Das Genie Wolfgang Amadé Mozart in literarischen Bildern romantischer Tradition der Kunstreligion und Musikästhetik. Gerhard vom Hofe

Das Genie Wolfgang Amadé Mozart in literarischen Bildern romantischer Tradition der Kunstreligion und Musikästhetik - Gerhard vom Hofe


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lag nahe) die Auffassung von der Musik als einer göttlichen, heiligen Kunst mit einer „religiösen Substanz“ im Sinne der Kunstfrömmigkeit der Romantik seiner Zeit, womit dann wiederum eine besondere Wertschätzung seiner Kirchenmusik verbunden ist und im Blick auf die erkannte Raffael-Parallele, speziell auf dessen Transfigurationsbild (seine Verklärung Christi von 1520)25 in Mozarts Komposition des Requiems dessen Vermächtnis und vermeintlich Mozarts höchst vollendetes Werk gesehen wurde.26

      Der spekulative Vergleich Mozarts mit Raffael, dem erklärten Kunstgott der Romantik seit Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders und den von Tieck herausgegebenen Phantasien über die Kunst, verfolgt das Ziel, den Menschen Mozart zum vorbildlich idealen und einzigartigen Künstler zu erhöhen, ihn zu genialisieren und den religiösen Gehalt seiner Werke als Emanationen des himmlischen Kunstgeistes zu erklären.27

      Der Dichter Franz Grillparzer zitiert in einem 1843 entstandenen Gedicht Zu Mozarts Feier das längst zum Topos gewordene Motiv der Künstlerparallele:

      „Mit Raffael, dem Maler der Madonnen, steht er <Mozart!> deshalb, ein gleichgescharter Cherub, der Ausdruck und der Hüter wahrer Kunst, in der der Himmel sich vermählt der Erde.“28

      Klassische und romantische Vorstellungen erscheinen bei der Berufung Raffaels als des neuzeitlichen Realisators des klassisch-antiken Schönheitsideals par excellence vermittelt. An das Raffael-Bild Winckelmanns29 erinnern die ästhetischen Prinzipien des Klassizismus30, die beispielsweise die Schlussstrophe eines Huldigungsgedichts mit dem Titel An Mozart des Königs Ludwig I. von Bayern von 1856 metaphorisch zur Sprache bringt, wenn er Mozart poetisch feiert als die Sonne, „welche ewig glüht“:

      „Vermählet ist in deinen Tönen

      Die Melodie mit Harmonie.

      Es lebt das Ideal des Schönen

      Im Zauber deiner Phantasie.“31

      *****

      Es scheint unverzichtbar, noch eine weitere Mozart-Publikation von Friedrich Rochlitz zu erwähnen, weil diese nicht weniger gravierende Folgen für das bis ins 20. Jahrhundert kanonisch gebliebene Mozart-Bild hatte. Es handelt sich hierbei (wie man heute weiß) um eine vorsätzliche Geschichtsklitterung: das 1815 veröffentlichte Schreiben Mozarts an den Baron von ...32, eine scheinbar authentische Antwort auf die Frage nach dem Schaffensvorgang des Komponisten. Hier sollte der Mythos vom leichthin im Kopf komponierenden Mozart, der experimentell nicht einmal auf das Klavier angewiesen schien, seine angeblich vom Komponisten selbst autorisierte Begründung finden. Diese eigentümliche und einzigartig geniale Kompositionsweise Mozarts, die vermeintlich nur noch eines mechanischen Schreibakts bedarf, wurde immer wieder als besondere Auszeichnung des göttlichen Musensohns hervorgehoben.

      Goethe, ein großer Bewunderer Mozarts33, aber auch andere Prominente haben an diese Art göttlicher Inspiration Mozarts bereitwillig geglaubt. Und selbst wenn es so gewesen wäre und der Komponist nach dem Empfang seiner Eingebungen naturgemäß nur noch, wie mutmaßlich Thomas Bernhard (der Schluss von dessen Roman Das Kalkwerk kommt einem unwillkürlich in den Sinn34) gesagt hätte, „seinen Kopf urplötzlich von einem Augenblick auf den anderen (...) auf das Papier“ hätte „kippen“ müssen; selbst dann bliebe noch allein die mechanische Arbeit der Niederschrift von insgesamt 23.000 Seiten Noten nach Zählung der Neuen Mozart-Werkausgabe, und dies in einem Zeitraum von noch nicht einmal siebenunddreißig Lebensjahren (abzüglich der frühen Kindheitszeit) als eine beinahe unglaublich zeitaufwändige Fleißarbeit maßlos zu bestaunen.

      Ulrich Konrads Habilitationsschrift über die Schaffensweise, über Skizzen und Notizhefte Mozarts hat diesen durch Rochlitz in die Welt gesetzten Mythos der Produktionsweise, dem die Familie Mozart selber durch briefliche Äußerungen Vorschub geleistet hatte, zuletzt entscheidend korrigiert und wenigstens tendenziell in den Bereich der Legenden verwiesen.35

      Generell wird man Rochlitz vorhalten müssen, dass er im Interesse seiner apologetischen Absichten unhistorisch und fabulierend verfährt und mit seiner Idealisierung Mozarts der künftigen Verklärung gewollt oder ungewollt Vorschub geleistet hat. Sein Mozart-Bild spiegelt letztlich seine eigene Weltsicht und die Kunst- und Genieauffassung seiner Zeit, der Romantik, wider, klärt aber nicht die wahren Lebens- und Schaffensumstände Mozarts, versucht nicht die wahren Sachverhalte aufzuklären und die überlieferten Selbstzeugnisse und Dokumente zu befragen und dadurch eine Antwort zu finden auf die Frage, wie es eigentlich gewesen ist. Und dies lässt sich verallgemeinernd wohl von den meisten Mozart-Bildern des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts behaupten: Sie bringen eher die subjektiven Anschauungen der Interpreten zum Ausdruck und verraten oft die Tendenz der Vereinnahmung dessen, den sie ins Bild zu setzen versuchen.

      Natürlich präfiguriert Rochlitz auch die Stilisierung Mozarts auf die apollinische Künstlerfigur, die dann in Mörikes berühmter Novelle von 1856, wenn hier auch ins Spielerisch- Selbstironische zurückgenommen und mit Vorbehalten versehen, noch einmal als zentrales Motiv angeschlagen wird.

      Dies literarisch wirkungsmächtige Legendenmotiv geht schon bei den Zeitgenossen Mozarts eine harmonische Verbindung mit dem Topos des göttlichen Wunderkindes ein. Dafür boten sich genügend Anknüpfungspunkte in den Lebenszeugnissen, vor allem in den Briefen des Vaters und anderer Zeitgenossen. Allerdings fällt auf, dass Leopold Mozart die schon frühzeitig bemerkte außerordentliche Begabung seines „Wolferl“ wohl als ein Wunder begreift, es aber doch eher konventionell als ein Geschenk Gottes deutet und sein Erstaunen darüber im Zusammenhang mit seinem katholischen Weltbild „gläubig“ rationalisiert.

      Beispielsweise ist vom sechs- und siebenjährigen Wunderknaben und der Wunderwirkung seines Klavier- oder Orgelspiels in den Briefen von der ersten großen Reise nach Wien 1762/63 des Öfteren die Rede: So berichtet der Vater seinem Freund Lorenz Hagenauer in Salzburg: „Hauptsächlich erstaunet alles ob dem Bueben, und ich habe noch niemand gehört, der nicht sagt, daß es unbegreiflich seye.“36 Sogleich nach ihrer Ankunft in Wien (so schreibt Leopold Mozart) habe er Befehl erhalten, an den Kaiserhof zu kommen. Der Ruf des Wunderknaben sei ihnen vorausgeeilt. Aus Wasserburg, wo Leopold seinem Sohn das Pedal der Orgel erklärt, habe Wolfgang dann „stante pede die Probe abgeleget, (...) stehend preambulirt und das pedal dazu getreten, (...) als wenn er schon viele Monate geübt hätte. alles gerüeth in Erstaunen und ist eine neue Gnad Gottes, die mancher nach vieler Mühe erst erhält.“37

      Aus Paris im Februar 1764 erfährt Frau Hagenauer vom Vater Mozarts:

       „stellen sie sich den Lermen für, den diese Sonaten (gemeint sind vier Klaviersonaten, die der Knabe gerade komponiert hat; d.Vf.) in der Welt machen werden, wann am Titlblat (sic!) stehet, daß es ein Werk eines Kindes von 7 Jahren ist (...).“ Ich „kann Ihnen sagen (...), daß Gott täglich neue Wunder an diesem Kinde wirket“.38

      Und dann folgt eine für den Vater Leopold typische Bemerkung, die seine pädagogische Strategie verrät, die er mit den für ein Kind schließlich höchst anstrengenden, eigentlich unzumutbaren Reisen verfolgt:

       „bis wir: wenn Gott will: nach Hause kommen, ist er (d.h. Wolfgang; d.Vf.) im Stande Hofdienste zu verrichten. Er accompagniert wirk: allerzeit bey öffent: Concerten. Er transponirt so gar à prima vista die Arien beym accompagniren; und aller Orten legt man ihm bald Ital: bald französ: Stücke vor, die er vom blatt=weg (sic!) spielet.“39

      Aus London 1764 berichtet Leopold, Wolfgang habe dem König Stücke von Bach, Abel und Händel vom Blatt „weggespielt“, er habe die Königin bei einer Arie begleitet und über einem Bass die schönste Melodie gespielt, „so, daß alles in das äusserste Erstaunen gerieth.“

      Was Wolfgang jetzt könne, das übersteige alle Einbildungskraft.40 Und eine letzte Briefstelle sei angeführt. Aus München im November 1766 rechtfertigt Leopold wieder einmal seine Erziehungsmethode gegenüber Lorenz Hagenauer:

      „Gott (...) hat meinen Kindern (die Tochter Nannerl also eingeschlossen; d.Vf.) solche Talente gegeben, die, ohne an die Schuldigkeit eines Vatters zu gedenken, mich reitzen würde, alles der guten Erziehung


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