessere Chancen hatte als die ungeübten, von Kündigung bedrohten Mitarbeiter.

      Ich will aber noch auf etwas anderes hinaus. Warum haben die restlichen 250 Arbeitnehmer so entschieden? Wenn man denen vorhalten würde, sie hätten doch ihre Arbeitslosigkeit selbst entschieden, dann würden sie diesen Vorwurf ganz empört von sich weisen. Ihre Sichtweise und Wahrheit hat sie anders entscheiden lassen. Viele wollten lieber die volle Abfindung haben und nichts in ein Bewerbertraining investieren.

      Andere waren nicht davon überzeugt, dass man ihnen helfen könnte. Die meisten aber teilten die Sichtweise, in der augenblicklichen wirtschaftlichen Situation (1990/91) bei so vielen Arbeitslosen sowieso keine Chance zu haben.

      Der Verlierer sagt: „Bei 1.000 Arbeitslosen und nur 100 offenen Stellen habe ich kaum eine Chance.“

      Der Gewinner meint: „Was? 100 offene Stellen – und ich brauche nur eine? Also, das dürfte ja nicht so schwierig sein. Da werde ich mich mal drum kümmern.“

      Damit kein Missverständnis entsteht: Die Schwierigkeiten des Arbeitsmarktes sollen keinesfalls bagatellisiert werden, es geht nur darum, einmal eine andere Sichtweise der Dinge darzustellen – eine Sichtweise, die den einzelnen Betroffenen Hoffnung macht.

      Die Welt ist, wie ich sie sehe, und ich behalte immer recht. Wenn ich denke, dass es keinen Sinn hat, und mich entsprechend verhalte, dann wird das stimmen – das Gegenteil aber auch.

       Wir haben immer Erfolg!

      Wir haben immer 100 Prozent Erfolg. Als ich diesen Satz das erste Mal hörte, dachte ich: Ich bin doch nicht allein dafür verantwortlich, was passiert. Und doch lernte ich im Laufe der Zeit, dass es stimmt. Vor allem dann, wenn ich Erfolg wertneutral sehe: Es ist etwas erfolg(t), was ich verursacht habe.

      Was wir nicht können, ist, nichts zu bewirken. Manche Menschen glauben, wenn sie entscheiden, nichts zu tun, dann wären sie raus aus der Verantwortung. Dabei haben sie entschieden, nichts zu tun, also alles zu unterlassen. Dann erfolgt eben etwas anderes als das, was sie tun könnten. Aber sie sind und bleiben trotzdem der Verursacher.

       Alles ist wahr!

      Folgendes ist mir wichtig, Ihnen zu verdeutlichen: Ich trage Ihnen meine Sichtweisen vor und ich verspreche, alles ist wahr. So habe ich es erkannt und für mich interpretiert. Es sind ganz einfach meine Wahr-nehmungen, meine Wahr-heiten.

      Ich kann sehr gut akzeptieren, dass auch Sie Ihre besondere Sicht der Dinge haben, die mindestens so wahr ist wie meine. Meine Aufgabe besteht aber in diesem Buch darin, Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen aufgrund meiner Überlegungen und Schlussfolgerungen in Frage zu stellen, Sie davon zu überzeugen, dass es noch andere Ansichten gibt, woraufhin Sie es zulassen, diese Wahrheiten (oder vielleicht besser Wirklichkeiten – im Sinne von dem, was wirkt) als mögliche Alternative zu akzeptieren.

      Ich gebe zu, manchmal habe ich schon ziemlich ungewöhnliche Sichtweisen bezüglich der Dinge, der Aufgaben und Vorstellungen der von uns in den Seminaren betreuten Teilnehmer. Sie werden sich daran gewöhnen müssen. Aber es ist alles wohlwollend und hilfreich gemeint. Wer sich wie ich über zwanzig Jahre mit Erfolgstraining, Bewerberstrategien, persönlicher Erfolgsplanung, mit Arbeitssuchenden und Trainern beschäftigt, lernt die gesamte Palette dieser Branche kennen.

      „Man darf Seidels gestammelte Weisheiten nicht auf die Goldwaage legen“, meinte mal ein Mitarbeiter, der einen meiner Workshops besuchte, „der sieht eben alles ein bisschen anders, aber er gibt einem gute Gedankenanstöße!“ So sehe ich das auch, mit dieser Sichtweise kann ich gut leben.

       Manchmal dauert es etwas länger!

      In diesem Zusammenhang noch zwei weitere Sichtweisen:

      Nach einem Seminar (41a-Maßnahme) traf ich einen älteren Herrn wieder, den ich als sehr kritisch in Erinnerung hatte. Der sagte mir: „Herr Seidel, wie Sie ja gemerkt haben, war ich mit dem, was Sie da vorn alles erzählt haben, nicht immer einverstanden. Aber mein Enkel, der sich um eine Lehrstelle bewerben wollte, dem habe ich so einiges davon erzählt. Und ob Sie es glauben oder nicht, bei ihm hat das sehr gut funktioniert.“

      Die zweite, wiederum andere Reaktion: Oft höre ich in Vorträgen und Workshops von den Trainern: „Aber ich mache doch nur Deutschunterricht im Rahmen einer Umschulung zum …“ oder „Das Bewerbertraining macht bei uns immer am Ende der Weiterbildungsmaßnahme jemand anderes.“ Darauf antworte ich dann: „Vielleicht müssen Sie ja in Zukunft auch einmal andere Maßnahmen durchführen. Wir verlangen von unseren Teilnehmern, dass sie für neue Sichtweisen, Methoden und damit für ein anderes Verhalten offen sind. Als deren Vorbilder sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen.“

       Sicherheitshalber dagegen sein!

      Auf der folgenden Seite finden Sie meine Sammlung der Argumente, die von Trainern in meinen Seminaren eingewandt wurden. Sie bekräftigten damit, warum das, was ich vorgeschlagen und sonst noch so von mir gegeben hatte, nicht passte, funktionierte und überhaupt …

      Natürlich passen die von mir vorgeschlagenen Methoden und Strategien nicht zu jedem Teilnehmer. Die in den Seminaren Anwesenden sind in ihrer Herkunft, ihrer Schulbildung, in ihren beruflichen Ausbildungen, ihren Erfahrungen und persönlichen Situationen (man könnte seitenweise die Verschiedenheiten aufzählen) unterschiedlich und jeder hat seine eigenen Vorstellungen und Zielsetzungen.

      Diese Tatsache muss ich nicht näher ergründen, sie ist einfach Fakt. Ein Trainerleitfaden ist (so zumindest meine Auffassung) eine Sammlung von möglichen didaktischen, inhaltlichen und bewährten Lehrinhalten für einen ganz bestimmten


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