Skandal um Zille. Horst Bosetzky
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Horst Bosetzky
Skandal um Zille
Roman
Jaron Verlag
Originalausgabe
1. Auflage 2013
© 2013 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
1. digitale Auflage 2013: Zeilenwert GmbH
ISBN 978-3-955529-202-5
Inhaltsverzeichnis
Je mehr ich erfahre über ihn, desto mehr verwächst er mit mir …
Stefan Heym, Der König David Bericht
Eins
Die Tunneleule war auf dem Bahnhof Kochstraße noch nicht ganz zum Stehen gekommen, da hatte Konrad Kowollek schon die Türen aufgerissen und war hinausgesprungen. Dass er dabei wartende Fahrgäste touchierte und eine schmächtige Frau fast zu Boden riss, interessierte ihn wenig. Tempo war angesagt, und wer in Berlin lebte, sollte nicht jammern, wenn es hektisch wurde. Außerdem war Kowollek Reporter und genoss damit das Vorrecht, es eilig haben zu dürfen. Der Kampf auf dem Berliner Zeitungsmarkt war hart, manchmal ging es um Sekunden. 148 Tageszeitungen konnte man kaufen, Kowollek hatte sie kürzlich alle durchgezählt. Sein Berliner Boulevard Blatt (BBB) hatte es schwer, gegen die B.Z. am Mittag und eine weitere Zeitung anzukommen, die dreimal am Tag erschien und ausgerechnet den Namen Tempo trug.
Kowollek hastete die schmale Bahnhofstreppe hinauf, überholte mehrere jüngere Männer mit dem Ehrgeiz eines Leichtathleten und fluchte gewaltig, als er auf dem Mittelstreifen der Friedrichstraße warten musste, um etliche Autos und Straßenbahnen vorbeifahren zu lassen. Endlich konnte er die Fahrbahn überqueren und Kurs auf das Geschäftshaus nehmen, in dem sich die Redaktion des BBB eingenistet hatte.
An der Ecke Friedrichstraße und Kochstraße standen einige fliegende Händler, die den Passanten marktschreierisch ihre Zeitungen unter die Nase hielten. »BBB heute: Berliner Schlittschuh-Club trotzt der Eishockey-Nationalmannschaft ein 4:4 ab. – Der Magistrat erlässt Richtlinien für die Verwaltung der öffentlichen Bedürfnisanstalten. – Der dänische Schriftsteller Martin Andersen Nexö liest im Bürgersaal des Roten Rathauses. – BBB, stets das Allerneuste von der Spree!«
Damit kann man doch keinen Blumentopp gewinnen!, dachte Kowollek. Wegen solcher Schlagzeilen kaufte sicherlich niemand eine Zeitung. Kein Wunder, dass sie beim BBB noch immer tiefrote Zahlen schrieben.
Er hetzte die Straße entlang. Nicht ohne einen Blick auf die Litfaßsäulen und die anderen Reklameflächen zu werfen. Überall hingen Plakate, die auf den nächsten Zille-Ball im Sportpalast aufmerksam machten. Am 4. Februar 1928 war es wieder so weit. Kowollek freute sich. Das kam seinem Vorhaben zugute.
Er stürmte am Pförtner ebenso vorbei wie an der Vorzimmerdame des Chefredakteurs. Niemand hielt ihn auf, er konnte sich das erlauben.
»Ich muss dringend zu Herrn Rummler! Ist er da?«
»Ja, er ist in seinem Büro.«
Kowollek klopfte an, wartete jedoch nicht auf das »Herein!«, sondern betrat unaufgefordert das Zimmer.
Reinhard Rummler war es gewohnt, dass seine Reporter wie »des Wahnsinns kesse Beute« wirkten, wie es im Volke hieß. Erich Kästner hatte ihm vor kurzem erzählt, dass er an einem Berlin-Roman sitze, Arbeitstitel Fabian, und ihm auch schon daraus vorgelesen. Einige Sätze hatte sich Rummler gemerkt: Hinsichtlich der Bewohner gleicht Berlin längst einem Irrenhaus. Oder: Man halte hier jeden Menschen, mit Ausnahme der Kinder und der Greise, bevor das Gegenteil nicht unwiderleglich bewiesen ist, für verrückt. Rummler hatte mit seinem Kneifer und dem Schnauzbart à la Kaiser Wilhelm eine gewisse Ähnlichkeit mit Theodor Wolff vom Berliner Tageblatt, einzig dessen zur Tolle aufgetürmten Haare fehlten ihm. Die Frisur des Chefredakteurs vom BBB ließ eher an Hindenburg denken.
»Ich habe eine unglaubliche Geschichte, die wird unsere Zeitung in der Publikumsgunst aufsteigen lassen wie eine Silvesterrakete!«, begann