2022 – Unser Land. Rainer Hampel

2022 – Unser Land - Rainer Hampel


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      Rainer Hampel

      2022 – UNSER LAND

      Kriminalroman

      Engelsdorfer Verlag

       Leipzig

       2015

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Covergestaltung: Tino Hemmann unter Verwendung der Zeichnung

      „Euro Monument“ © Gernot Krautberger (Fotolia)

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

      1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

       www.engelsdorfer-verlag.de

      INHALTSVERZEICHNIS

       Cover

       Titel

       Impressum

       1. KAPITEL

       2. KAPITEL

       3. KAPITEL

       4. KAPITEL

       5. KAPITEL

       6. KAPITEL

       7. KAPITEL

       8. KAPITEL

       9. KAPITEL

       10. KAPITEL

       11. KAPITEL

       12. KAPITEL

       13. KAPITEL

       14. KAPITEL

       15. KAPITEL

       16. KAPITEL

       17. KAPITEL

       18. KAPITEL

       EPILOG

      Die Jungs bogen von der Südstraße in die RMA ab. Es war Sonnabendvormittag und sie kamen von einer Party, auf der sie früh um sieben das letzte Bier getrunken hatten. Als RMA bezeichneten die Bewohner der Südvorstadt die Richard-Mayer-Allee – die Abkürzung hatte sich in den 2010-er Jahren eingebürgert. Das Trio war nicht vollständig betrunken, aber für ihr Alter waren sie ziemlich großkotzig unterwegs. Paul war mit knapp 15 der Älteste und machte den Anführer; Max und Dominik stellten mäßige Mitläufer dar. Eine echte Freundschaft verband die drei nicht, aber ihre Zeit brachten sie meist gemeinsam mit kleinkriminellen Unternehmungen durch.

      Paul war Jahrgang 2004 und ging seit zwei Jahren nicht mehr zur Schule. Seine Eltern bemühten sich halbwegs um ihn, aber seit Beginn der Pubertät entglitt ihnen die Kontrolle über den bereits vorbestraften Sohn zusehends. Das war bei den beiden Mitläufern ähnlich, außer dass sie noch nicht mit dem Gesetz Bekanntschaft gemacht hatten. Sie bewunderten Paul für seinen bereits verbüßten Gefängnisaufenthalt von einem halben Jahr, mit dem seine zunehmende Gewalttätigkeit gegenüber seinen ehemaligen Mitschülern bestraft wurde.

      „Junger Mann“, hatte der Jugendrichter zu ihm in der Urteilsverkündung gesagt, „solche niederen Elemente wie du zerstören seit Jahren unseren sozialen Frieden. Ihr habt vor nichts und niemandem Respekt und wütet mit Brutalität durch unsere Gesellschaft. Ich sehne mir die Prügel- und die Todesstrafe wieder herbei, um Typen wie dich in den Griff zu bekommen. Das halbe Jahr Knast macht dir wenig aus – ich weiß es und glaube, dass wir uns künftig regelmäßig sehen. Der Bürgerwehr werde ich nach deiner Entlassung einen direkten Auftrag für dich geben. Ich verurteile dich wegen mehrfacher grober Körperverletzungen, Beleidigungen, Geldbetrug und Verletzung der Schulpflicht zu einem halben Jahr Jugendgefängnis. Bessere dich!“

      Der Richter wusste, wie sinnlos sein Vorgehen war. Die Delikte, die Paul vorgeworfen wurden, stellten eine Normalität unter Zehn- bis 25-Jährigen dar. Pro Woche standen ihm in dieser Weise bis zu hundert Jugendliche gegenüber, über die er mit der ihm möglichen Härte zu urteilen hatte. Pauls Erwiderung auf die Verurteilung war kurz und knapp: „Du kannst mich mal.“

      An diesem Sonnabend war er seit einer Woche wieder draußen und hielt seitdem Kurs auf die vom Jugendrichter angekündigte Deliktkarriere. Seit den landesweiten brutalen Teenagerunruhen von 2017 war das die Normalität. 265 Jugendliche und 40 Polizeibeamte waren dabei ums Leben gekommen. Damals war Paul elf Jahre alt gewesen und hatte tatsächlich seine ersten Pflastersteine am Bannewitzer Kreuz auf Polizisten geworfen.

      Die Jungen waren inzwischen an der Ecke Zahlstraße angekommen. Die junge Frau aus der Nummer 9b trat gerade aus der Haustür und registrierte die Gruppe eine Sekunde zu spät. Hätte sie die Jungen einen Moment früher bemerkt, wäre sie zurück in den Flur gegangen und hätte gewartet, bis sie außer Sichtweite sind. Seit Jahren konnten Rotzjungen wie Paul und seine Kumpane wild marodierend durch die Straßen ziehen. Über Sachbeschädigungen, Beleidigungen, tätliche Angriffe mit Raub oder Erpressung – oder beidem – regte sich in dieser Republik niemand mehr auf. Zu massiv waren die Gesetzesübertretungen nahezu jeder Bevölkerungs- und Altersschicht. Alte, Frauen und auch männliche „Opfertypen“ waren ihrer Habe und ihrer Gesundheit nicht mehr sicher, wenn sie alleine unterwegs waren. Zu groß war die Chance, Jungen wie Paul oder Jugendbanden in die Hände zu fallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt zu werden. Das war die rohe soziale Realität in der siebzig Jahre zuvor gegründeten Republik. Die junge Frau erfasste ihren nicht rückgängig zu machenden Fehler und richtete sich auf äußerste Schwierigkeiten – vielleicht einen Wendepunkt in ihrem Leben – ein.

      Die Frau hieß mit Spitznamen Jacky, war 21 Jahre alt und auf dem Weg zu ihrem Zweitjob in einer Pflegestation. Sie tat so, als würde es ihr nichts ausmachen, ein Stück ihres Weges vor den Jungen zu laufen. Schnellen Schrittes schlug sie ihren Weg Richtung Westen ein.


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