Das Genie Wolfgang Amadé Mozart in literarischen Bildern romantischer Tradition der Kunstreligion und Musikästhetik. Gerhard vom Hofe

Das Genie Wolfgang Amadé Mozart in literarischen Bildern romantischer Tradition der Kunstreligion und Musikästhetik - Gerhard vom Hofe


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heute nicht letztlich geklärt ist auch Mozarts Beziehung zum durch seine Briefe berühmt gewordenen Bäsle in Augsburg. Ähnliches gilt auch für die Art und Weise seiner Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte und für Mozarts persönliches Verhältnis zu diesem berühmten Librettisten, dem wir die Texte der großen späten Opern (Le nozze di Figaro, Don Giovanni, Cosi fan tutte) verdanken und der auch – wie dessen späte Memoiren verraten – ein klares Bewusstsein für die historische Bedeutung von Mozarts Genie gewonnen, aber zu dessen Lebzeiten sich offensichtlich nicht in der Lage gesehen hatte, seine Überzeugung angemessen zu vermitteln und Mozarts Anerkennung als singuläres Genie in der Öffentlichkeit zu beflügeln. Ob sein Diktum deshalb als eine heimliche Selbstkritik gelesen werden kann, bleibt wohl eine Mutmaßung: „Obwohl Mozart das höchste Talent und eine vielleicht größere Begabung als irgendein anderer Komponist der Vergangenheit oder Gegenwart besaß, so war es ihm infolge der Intrigen seiner Gegner doch nicht gelungen, sein göttliches Genie in Wien zur Geltung zu bringen. Er blieb im Dunkeln gleich einem kostbaren Edelstein, der seinen Glanz im Schoß der Erde verbirgt.“6

      Einige Probleme bereiten noch immer die endgültige Klärung der Frage, wie denn Mozart in Wahrheit menschlich zu seinem musikalischen Rivalen Salieri oder auch zu anderen Künstlern der zeitgenössischen Musikszene gestanden haben mag. Und noch nicht hinreichend geklärt scheint auch die Frage nach den wirklichen Ursachen für die finanziellen Nöte und für die Misere, in die Mozart offensichtlich ab 1787 geraten ist. Schließlich hat dieser Umstand Stoff für eine ganze Flut von Legenden über Mozarts Kind gebliebene, lebensuntüchtige Künstlerexistenz geboten, haben die entsprechenden Legenden und Anekdoten seine mangelnde Ökonomie, seine Leichtfertigkeit, seine Lebensfremde und naive (oder besser gesagt: unbesonnene) Großmut des Genies und Arglosigkeit des im Grunde sozial eingestellten Mozart ausdrücklich zu erklären versucht.7

      Oder man denke nur an die bis heute nicht vollends aufgeklärten Kompositionsmotive für die späten großen Werke, fürs Requiem und die letzten drei großen Sinfonien in Es- Dur, g- moll und C- Dur (KV 543, 550, 551)8 und deren Entstehungsgeschichten. Allerdings hat vor kurzem Christoph Wolff gerade diesen Themenkomplex neu beleuchtet und in seiner jüngst erschienenen Mozartmonographie überzeugende Einsichten vermittelt.9

      Die außerdem in vielen Punkten dunklen, d.h. historisch unbefriedigend und lückenhaft dokumentierten Ereignisse der letzten Lebenswochen Mozarts und seiner Todesumstände konnten in besonderem Maße zu vielen bis in unsere Gegenwart hinein populär gebliebenen Legenden führen.10 Und viele gerade dieser apokryphen Texte haben sich teilweise sogar als vermeintlich seriöse Zeugnisse von Fakten in Mozarts Biographie (aller kritischen Vorbehalte zum Trotz) behaupten können.

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      Bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (dies lässt sich zumindest tendenziell feststellen) dominierte in der wissenschaftlichen Biographik, in literarischen Mozartdarstellungen, aber auch allgemein in der Musikkultur und unter Liebhabern das Bild vom seraphischen Götterliebling Amadeus. Man glaubte in Mozart eine geradezu mustergültige Inkarnation eines apollinischen Künstlergottes und das schlechthinnige Paradigma eines begnadeten göttlichen Wunderkindes zu erkennen. Dies Bild verrät natürlich oft mehr über die Interessen der Betrachter als über den wahren Sachverhalt des Objekts der Anschauung: Der Geist des historisch orientierten Bildungs- und Kulturbürgertums findet darin seinen signifikanten Ausdruck. Und dies Bild verdankt seine Entstehung wesentlich dem frühen 19. Jahrhundert und der romantischen Tradition der Musikästhetik.11

      Komplementär zum Bild der göttlichen Lichtgestalt Mozarts und der Anschauung des Wunderkindes haben die frühen Mozartverehrer der Zeit um 1800 – um hier nur die prominentesten Autoren zu nennen: vornehmlich Goethe und E.T.A. Hoffmann – das Bild eines durch das Dämonische gezeichneten und tragischen Genies, eines damit letztlich auch fremden und unheimlichen Mozart geprägt. Dabei spielt das Erlebnis seiner Oper Don Giovanni, angeschaut und interpretiert als Spiegelbild des Komponisten, ja als eine verborgene Selbstdarstellung, eine maßgebliche Rolle.12 Diese Sichtweise wird dann Wolfgang Hildesheimer aufnehmen und aus moderner Optik und in Kenntnis der Rezeptionsgeschichte mit aller Entschiedenheit, ja Radikalität das „dämonische Element“ Mozarts als des der Welt und dem Leben gänzlich Fremden betonen. Er vertritt gegen die Tradition seit der Romantik, auch gegen den Strich nahezu aller literarischen Mozart- Darstellungen die radikale These des absolut isolierten, nicht mitteilsamen und schlechterdings inkommensurablen, in anderen Kategorien existierenden Künstlers Mozart.13

      Mit Hildesheimers Sicht einher geht im Unterschied etwa zu E.T.A. Hoffmanns idealisierender Interpretation in dessen romantischer Erzählung Don Juan14 eine konsequente Destruktion der Mythisierungen des Genies Mozart als des göttlichen und apollinischen Kindes vor allem in der Folge des Raffaelkultes der deutschen Frühromantik, der von Wackenroder/Tieck begründet worden ist.15 Diesen Rezeptionsprozess hat der Leipziger Musikkritiker und Schriftsteller Friedrich Rochlitz maßgeblich befördert. Dessen Auffassung hat bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine nachhaltige Resonanz gefunden. Rochlitz hatte 1798 in seiner Allgemeinen Musikalischen Zeitung eine kommentierte Sammlung von Mozart-Anekdoten veröffentlicht16 und damit der unbefriedigten psychologischen Neugier vieler Mozartliebhaber Rechnung getragen, dem Geheimnis der Person des Genies auf die Spur zu kommen und über die Seelengeschichte und die Innerlichkeit Mozarts Näheres in Erfahrung zu bringen als dies durch die bisher publizierten Quellen, etwa den Nekrolog Schlichtegrolls von 179217 oder auch durch Niem(e)tscheks erste Biographie von 179818 möglich schien.

      Außerdem hatte Rochlitz in einem programmatischen Aufsatz mit dem Titel Raffael und Mozart, erschienen in der Juninummer seiner Musikalischen Zeitschrift des Jahres 180019, alles Unheimliche, Peinliche und Fremde bewusst ausblendend oder doch überspielend, in deutlich apologetischer Absicht die Einheit des Künstlergenies und des großen tugendhaften Menschen Mozart akzentuiert und damit großen Einfluss auf die Urteilsbildung der musikalischen Öffentlichkeit genommen, ja das Mozart-Bild der künftigen Rezeptionsgeschichte für Jahrzehnte geprägt. Elemente des durch Rochlitz fixierten und normbildend nachwirkenden Mozart-Bildes finden sich sogar noch in Peter Shaffers Amadeus - Theaterstück und in Milos Formans darauf zurückgehenden Film unserer Zeit.20

      Rochlitz hatte offenbar die Absicht, die seiner Zeit vorherrschende Mozart-Kritik der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts zu verabschieden.21 Diese frühe Rezeptionsphase hatte dem Komponisten wohl ein „großes Genie“ im Sinne einer musikalischen Zeitgröße von Rang attestiert, aber eben nicht in der Bedeutung eines vollendeten „klassischen“ Künstlers.

      Eine historische Erklärung dafür bietet vielleicht der für das späte 18. Jahrhundert charakteristische und oft beschworene „Paradigmenwechsel“ von der Vokal- zur Instrumentalmusik22, der mit der Begründung einer romantischen Musikästhetik eine „Metaphysik der Instrumentalmusik“ zur Folge hatte, die aber den Blick für die Bedeutung von Mozarts großen klassischen Sinfonien noch nicht gewonnen hatte. Zudem hatte man Mozart „eigentlich wenig höhere Kultur und wenig wissenschaftlichen Geschmack“23 als beklagenswerten Mangel vorgehalten.

      Bei Rochlitz finden sich alle wichtigen und wirkungsmächtigen Motive des populär gewordenen romantischen Mozart-Bildes ausgebildet: eine klare Profilierung der menschlichen Tugenden Mozarts (seine Gefälligkeit, sein Gerechtigkeitsgefühl, sein Fleiß, seine Gatten- und Familienliebe, sein Selbstbewusstsein, seine soziale Einstellung, seine Treue zur deutschen Nation etc.); nicht minder die Idealisierung seines unglaublichen musikalischen Vermögens, seines unfasslichen Ideenreichtums (traditionell rhetorisch ausgedrückt: seiner unglaublichen inventio) wie der unvorstellbaren Mühelosigkeit seines Komponierens, die im Hinblick auf die zeitgemäßen Erklärungsmodelle der in den frühen 90er Jahren entwickelten romantischen Musikästhetik unwillkürlich mit dem Wunderbaren in Verbindung gebracht wurde. In Wackenroder/Tiecks Phantasien über die Kunst oder dann auch in E.T A. Hoffmanns musikästhetischen Schriften wird als Gegenstand der „eigentlichen Musik“ des romantischen Zeitalters – im Gegensatz zur überlieferten Ästhetik der Vokalmusik mit ihrer zentralen Kategorie der imitatio naturae – in der nun stark betonten „Metaphysik der Instrumentalmusik“ das „Übermenschliche“


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