Skandal um Zille. Horst Bosetzky
»Det is nich schlecht, det könnte jehn, wenn wa drunta schreim: Det passende Jeschenk zu mei’m Jeburtstach – die Siebzigsäule.«
»Hm …« Liebermann war nicht begeistert von Freys Vorschlag. »Det andere Bild is mir politischer.«
Mit dicker schwarzer Kreide suchte er die Zeichnung zu vollenden. Sie zeigte einen Marktplatz mit fünf Ständen. Am ersten waren Priester und Bischöfe zu sehen, am zweiten der König und einige Herren vom Hochadel, am dritten hatten sich Fabrikherren, Kaufleute und Bankiers versammelt – unter ihnen Borsig, Siemens und Bleichenröder – und am vierten Bauern ihr Obst und Gemüse ausgebreitet.
»Und nun der fünfte Stand …« Liebermann überlegte einen Augenblick. »Wat hat unsa Heinrich im Büro der National-Film darum jerungen, det et eenen doppelten Titel jibt! Nich nur Die Verrufenen, sondan ooch noch Der fünfte Stand. Darum ooch dieset Bild. Aba wat soll ick am fünften Stand für Fijuren hinmalen?«
»Am besten welche aus sei’m Milljöh.«
»Det ick da nich von alleene drauf jekommen bin.« Max Liebermann begann, eine dralle Prostituierte und ihren Luden, eine Mutter mit einem tuberkulösen Kind und eine verhärmte Bettlerin zu zeichnen.
»Da muss aber Zille selba noch mit ruff!«, sagte Hermann Frey. Liebermann verstand das nicht. »Wieso’n dette?«
»Weil ick unta det Bild schreim will, wat a selba unta einen abjelehnten Entwurf zum Fülm-Plakat jeschriem hat: Das sind Wir ja alle! ›Wir‹ jroß.«
»Na schön.«
Als die Söneland und ihr Mann gegangen waren, hatte sich Zille wieder aufs Bett gelegt und Frau Riethmüller gebeten, den beiden Freunden im Nebenzimmer zu sagen, sie möchten sich noch ein Viertelstündchen gedulden. »Det is ma allet zu ville.«
Dann raffte er sich auf, und sie saßen zu dritt am Kaffeetisch und redeten über allerlei Neuigkeiten. Den Kaffee hatten sie schon ausgetrunken und waren inzwischen beim Rheinwein angekommen.
Zille füllte den Freunden die Gläser. »Endlich darf ick euch mal reinen Wein einschenken, ohne det ihr meckert.«
Max Liebermann hob sein Glas. »Uff deine Jesundheit, lieba Heinrich!«
Zille wehrte ab. »Lass det mit dem Heinrich. Immer wenn ick in’n Spiejel gucke, denn denk ich: Mein Gott, Joethe!«
»Wieso Goethe?« Hermann Frey kapierte das nicht.
»Na, Faust, erster Teil: Heinrich! Mir graut ’ s vor dir.”
Max Liebermann schnauzte ihn an: »Janz Berlin himmelt dich an – keen Mensch graust sich vor dir. Jeh mal wieda unta de Leute!«
»Die Jelejenheit is jünstig.« Hermann Frey sah Zille an.
»Heinrich, wenn de jetzt untawegs bist, denn brauchste für die Straßenbahn, für’n Bus und de S- und U-Bahn nur noch eenen Fahrschein – mit dem kannste dann von eem Verkehrsmittel in det andere umsteijen.«
»Güldet der Fahrschein ooch für ’n Leichenwagen?«, wollte Zille wissen.
»Ja, aba nich raus bis nach Stahnsdorf uff’n neuen Friedhof, det is zu weit.«
»Dann übaleje ick mir det mit dem Sterben doch noch mal«, erklärte Zille. »Wat jibt et sonst Neuet?«
»Nüscht Jutet.« Max Liebermann berichtete von der schweren Gasexplosion im Mietshaus Landsberger Allee Nr. 115 / 116, bei der 17 Menschen verletzt und 90 obdachlos geworden waren.
»Und ’n paar Familien haben ihre janze Habe valor’n.«
»Bei Jas is mir nie janz wohl.« Zille schüttelte sich. »Eena will sich umbringen und dreht ’n Jashahn uff, der andere is zu tütelich und macht’n nicht zu, wenn a jekocht hat, der Dritte lässt de Kartoffeln übakochen, so det die Flamme ausjeht.«
»Zurück zum Lagerfeuer!«, forderte Max Liebermann. »Auf allen zentralen Plätzen in Berlin unterhält der Magistrat offne Feuer, und jeder kommt mit seim Fleisch hin, um et da am Spieß braten zu lassen.«
»Feuer frei!«, rief Zille.
»Nich Feuer frei, sondern Hermann Frey! Ich muss doch sehr bitten.«
Max Liebermann tat so, als sei er entsetzt. »Meine Herren, wo bleibt das Niveau?«
Hermann Frey begann darauf, freiheraus zu singen: »Die Menschen sind glücklich, die Menschen sind froh, / denn wieder einmal reden und lachen sie weit unter ihrem Niveau!«
Frau Riethmüller erschien in der Tür und fragte, ob sie noch eine Flasche Wein bringen solle.
Hermann Frey hob die rechte Hand und winkte ihr freudig zu. »Bringen Sie nur! Wir müssen uns gebührend auf den nahenden Geburtstag unseres Meisters einstimmen.«
Heinrich Zille verzog das Gesicht. »Hört bloß uff damit! Wenn ick am 9. Januar in’t Bett jehe, dann wünsche ick mir, det ick erst am 11. wieda uffwache. So könnt ick den Jeburtstach einfach übaspringen.«
»Mensch, Heinrich«, mahnte ihn Hermann Frey, »janz Berlin will dir jratulieren und dir ’n Ständchen und ’n paar Blumen bringen, jede Zeitung will ’n Photo von dir im Blatt haben.«
»Und ick will nüscht weita als meine Ruhe ham!«
Max Liebermann meldete sich zu Wort. »Ich erinnere an Fontane, der Melusine im Stechlin sagen lässt: Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod.«
Hermann Frey nickt. »Det is dit Stichwort: dein Bejräbnis, Heinrich. Wenn de dir vor Oojen führst, det janz Berlin da uff de Beene is, denn muss dich dit doch wieda uffrichten.«
»Na, wer weeß, wat noch allet kommt. Prost!«
Drei
Johannes Banofsky war 1895 in Friedrichshagen bei Berlin als Sohn eines Lehrers zur Welt gekommen und Opfer einer frühkindlichen Prägung ganz besonderer Art geworden. Sein Vater hatte des Öfteren führende Mitglieder des Friedrichshagener Dichterkreises zu Gast gehabt, etwa Max Dauthendey, Richard Dehmel, Max Halbe, Knut Hamsun, Maximilian Harden, Gerhart Hauptmann, Peter Hille und Erich Mühsam. Letzterer hatte ihn ganz besonders beeindruckt, und so suchte Banofsky diesem in seiner äußeren Erscheinung zeitlebens zu gleichen.
Bei diesem Hintergrund nahm es nicht wunder, dass er schon als Zehnjähriger erklärt hatte, einmal Dichter werden zu wollen. Angesichts seiner mangelnden schulischen Leistungen, auch im Fach Deutsch, erschien dieser Wunsch seinen Eltern jedoch geradezu lächerlich, und so gaben sie ihn nach Abschluss der Volksschule 1909 zu einem Zimmermann in die Lehre. Dort glänzte Banofsky, schaffte die Gesellenprüfung ohne jede Mühe und zog dann, wie es Brauch war, durch halb Europa und erlebte manches Abenteuer. Wieder zurück in Berlin, brachte er seine Eindrücke zu Papier. Sein Roman Auf Schusters Rappen erschien 1920, wurde aber kein großer Erfolg, weil die Menschen nach Kriegsende anderes im Kopf hatten, als sich mit schöngeistiger Lektüre zu befassen.
Auch Johannes Banofsky war Soldat gewesen, hatte an vielen Fronten im Osten wie im Westen gekämpft, jedoch nur kleinere Verwundungen davongetragen. Nach dem Krieg hatte er sich bei einer Cousine in Rüdersdorf eingemietet und bei der May-Film GmbH Arbeit als Kulissenbauer gefunden.
In Joe Mays Filmstadt Woltersdorf, einem Vorläufer Hollywoods, wurden Abenteuerfilme wie Die Herrin der Welt (1919) und Das indische Grabmal (1921) gedreht. Banofsky ließ sich von der Begeisterung für den Film anstecken und versuchte alsbald sein Glück als Schauspieler. Nach ein paar Wochen Unterricht in einer erstklassigen Schauspielschule bekam er bei verschiedenen Produktionsfirmen kleinere Rollen, sogar der große Jules Greenbaum besetzte ihn einige Male. Zuletzt hatte man ihn in einer Nebenrolle in Zilles Die Verrufenen bewundern können.
Darüber hinaus hatte Banofsky einen Hang zur Malerei und einige Semester Kunstgeschichte an der Hochschule für Bildende Künste studiert.
Fragte man ihn, womit