Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann

Wer bleibt Millionär? - Tino Hemmann


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zu seinem Arbeitsplatz, während er weitersprach: »Setzen Sie sich, please.« Er drückte Gellert regelrecht auf einen der beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. Nachdem sich Smith geheimniskrämerisch umgeschaut hatte, nahm er unmittelbar neben dem Innenminister Platz. Seine Finger fuhren geschickt über die Tastatur eines postmodernen Laptops. »Okay. Wie sagt ihr Deutschen so nice? Spaß bei die Seite. Die CIA hat ein eigenes Täterprofil erstellt. Das Ergebnis lautet: ›A very wealthy offender from the media industry‹.«

      »Ein vermögender Täter aus der Medienbranche?«

      »Good translation, Mister Secretary.« Smith zeigte seine obere Zahnreihe und Gellert beschlich das Gefühl, er wäre bei einem Zahnpasta-Werbespotdreh gelandet und nicht im modernsten Spionagezentrum Deutschlands.

      »Wie kommen die auf so was? Gewissermaßen quasi …« Smith unterbrach sofort: »Okay, please. Zwischen den USA und Deutschland gibt es einen big globalen Unterschied. Begreifen Sie das und Sie werden uns verstehen. Okay, please. Die Deutschen debattieren unablässig über den Weg zum Ziel. Aber nicht der Weg ist entscheidend, Mister Secretary, sondern ausschließlich das Ergebnis. Wenn die CIA ein Vorschulkind rekrutiert, dann erfährt es zuallererst von T.A.R.O.A. – target and result oriented actions. Die CIA stopft unzählige Informationen, die Leute wie ich beschafft haben, in ein unglaublich kompliziertes System aus Individuen und computing power. Billions – in Deutsch Milliarden – Vorgänge werden in no time abgefragt und verglichen. Okay, please. Und at the very end sagt eine nice computergenerierte Stimme: ›A very wealthy offender from the media industry‹. Kein Amerikaner würde jemals hinterfragen, warum sie das sagt, oder das Resultat in Frage stellen. Stattdessen wird man jeden freien Mann mobilisieren, um einen wohlhabenden Typ aus der Medienbranche zu finden, der Ihre fucking Millionäre entführt haben könnte. Ein ›Why?‹ hält uns lediglich davon ab, das Ziel zu erreichen. Merken Sie sich: T.A.R.O.A. Wenn erst die NATO Russland von der Ukraine her eingekesselt hat, werden Sie dann tatsächlich fragen: How could that happen? Uh, wie es dazu kam? Oder freuen Sie sich einfach darüber? – Okay, please. Betrachten Sie meine Ausführungen als training free of charge.«

      »Blöd nur, wenn das Ziel verfehlt wird. Blöd nur, wenn aus dem kleinen Problem Irak das große Problem IS wird, blöd nur, wenn man die Taliban bewaffnet und sie dann zum Feind …«

      »Okay, please. Nicht immer in der open Wunde herumstechen. Reden wir today etwa noch über Vietnam, Hiroshima oder Kuba? Das Diskutieren über small disasters und old Bagatellen bringt Ihre Millionäre nicht zurück. But maybe …« Seine Finger wirbelten über das Multi-Touch-Keyboard. »… okay, please. Look closely! Die Rückverfolgung der Signale, ein Abgleich mit sichergestellten Verbindungen, all das führt zu einem NAP – Sie wissen, Network Access Point …«

      »Internetknotenpunkt?«

      »…with the name KINX. Korean Internet Neutral eXchange. Dieser Network Access Point befindet sich in Seoul.«

      Gellert schüttelte den Kopf. »Was denn, in Südkorea?«

      »Okay, you got it! Doch leider verlieren sich dort die Spuren. Unsere Experten in Seoul können nicht helfen. Das heißt für Sie, Mister Secretary, ich erspare Ihrem Land mit dieser Auskunft Zeit und Geld, denn Sie müssen an dieser Stelle nichts aufklären.« Erneut zeigte er die Zähne, ein Gebiss, das selbst für ein Pferd zu groß gewesen wäre. »Okay, please. Ich will Sie nicht halten auf. Sie haben wahrscheinlich genügend work.« Matt Smith sprang von seinem Stuhl auf und überragte Gellert plötzlich enorm. Eine gewaltige Pranke tauchte im Luftraum unmittelbar vor der Nase des Innenministers auf.

      Gellert erhob sich ebenfalls, den Blick auf Smiths ausgestreckte Hand gerichtet.

      »Wir sollten uns ergänzen, Mister Secretary, a practical alliance. Okay?« Smith wartete darauf, dass Gellert endlich einschlagen würde.

      Einen Moment lang zögerte der Innenminister. Dann drückte er die amerikanische Hand, welche die seinige dabei fast zerquetschte.

      Nur Sekunden später, als sich Gellert, die rechte Hand reibend, auf dem Weg zu dem ihm zustehenden Arbeitsplatz befand und durchatmen wollte, stand Olaf Fahlzner, der BND-Chef, grinsend hinter ihm und flüsterte: »Na, auch einen Pakt mit dem Teufel geschlossen wie unsere First Lady?«

      Gellert drehte sich behäbig um. »Keine Angst. Ich verkaufe meine Seele nicht. Im Gegensatz zu manch anderem.«

      Er winkte den rastlos durch das Lagezentrum rennenden Schönling Hasso Kohl zu sich. Als dieser keuchend vor ihm stand, raunte Gellert, damit Fahlzner es möglichst nicht hören konnte: »Ich habe eine primäre Aufgabe für Sie, Kohl. Lassen Sie mal prüfen, ob es in den letzten Jahren einen bedeutenden Medienstar aus dem Show-Business gab, der eventuell einen Grund haben könnte, sich an Deutschland zu rächen.«

      Kohl kratzte sich am Kopf. »Woher …?«

      »Wo leben Sie denn, Kohl? T.A.R.O.A. Nie davon gehört? – Target and result oriented actions. Nun ja, sie werden noch viel in ihrem Leben lernen müssen.« Zwanghaft wanderte Gellerts Blick zum Schreibtisch von Matt Smith. »Es kotzt mich an, dass uns die Amis immer einen kleinen Schritt voraus sind. Gewissermaßen kotzt es mich maßlos an. – Sonst noch was?«

      Der hübsche Kohl wackelte ein wenig mit dem Kopf. »Die Domain wurde von einem Inder gekauft.«

      »Und?«

      »Nichts und. Schon vor elf Jahren passierte das. Und vor einigen Jahren ist eben dieser Inder angeblich bei einer Massenpanik in einem Tempel im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh mit weiteren sechzig Menschen zu Tode getrampelt worden.«

      »So etwas kann passieren, wenn man nicht aufpasst.« Gellerts Blicke richteten sich auf den Hauptmonitor. »Merkwürdig finde ich allerdings, dass ein Inder eine deutschsprachige Homepage-Adresse kauft. Kohl, lassen Sie die eben besprochene Mediensache auch im Zeitraum vor elf, zwölf Jahren prüfen. Vielleicht wissen wir in einer Stunde und vierundzwanzig Minuten mehr.«

      *

      Nach einigen Werbespots begannen die Nachrichten. Ein durchaus bekannter Berliner Radiosender hatte zum entscheidenden Problem der Deutschen an diesem Morgen nicht wirklich etwas Neues zu vermelden.

      »Innenminister Volker Gellert sagte kurzfristig die für zehn Uhr anberaumte Pressekonferenz ab«, informierte der Moderator. »Ein Polizeisprecher teilte lediglich mit, der momentane Stand der Ermittlungen lasse keine andere Entscheidung zu. Die Bundeskanzlerin erklärte die Aufklärung der Entführung von sechs vermögenden Deutschen zur Chefsache und sagte eine für heute geplante Reise nach Belgien ab. Sicher ist im Moment nur: Die einzige Spur zu den Verschwundenen führt über die Website wer-bleibt-millionaer.com. Doch in welchem Land diese gehostet wird, ist offenbar unklar. – Kirkuk: Beim Bombardement von IS-Stellungen in der Nähe der irakischen Stadt Kirkuk sollen alliierte Streitkräfte versehentlich einen Flüchtlingskonvoi getroffen haben. Nach bislang unbestätigten Meldungen durch den arabischen Service von Reuters haben mindesten vier Geschosse mehrere Hundert Menschen getötet oder verletzt, die Stunden zuvor vor IS-Truppen aus der umkämpften Stadt geflüchtet waren. Unter den Opfern befänden sich viele Frauen und Kinder, aber auch einige von Deutschland ausgebildete Kurden. – Potsdam: Auf der westlichen A10 in der Nähe von Töplitz kam es in den Morgenstunden zu einem schweren Verkehrsunfall, in den zwei Lkws und vier Pkws verwickelt waren. Beim Unfall kamen vier Menschen ums Leben, darunter zwei Kleinkinder. Die Unfallursache ist noch nicht geklärt, die Polizei vermutet, dass der Sekundenschlaf eines slowenischen Lkw-Fahrers den Unfall ausgelöst haben könnte. Der Fahrer des fraglichen Lkws blieb unverletzt. – Leipzig: Im Stadtteil Stötteritz kam es in der Nacht zu einem Brand in einer vorwiegend von syrischen Familien bewohnten Notunterkunft. Siebzehn Menschen wurden dabei verletzt, darunter mehrere Kinder. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat ist nicht auszuschließen. Der Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf. – Zum Wetter: im Süden und Südwesten Deutschlands heftige Niederschläge, sonst meist trocken, Tageshöchsttemperaturen um siebzehn Grad, auffrischende Böen aus Nordost …«

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