Langsam kommt man auch ans Ziel. Monika Laatsch

Langsam kommt man auch ans Ziel - Monika Laatsch


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gerne den Text haben. Ganz nebenbei erzählt sie davon, dass ihr Mann Jürgen plant, einen ähnlichen Weg zu gehen, wie ihn Hape Kerkeling vor ein paar Jahren gegangen ist.

      „Was? Wie bitte?“, frage ich.

      Seitdem ich das Buch von Hape Kerkeling gelesen habe, geht mir der Gedanke, einen Jakobsweg zu gehen, nicht mehr aus dem Kopf.

      Auch das Buch einer Bekannten inspiriert mich seit geraumer Zeit. Sie schreibt, dass man es unbedingt wagen soll zu pilgern. Es sei so toll, der Hektik des Alltags auf diese Weise entfliehen zu können.

      Ich habe mir schon mehrere Outdoor-Handbücher und Reiseführer über das Thema Pilgerwege besorgt und ausgiebig im Internet gesurft.

      Von Rüdiger Nehberg habe ich ein Survivalbuch gelesen, was sicher für dieses Vorhaben nicht von Nöten gewesen ist. Aber schaden kann es bestimmt auch nicht, wenn man so ein paar Überlebenstricks kennt, habe ich mir gedacht.

      Der Camino Francés ist ja der am meisten gegangene Jakobsweg und muss sehr interessant sein. Ich traue mir aber nicht zu, einen solch langen Weg als Frau alleine zu gehen, weil ich keinerlei Erfahrung mit dem Pilgern habe.

      Zuerst ziehe ich eine Gruppenreise in Erwägung, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder: Wenn schon pilgern, dann richtig!

      Schon seit meiner Kindheit durfte ich mit meinen Eltern ins Gebirge fahren. Ein kleiner Fiat Topolino Baujahr 1934 und später ein VW Käfer brachten uns auf abenteuerliche Weise in die deutschen oder österreichischen Alpen. Mit meinem Vater bin ich in den Bergen oft von Hütte zu Hütte unterwegs gewesen, bin also immer viel gewandert. Auch in letzter Zeit hat es mich mit meiner Familie öfter ins Salzburger Land gelockt. Ich habe zusammen mit Einheimischen mehrere Berggipfel erklommen.

      Es gab zwar auch manchmal Matratzenlager, aber meistens doch richtige Zimmer zum Übernachten. Lange Touren über einige Wochen hinweg habe ich jedoch noch nie unternommen.

      Das Pilgern ist also Neuland für mich. Zu gern möchte ich mich damit einmal selbst testen. Wie mir diese andere Art von Wandern zusagt, das ständige Unterwegssein mit nur wenigen Kleidungsstücken im Gepäck, wie mir das Übernachten in größerer Gemeinschaft über längere Zeit hinweg gefällt, und wo meine Grenzen sind, möchte ich herausfinden. Ich möchte mich nach meinem eigenen Empfinden treiben lassen und Leichtigkeit finden.

      Ganz nebenbei kann ich dabei auch herausfinden, ob ich gerne mehrere Wochen ohne meinen Mann verbringen möchte. Nach über dreißig Ehejahren kann das ja vielleicht mal ganz erfrischend sein. Das wird uns Beiden sicher gut bekommen. Soll ja die Liebe auffrischen. Wer weiß?

      Am Nachmittag nach dem Telefonat kommt Jürgen vorbei.

      Er erzählt mir, dass er den portugiesischen Weg, den Caminho Português, ab Porto gehen will. Dieser soll im Sommer nicht so überlaufen sein und sei mit seinen ungefähr zweihundertfünfzig Kilometern auch entschieden kürzer, und gerade für Pilgerneulinge geeignet.

      Jürgen hat sich schon seit geraumer Zeit mit seinem Vorhaben befasst und bringt entsprechend viel Informationsmaterial mit.

      Ich habe vom Caminho Português nur flüchtig etwas gelesen und mich bisher noch nicht weiter für diese Variante interessiert. 1987 sei dieser Caminho zum ersten europäischen Kulturweg erhoben worden.

      Jürgen, der auch noch nie gepilgert ist, möchte, bevor er Siebzig wird, auf jeden Fall einmal einen Pilgerweg gehen. Einige Leute aus seinem Bekanntenkreis habe er schon gefragt, ob sie mit ihm gehen würden. Auch in seiner Kirchengemeinde hatte er einen Aushang angebracht, es seien aber keine Rückmeldungen gekommen.

      Schnell bin ich begeistert von der Idee und von Jürgens Schilderungen. So sind wir uns ruck zuck einig, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen wollen; er scheint uns auch in unserem fortgeschrittenen Alter machbar.

      Äußerlich sind wir allerdings sehr unterschiedlich: Jürgen ist bestimmt fünfunddreißig Zentimeter größer als ich, ziemlich beleibt und entsprechend schwer. Ich, als kleine Frau, mit meinen gerade mal Hunderteinundfünfzig Zentimetern und meinen vierundfünfzig Kilogramm komme mir dagegen vor wie ein Zwerg.

      Man könnte uns mit „Asterix und Obelix“ vergleichen.

      Trotz unserer äußerlichen Unterschiedlichkeit buchen wir in den nächsten Tagen schon gleich die Flüge.

      Jetzt sind sie ja noch billiger zu bekommen. Wir haben uns für die Reisezeit von Ende August bis Mitte September entschieden. Das Wetter soll in dieser Zeit in Portugal und in Spanien am beständigsten sein. Auch die heißeste Jahreszeit ist dann sicher vorbei.

      Einige Male treffen wir uns, um anstehende Fragen zu klären.

      Jürgen bereitet alles akribisch vor und plant schon viele Etappen im Voraus, was mir eigentlich gar nicht so gut gefällt. Ich will lieber nur eine grobe Planung haben und alles weitere eher auf mich zukommen lassen. –

      Von nun an durchforste ich meinen Kleiderschrank, um nach passenden Klamotten zu suchen.

      Schnell wird klar, dass die Dinge, die ich besitze, alle eher für Kurztouren in den Bergen taugen. Ich finde noch eine alte Goldmünze, die ich zur Konfirmation von meinen Großeltern bekommen habe. Ungeachtet liegt diese Münze in einer Schachtel. Außerdem habe ich noch den Pelzmantel einer verstorbenen Tante, den ich sowieso nicht mehr trage. Da ich meine Reise allein finanzieren und unser Konto nicht belasten will, verkaufe ich diese Dinge spontan.

      Ich will ja ohnehin mein ziemlich konservativ dahin plätscherndes Leben etwas verändern, also: weg damit!

      Von dem Geld kaufe ich mir einen tollen, superleichten Daunenschlafsack und ein paar wunderbare, wasserdichte, mit neuestem Komfort ausgestattete Wanderschuhe, die sich sofort wie Hausschuhe an meine Füße anschmiegen.

      Der Hinflug Berlin/Porto und der Rückflug Santiago/Berlin sind damit auch gesichert und es bleibt noch Geld für einen sechsunddreißig Liter fassenden Trekkingrucksack und für einen atmungsaktiven Pilger-Regenponcho mit speziellem Rucksackplatz.

      So habe ich bald meine – wie ich finde – gute Wanderausrüstung zusammengestellt.

      Da ich ja meiner über achtzig jährigen Mutter öfter mal im Haushalt helfe und sie mir immer Geld dafür zusteckt, habe ich bald für die restlichen Anschaffungen, wie Notfallmedikamente und anderen Kleinkram, das nötige Geld zusammen.

      In einem Kaufhaus erstehe ich in der Buchabteilung einen gelben Outdoor-Reiseführer über den Caminho Português und einen Sprachhörkurs „Urlaubskurs Spanisch ganz leicht“ mit zwei CDs und fange also an, etwas Spanisch zu lernen.

      So „ganz leicht“ lerne ich Spanisch aber nicht. Es will nicht richtig was hängen bleiben. Englisch, Französisch und Italienisch zu lernen ist mir früher leichter gefallen. Der Zahn der Zeit nagt wohl schon ganz schön an meinen grauen Zellen! Das muss sich ändern! –

      Ende März 2012 unternehmen wir bei nasskaltem Schmuddelwetter mit Hagel und Schneegestöber eine gemeinsame Pilgerwanderung in unserem Brandenburger Umland. Es geht von Göricke nach Bad Wilsnack. Diese Strecke ist fünfundzwanzig Kilometer lang, wird von der Brandenburger Pilgergemeinschaft organisiert und ist sozusagen als Test für unser beider Tauglichkeit für eine längere Unternehmung gedacht.

      Weil ich es ja mal wieder übertreiben muss, nehme ich zur Probe auch gleich noch meinen neuen Rucksack mit, den ich extra voll gepackt habe, um auf das Gewicht von sieben Kilo zu kommen.

      Alle anderen Teilnehmer auf dieser Wanderung haben kleine, leichte Rucksäckchen dabei oder gar nichts.

      Einige schauen mich verwundert von oben bis unten an. Sie fragen mich irritiert, was ich noch so vorhabe und wohin ich noch laufen will.

      Zu Anfang der Tour bin ich ehrgeiziger Weise auch immer an der Spitze bei der Wanderführerin. Jürgen ist immer hinten und unterhält sich gemütlichen Schrittes mit einigen


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