Berufsbezogenes Marketing. Gerhard Seidel
Grund war auch, dass ich in dieser Zeit als Externer BWL studierte): Vielleicht könnte man im Sinne von Benchmarking die bewährten Instrumente des Marketings auch für den oberen Teil des einfachen Wirtschaftskreislaufes nutzen. Wenn es möglich war, mit gewissen Manipulationsbemühungen „unten“ Erfolge zu haben, warum sollte es nicht auch „oben“ funktionieren?
Damit war die Grundidee des „berufsbezogenen Marketings“ geboren. Ich prüfte, welche Methoden und Strategien des betriebswirtschaftlichen Marketings sich für die Bewerbungsaktivitäten von Arbeitslosen nutzen ließen, damit die Unternehmen den Bewerber und nicht den Konkurrenten einstellten, und was zu tun war, damit sie auch ein angemessenes Gehalt zahlten.
Es gibt nur Goldmedaillen!
Eines wurde mir bei der Arbeit in den Seminaren klar (und das hat sich bis heute nicht geändert): Auf dem Arbeitsmarkt finden wir die reinste Form der Marktwirtschaft. Es werden nur Goldmedaillen verteilt, das Gesetz von Angebot und Nachfrage dominiert ganz eindeutig. Und während sonst Märkte etc. in diversen Gesetzen (BGB, HGB, Akt, AO usw.) geregelt sind, gelten für das Bewerbungsverfahren auf dem Arbeitsmarkt nur wenige und kaum bekannte gesetzliche Auflagen.
Was nichts anderes bedeutet als: Wer als Sieger aus einem Bewerberverfahren herausgehen will, der muss besser sein als seine Konkurrenten. Aber er muss den Kampf um den Arbeitsplatz nicht mit zwanzig Metern Vorsprung gewinnen, es reicht die berühmte Brustbreite. Und diese zu erreichen, das war mein Anspruch und sollte Ziel des berufsbezogenen Marketings sein. Von Anfang an war es aus der Sicht der Trainer konzipiert. Es sollte kein kompliziertes System sein, sondern einleuchtende Erfolgsstrategien beinhalten, die vom Trainer verständlich zu vermitteln und von den Teilnehmern einfach anzuwenden waren.
Ich wollte mehr die Hintergründe und strategischen Aspekte des Bewerbens darstellen, weil sich Fragen nach einem richtigen Anschreiben oder ob man besser einen tabellarischen Lebenslauf schreibt oder was es mit den angeblichen „Geheimcodes“ in Arbeitszeugnissen auf sich hat, in diversen Büchern nachlesen ließen (heute steht so etwas im Internet, im Anhang dieses Buches werde ich einige Websites aufführen).
Weil ich auf diese Unterlagen zurückgreife, sind in diesem Buch auch mehr übergeordnete Überlegungen und Vorschläge für Sie als Trainer zu finden. Die „normalen“ Ratschläge und Probleme, die beim Bewerben zu berücksichtigen sind, überlasse ich anderen Autoren. Einige habe ich unter Angabe der Quellen für Sie als Anregung und als Gedankenstütze zitiert.
3.1.2 Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!
Als ich die ersten Module des berufsbezogenen Marketings entwickelt hatte, war ich immer noch als Personalleiter beschäftigt und nur ab und zu als „besondere Zugabe“ in den 41a-Maßnahmen als „Gastarbeiter“ tätig.
Weil der Mensch ein Augentier ist, stellte ich meine Vorschläge am Flipchart bildlich dar und hängte sie anschließend auf. Am Ende meines Vortrages waren alle Wände des Seminarraumes mit Flipchart-Bildern dekoriert, das sah immer sehr beeindruckend und irgendwie lustig aus.
Flipchart-Bilder und Folien als Trainerleitfaden
Diese Charts waren bei den Trainern sehr begehrt, denn ich konnte nicht an jedem Seminar teilnehmen und so wurde mit der Zeit eine Art visualisierter Trainerleitfaden des berufsbezogenen Marketings entwickelt. Denn auch die Trainer hatten nur wenig Erfahrung mit den Methoden eines erfolgreichen Bewerbertrainings und waren froh über jede Anregung und jeden Vorschlag.
Irgendwann habe ich dann nur noch mit Folien und Overheadprojektor gearbeitet und anschließend die Folien zur weiteren Verwendung an die Trainer verteilt.
Die letzte Entwicklung waren dann Power-Point-Präsentationen, die noch einfacher herzustellen und dauerhaft zu benutzen waren. Inzwischen existieren zum berufsbezogenen Marketing weit mehr als 200 elektronische Folien samt Erläuterungen (dazu mehr auf Seite 5), einige wichtige finden Sie in diesem Buch.
3.2 Sichtweisen des Arbeitsmarktes
Über unterschiedliche Sichtweisen habe ich schon geschrieben. Bei der Entwicklung des BBM fiel mir vor allem in der Seminararbeit auf, dass man die Betrachtung des Arbeitsmarktes und die sich daraus ergebenden Konsequenzen häufig miteinander vermischt. Das gilt nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch für die Trainer. So mancher Frust entsteht bei den Mitarbeitern von Weiterbildungsinstituten auch dadurch, dass man bei den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt seine eigene Arbeit manchmal für ziemlich sinnlos hält (was ich überhaupt nicht so sehe!).
Über die Sinnhaftigkeit von Bewerbertrainings
Immer wieder tauchte die Frage auf: Sind Bewerbertrainings im Hinblick auf so viele Arbeitslose überhaupt sinnvoll? Nun, das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu lösen ist nicht Aufgabe und Zielsetzung eines solchen Seminars. Auch das betriebliche Marketing will ja nicht das gesamte wirtschaftliche Geschehen manipulieren, sondern nur das eines ganz speziellen Unternehmens, mit ganz besonderen Zielsetzungen und mit bewährten Instrumenten. Das Gleiche gilt auch für das berufsbezogene Marketing. Es ist eine individuelle Vorgehensweise und kein allgemein wirkender strategischer Ansatz.
Globale und individuelle Sichtweisen
Man kann den Arbeitsmarkt von „oben“ betrachten – also global – und man kann ihn aus der Sicht des einzelnen Arbeitslosen betrachten und kommt dann zu ganz unterschiedlichen Erkenntnissen und Verhaltensweisen.
Den Arbeitsmarkt kann man in seiner Gesamtheit beispielsweise dahin gehend untersuchen, wie sich die Berufszweige (z. B. Landwirtschaft oder Dienstleistungen) entwickelt haben oder wie sie sich entwickeln werden, welche Berufsfelder welche neuen Herausforderungen (z. B. durch die EDV, die Globalisierung usw.) meistern und wie die Ausbildungsinhalte korrigiert werden müssen. Auch kann man prognostizieren, welche generellen bzw. speziellen Tendenzen den Arbeitsmarkt zukünftig beeinflussen werden. Untersuchen kann man auch, welche Zukunftsberufe interessant sind und welche Berufe es bald nicht mehr geben wird.
Eine andere, globale Betrachtung wäre es, die Form der Arbeitslosigkeit zu erforschen, so z. B. ob es sich lohnt, Kurzarbeitergeld zu zahlen, weil es eine saisonale Arbeitslosigkeit ist. Man kann sich aber auch fragen, ob die arbeitspolitischen Maßnahmen eher geeignet sein sollen, um kurzfristige Arbeitslosigkeit zu beenden oder ob man sich mehr um die Langzeitarbeitslosen kümmern muss.
Für diese Beurteilung und deren Veränderungen sind die übergeordneten Instanzen zuständig. Diese haben die Voraussetzungen zu schaffen oder vorhandene Fehlentwicklungen zu korrigieren, damit die Volkswirtschaft gut funktioniert. Die Entscheidungen und Maßnahmen betreffen nicht den einzelnen Arbeitslosen, sondern alle.
Bei der individuellen Betrachtung des Arbeitsmarktes ist aus der Sicht des einzelnen betroffenen Arbeitslosen die Problemstellung eine vollkommen andere. Dazu passt die Antwort einer Trainerin auf die Frage einer Teilnehmerin bei einem vom Arbeitsamt bezahlten Seminar für Bewerbertraining: „Hat das Ganze bei so vielen Arbeitslosen in unserer Region überhaupt einen Sinn?“
Die Trainerin antwortete: „Richtig ist, nach den letzten statistischen Meldungen gibt es zurzeit im Arbeitsamtsbezirk etwa sechstausend Arbeitslose. Richtig ist aber auch, dass im letzten Monat über sechshundert einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben. Die einzige Frage, die uns jetzt interessiert, ist: Was können wir beide tun, damit Sie nächsten Monat bei den sechshundert dabei sind? Und noch etwas, was für Sie spricht: Von den sechstausend Arbeitslosen ist nur ein sehr kleiner Teil – vielleicht sind es 10 bis 20 Prozent – am Arbeitsmarkt wirklich aktiv.“
Die Behauptung, es gebe nicht genügend offene Stellen, ist aus globaler Sicht richtig. Individuell gesehen aber falsch. Falsch ist aus globaler Sicht die Politiker-Ausrede: Wer will, der kann auch. Individuell betrachtet gibt es sehr wohl viele