2022 – Unser Land. Rainer Hampel

2022 – Unser Land - Rainer Hampel


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Frau – Rita – zeigte sich nun doch etwas interessierter: „Und wieso haben sie ausgerechnet dich dahin eingeladen?“

      „Schuster traut mir auf dem Gebiet Staatsfinanzen einiges zu. Zumindest gibt es weit und breit keinen, der es besser kann. Ich habe mich mehrfach mit schriftlichen Vorschlägen über ihn an die Regierung gewandt, bisher aber nicht mit Erfolg. Meine jetzige Idee habe ich aber für mich behalten.“

      „Um was würde es denn dabei gehen? Flixel, ich hab’ von solchen Dingen nicht so viel Ahnung. Erkläre es mir bitte.“

      „Aber das kann ich in diesem Fall nicht. Es geht mir um viel. Wenn nicht sogar um alles. Wenn ich das verpatze, bekomme ich nie wieder so eine Chance. Lass mich erst mal etwas reinkommen und dann kann ich dir auch etwas mehr davon erzählen. Okay?“

      „In Ordnung. Ich drücke dir die Daumen, dass du es gut hinbekommst. Wo findet das denn immer statt?“

      „Das muss ich morgen erst mal sehen. Ich fahre gleich früh ins Büro und verabrede mich per Videokonferenz mit den anderen Teilnehmern. Ich denke, dass das in einer der Landeszentralen sein wird. Vielleicht muss ich ja nicht so weit fahren. Mal sehen, was sich da so entwickelt.“

      Felix Dännicke hatte wirklich sehr konkrete Vorstellungen, die er in den Arbeitskreis einbringen wollte. Er wusste aus inoffizieller Quelle, dass es der Regierung um die Eindämmung des Bereiches Schwarzgeld ging. Die letzten Hochrechnungen, die er zu Gesicht bekommen hatte, endeten damit, dass seinem Staat pro Jahr zwischen 700 und 900 Milliarden DEuro Steuergelder verloren gingen, weil sämtliche Bevölkerungsschichten seit Jahren ihren eigenen Geldumlauf derart ausgebaut hatten, dass diese Unsummen von staatlichen Verlusten zusammenkamen. Kein europäisches Land hatte mehr unter dem Schwarzhandel zu leiden, der inzwischen sämtliche geschäftlichen Bereiche, unter anderem auch Juristerei, Bankwesen und Gesundheitssystem, am Leben erhielt. Felix Dännicke jedoch wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, wie er dieses Problem vollständig beseitigen konnte. Er ahnte, dass ihm wahrhaft Großes bevorstand.

      Und er wollte diesen Arbeitskreis nutzen, um sich für einen weiteren, aus seiner Sicht erheblich wichtigeren Arbeitskreis in Stellung zu bringen, zu empfehlen. Dieses war sein eigentliches Ziel. Die Finanzkonsolidierung hatte er bereits lange fertig geplant. Er betrachtete die Umsetzung seines Vorhabens dazu nur noch als technisches Problem und eine Frage der Zeit. Hatte er dies erst einmal in die Realität umgesetzt, würde er sein noch länger und tiefer verinnerlichtes Projekt angehen: Die Schaffung einer perfekten und vollendeten Gesellschaftsstruktur für sein Land!

      Rita wollte davon immer noch nicht allzu viel wissen. Ihr reichte es aus, wenn ihr Mann regelmäßig und genügend Geld verdiente.

      Robert Heinel fuhr an diesem Morgen mit dem Fahrrad von seiner Wohnung in der Randstraße zum Betriebshof der Städtischen Entsorgung. Die SE der ehemaligen sächsischen Messestadt war sein Arbeitgeber und er hatte es nach ein paar Jahren Betriebszugehörigkeit bis zum Teamleiter geschafft. Diesen Job erledigte er gerne und seine Chefs waren mit ihm zufrieden. Er strampelte die RMA hinauf und bog ein paar Minuten später in den Betriebshof ab. Dort begegnete ihm sein Mitarbeiter Andreas Schubert, den er sogleich fragte: „Morgen, Andreas, was ist denn gestern herausgekommen für deinen Sohn?“

      „Morgen. Paul muss bis 2021 in den Knast. Wir haben für sein junges Alter fünf Jahre weniger bekommen. Ach Robert, ich habe mich immer so gut, wie’s geht, gekümmert. Und nun das. Der Staatsanwalt hat auf versuchten Mord plädiert und der Richter wollte ihn, weil er ihn schon kannte, sogar für fünfzehn Jahre verdonnern.“

      Andreas Schubert war der Vater von Paul, der nach seinem brutalen Messerangriff auf die junge Frau vor das Jugendgericht gebracht worden war. Der Prozess wurde an einem halben Verhandlungstag durchgezogen. Mehr Zeit stand den Justizbehörden selbst für Kapitalverbrechen nicht zur Verfügung.

      Überhaupt war die staatliche Justiz zu einer ziemlich effizienten und deshalb auch brutalen Institution geworden. Zivilrechtsstreitigkeiten normaler Bürger wurden überhaupt erst dann vor Gericht zugelassen, wenn sie die den Gerichten vorgeschaltete Hürde der Schiedsstellen genommen hatten. Sinn und Zweck der Einführung der Schiedsstellen war es, die Gerichte erheblich zu entlasten und ebenso personell zu verkleinern. Die Schiedsstellen sollten die Funktion der Gerichte übernehmen. Das brachte für den Staatshaushalt den großen Vorteil einer extremen finanziellen Entlastung. Für den Bürger und die Rechtsstaatlichkeit ergaben sich jedoch nur Nachteile. Streitigkeiten mussten der Schiedsstelle vorgetragen werden – ohne Mitwirkung von Rechtsanwälten. Die Schiedsstelle fällte nach der Anhörung der Betroffenen sofort ihr rechtskräftiges und verbindliches Urteil. Berufungen waren in diesen Verfahren nicht vorgesehen. Die Prozessflut des „kleinen Mannes“ wurde unter Inkaufnahme der rechtlichen Nachteile und einer damit verbundenen Rückentwicklung des Justizwesens allerdings sehr wirkungsvoll eingedämmt. Die Streitigkeiten konnten nicht mehr wie noch bis Mitte der 2010-er Jahre vor Gericht gebracht werden, weil es den Streitenden einfach ums Prinzip ging und ohne vorher abzuwägen, ob der Aufwand den Nutzen überhaupt rechtfertigt. Es gab nur noch für wirklich unlösbare Fälle einen Rechtsweg, und die wurden dann durch die Schiedsstellen erledigt – oder von dort als so erheblich eingeschätzt, dass sie an ein ordentliches Gericht verwiesen wurden. Und selbst dann waren die Gerichte angehalten, „kurzen Prozess“ zu machen. Etwa ein Drittel der Streitigkeiten verhandelten außerdem Geheimgerichte, die keiner öffentlichen Rechenschaft unterlagen.

      Insgesamt gelang es durch diese Maßnahmen, den Justizhaushalt um sage und schreibe mehr als die Hälfte und die anhängigen Verfahren sogar um bis zu 90 Prozent zu verringern. Das konnte man getrost als „Abspecken“ bezeichnen.

      „Das ist schlimm für dich“, erwiderte Robert Heinel, „aber gerecht in der Sache. Nimm es mir nicht übel, wenn ich das so deutlich sage. Hat dir der LBD geholfen?“

      „Ja, der hat was gebracht. Der Richter hat dem Plädoyer deines Freundes zugehört und es in das Strafmaß eingearbeitet. Danke dafür. Du hast uns damit einen großen Gefallen getan.“

      Er streckte Robert die Hand entgegen und bedankte sich mit einem kräftigen Händedruck. Dass ein Vorgesetzter einem Unterstellten derart in persönlichen Dingen half, war im Jahr 2019 eher eine Seltenheit. Allgemein herrschte das Gesetzt der Härte und die meisten folgten dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste.

      „Hab ich gerne gemacht. Ich kenne Paul und glaube, dass er irgendwann die Kurve kriegt. Aber Andreas, das muss er jetzt absitzen und daraus lernen. Danach kann er neu durchstarten. Er wird dann gerade 18 Jahre alt. Da fängt das Leben doch erst richtig an.“

      Robert Heinel war davon einerseits überzeugt, andererseits begrüßte er das harte Vorgehen gegen jugendliche Gewalttäter, zu denen Paul eindeutig gehörte. Die Gesellschaft war schlecht genug – auch ohne Paul, der nun drei Jahre über seine Tat nachdenken sollte. ‚Hoffentlich tut er’s auch‘, dachte Robert.

      Die offene und schonungslose Art gegenüber Andreas bei gleichzeitiger Hilfestellung für ihn machte Robert zu einem für die Gesellschaft nützlichen Menschen. Seit seiner Kindheit verfolgte er höhere soziale Ideale, als er allgemein in seiner Umgebung wahrnehmen konnte, und setzte sich mit voller Überzeugung dafür ein. Über die Jahre manifestierte sich in ihm eine Art Klassenkampfgedanke. Aus seiner Sicht vorerst tatenlos nahm er zur Kenntnis, dass die Klasse der Wohl- und Rechthabenden in diesem Staat mehr und mehr die unteren Schichten für sich ausnutzte und schon beinahe in ihrer nackten Existenz bedrohte.

      In dem Prozess gegen Andreas’ Sohn Paul hatte er versucht, einen „alten Freund“, der ein mittleres politisches Amt bekleidete, als Unterstützer und Fürsprecher für Paul zu gewinnen. Was ihm auch so gut als möglich gelungen war.

      „Wie geht es denn nun weiter mit mir?“, wollte Andreas von ihm wissen. „Lasst ihr mir die Arbeit oder nicht?“

      „Heute Nachmittag gibt es eine kurze Aussprache dazu mit meinem Boss. Ich hab es dir versprochen, also lege ich auch alle guten Worte für dich ein. Beweis mir künftig aber, dass es das wert war. Okay?“

      „Geht klar Robert. Bitte denke daran, dass ich meine


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