degenerama. Jek Hyde
Wahl. Mit Ihrer Hilfe können wir unser Aussehen selbst bestimmen.“
„Sie haben Ihr Aussehen bereits selbst gestaltet.“
„Was ist los? Sind Sie schwul? Kommen Sie! Ich stehe hier vor einem genialen Künstler und in Kürze werden Sie wahrscheinlich so was sein, wie Albert Hofmann für Hippies war!“
Ein flüchtiges Lächeln zuckte über Davids schmale Lippen. „Gut.“
„Sie sagen ja?“
„Ich sage gut“, antwortete David und ging voran. „Wir gehen nach oben.“
„Das heißt, Sie ficken mich?“, fragte Pia ungläubig. „Das heißt, ich scarifiziere Ihr Gesicht und wenn Ihnen dann noch danach sein sollte, können Sie gern mit sich bezahlen.“ Er öffnete die Tür und ließ Pia vorangehen. „Die Treppe hoch.“
Die Stufen knarzten und David schloss eine Tür auf. Es war ein verhältnismäßig großer Raum, dessen Wände mit billigen Holzpaneelen bestückt waren. In der Mitte stand ein Sofa und eine Küchenzeile mit einem Kühlschrank neben der Tür befand sich an der Wand. Die Fenster waren nach draußen gerichtet.
„Im Schrank da drüben liegt eine Plastikfolie. Nehmen Sie das.“ Er warf ihr eine Küchenrolle zu, die Pia auffing.
Sie schaute fasziniert zu, was David tat. Er hatte eine Zitrone aus dem Kühlschrank genommen und schnitt sie mit einem Skalpell auf, hielt ein dünnes Sieb aus Metall über eine kleine Schale und presste die Zitrone darüber aus.
„Was tun Sie da?“, fragte Pia.
„Ich mache eine Lösung, die die Wundheilung behindert. Wie es aussieht, haben Sie schon gute Vorarbeit geleistet, aber Sie hätten die Wunde am Heilen hindern müssen.“ Er mischte noch etwas Zucker hinzu und eine klare Flüssigkeit aus einer Tube, Vaseline.
Pia stand da, hinter dem Fernseher und neben dem Sofa mit der Folie und der Küchenrolle in der Hand, während sie David fasziniert dabei zusah, wie er sich die Hände wusch, die weißen Ärmel aufknöpfte und hochschob, aus einer Packung Einweghandschuhe zog und der Schublade ein Skalpell entnahm. David nahm ihr die Folie aus der Hand, setzte sich auf das Sofa, zog seine Schuhe aus und breitete die Folie über seinen Bauch und Unterleib aus. „Legen Sie sich hin. Den Kopf in meinen Schoß“, sagte er und schaltete die Lampe ein, deren Licht warum auch immer grün war.
Pia ging vor sonderbarer Vorfreude kribbelnd zu David, der das Schälchen mit der Lösung auf einen schwarzen Beistelltisch neben dem Sofa stellte und ihn zurechtrückte. Sie platzierte ihren Kopf auf seinem Schoß, während David die Einweghandschuhe anzog und ihr Gesicht so zu sich wandte, dass er sie besser sehen konnte. Sie hielt die Küchentuchrolle wie ein Stofftier an sich gepresst.
„Ziehen Sie schon mal ein paar Tücher ab“, sagte er.
Das tat sie.
„Wie heißen Sie?“, fragte David.
„Pia.“ Sie zog noch ein fünftes Blatt von der Küchenrolle.
„Mein Name ist David Steinmann. Womit zerschnitten Sie Ihr Gesicht, Pia?“
„Mit einem Gemüsemesser“, feixte sie.
„Ich werde Ihre Narben hiermit nachziehen.“ Er hielt ihr das Skalpell vor die Nase und drehte es leicht, wobei die Klinge das schimmernde grüne Licht einfing. „Es wird wehtun. Und es wird noch schlimmer wehtun, wenn ich die Lösung in die Wunde reibe. Ich werde Ihnen eine Zahnbürste mitgeben. Damit können Sie unter der Dusche den Schorf abbürsten. Ich frage Sie nun ein letztes Mal: Wollen Sie, dass ich Ihr Gesicht zerschneide?“
„Ja.“
Er fasste sie leicht am Kinn und zog ihren Kopf hoch. Als Erstes schnitt er die Narben an ihren Wangen auf. Im ersten Moment spürte sie nur, dass etwas sehr Dünnes sie nachfuhr, bis sie ihr heißes Blut aus den Wunden quellen spürte und ihre Wangen zu brennen begannen.
„Geben Sie mir ein Tuch“, forderte David und Pia gab es ihm. Er wischte damit das Blut ab, öffnete die Wunde über ihrer Nase und tupfte wieder ab. „Bewegen Sie sich nicht.“ Er fuhr die an ihren Augen nach. So erwachte ihr Gesicht Stück für Stück zu glühendem Leben, während er immer mehr Tücher benutzte, um ihr Gesicht zu reinigen. Eine Narbe nach der anderen zog er nach und tupfte das Blut von den Wunden. „Gehen Sie ins Bad und duschen Sie sich ab.“
„Kommst du mit, David?“, fragte Pia, deren blutendes Gesicht er in den Händen hielt.
David schwieg.
„Es ist wirklich, wie ich sage: Ich bin einfach ein Groupie.“
„Geh, ich komme gleich. Hinten, rechte Tür“, wies er ihr mit dem Skalpell den Weg und Pia zog noch zwei Blätter ab, die sie gegen den Großteil ihres Gesichtes presste. Sie ging zur rechten Tür und öffnete sie. Ein kleines Bad. Fenster, Toilette, Waschbecken rechts und links eine Dusche. Sie warf die Tücher in die Toilette und zog sich hastig aus, wobei sie darauf achtete, so wenig Blut wie möglich auf ihrer Kleidung zu lassen. Sie war bereits unter der Dusche und spülte das Wundwasser aus den Schnitten, das sich transparent mit dem tiefroten Blut mischte. Ihr flauschiger, voluminöser Iro brach unter dem Gewicht des Wassers in sich zusammen und Pia strich ihn zurück, behutsam darauf achtend, dass kein Haar sich in den Wunden verfing.
Kurz darauf zog David die Tür auf und ihr Gesicht stand in lodernden Flammen, bei jedem Kuss und jedes Mal, wenn sie es verzog, während die Tropfen das Blut immer wieder von ihr und von David wuschen, der sie gegen die Fliesen der Wand drückte.
Ob es nun wirklich Liebe auf den ersten Blick war oder sie bloß ein verblendeter Part einer Subkultur, fremdartig wie Gruftis ihrer Zeit, konnte Pia nicht sagen, aber sie genoss die merkwürdige Mischung des Gefühls in ihr und des brennenden Gesichtes, welches das Wasser immer wieder löschte, kurz bevor es wie Napalm wieder von Neuem erwachte.
Der in ihrem Kopf fast schon transzendente Akt endete recht schnell und eh sie sich versah, stand David draußen und trocknete sich, während sie sich einfach an der Wand hatte herabrutschen lassen und ihre Wunden vorübergehend zu brennen aufhörten.
„Kann ich bleiben oder hast du jemanden?“, fragte Pia.
„Du kannst gern bleiben“, erwiderte David, ging zu ihr hinüber, reichte ihr die Hand, die Pia freudig annahm, und zog sie aus der Dusche. „Ich werde noch ein paar Bettbezüge holen müssen“, fügte er lakonisch hinzu.
„Warum?“
„Wenn du hierbleibst, wirst du alles vollbluten.“
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