Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann

Wer bleibt Millionär? - Tino Hemmann


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vor der Einstellung ganz genau überprüft werden!«

      »Tut mir leid. Ich bin nicht die Personalabteilung«, rechtfertigte sich Sporing. »Die habe ich auch schon angerufen. Die feinen Leute dort sind der Meinung, alle Bauarbeiter wären absolut legal im Land.«

      »Nun«, ein erzwungenes Lächeln erschien auf Schneidmanns Gesicht, »dann ist ja alles in bester Ordnung.«

      Der Sohn zeigte auf einen riesigen Kran, der eigentlich ununterbrochen Baustoffe in die dritte Etage des Rohbaus eines Hauses für Sozialwohnungen heben sollte, doch bereits seit Stunden stillstand. »Papa, ist das dein Kran?«

      »Ja, Villads. Das ist meiner.«

      Schneidmann war gerade vierundvierzig Jahre alt geworden, als er erfahren hatte, dass es nach den drei halbwegs erwachsenen Kindern aus erster Ehe einen vierten Spross von seiner laufstegerfahrenen, neuen Gattin geben würde. Diese Ehe, die fast planlos dem eiskalten Winter einer unglaublich starken Midlife-Crisis gefolgt war. Jetzt, mit zweiundfünfzig Jahren, klebte sein jüngster Sohn an seiner Hand, weil sich dieser Tag zu einem typischen Magengeschwürtag entwickelt hatte. Was nutzten ihm einhundertzweiundzwanzig Millionen Euro Kapital, wenn die Frau wegen einer akuten Blinddarmreizung in der Nacht operiert werden musste, wenn der Junge einen schulfreien Tag hatte, weil die Lehrer auf Anordnung der Gewerkschaftsleitung streikten, und wenn ausgerechnet an diesem Tag scheinbar die gesamte Berliner Polizei nichts anderes zu tun hatte, als seiner wichtigsten Baustelle kurz nach Schichtbeginn das Personal zu rauben! Erfahrungsgemäß kehrten am folgenden Tag neunundneunzig Prozent der Polen und Südeuropäer zur Arbeit zurück. Dieser Tag aber war verloren. Und im Moment erhöhte der Senat den Zeit-und Preisdruck täglich! Die Flughafenhysterie griff um sich.

      »Och, Papa, ist der riesig! Bestimmt ist der größer als der Fernsehturm. Darf ich da mal hoch?«

      »Wissen Sie was, Sporing?« Schneidmann antwortete dem Kleinen nicht. Dafür dem Großen. »Absolut nichts ist in Ordnung! Nutzen Sie diesen beschissenen Tag, um mit dem verbliebenen Personal Ordnung auf der Baustelle herzustellen!«

      »Beschissen!« Der Kleine zog aufgeregt an der Hand des Vaters. »Papa, du hast beschissen gesagt!«

      Der Angesprochene schaute in das grienende Gesicht des Jungen, als würde er einen hässlichen Fußabdruck auf frisch poliertem Boden betrachten. »Ich habe beschissen gesagt, weil ich nämlich beschissen gemeint habe, Villads. Davon hast du keine Ahnung.«

      »Na, so ein Mist.« Bauleiter Sporing griente ebenso wie der Junge. »Das war ja nur eine kleine pädagogische Entgleisung. Sie wird kaum Folgen haben.«

      »Ihr Mist heißt Baustelle!«, fluchte Schneidmann grimmig und zog den Jungen mit sich. »Also kümmern Sie sich gefälligst um Ihren Mist und nicht darum, wie ich mit meinem Jungen rede.«

      Villads schwieg lieber. Er benötigte zwei Schritte, um die Strecke von einem des Vaters zurückzulegen. Erst am Auto, einem schwarzen Volkswagen, wagte der Achtjährige den Mund wieder zu öffnen: »Und jetzt?«

      Schneidmann fuhr dem Sohn über den Kopf. »Weißt du was? Nach beschissen kommt scheißegal. Wir beide pfeifen auf den ganzen Mist. Was ist, wollen wir zusammen ins Kino gehen? Ich mach mein Handy aus und die verfluchten Behörden können mir den Buckel runterrutschen.«

      Die Augen des Kindes strahlten. »Oh, ja, Papa! Ins Kino!«

      So etwas gelang Franz Schneidmann tatsächlich: eine Flucht ins Niemandsland. Und das war keinesfalls seine erste Flucht. Die Mutter seiner anderen drei Kinder hatte diese Eigenheit nie verstehen wollen.

      »Du kannst doch aber nicht einfach abtauchen«, hätte sie jetzt gesagt. »Du hast schließlich Verantwortung.«

      Und er hätte geantwortet: »Und ob ich das kann. Irgendwo bin ich auch ein Mensch und nicht nur Sklave der glorreich sozialen, anpissenden und ausnutzenden Marktwirtschaft. Glorreich sozial ist die Marktwirtschaft für die meisten Beamten, die Unternehmer werden angepisst und die Arbeiter ausgenutzt.« So referierte ein Multimillionär im Familien- und Freundeskreis über die Wirtschaft.

      »Schnall dich an, Spatz.« Schneidmann hatte dem Sohn in den Wagen geholfen und warf nun die hintere Tür zu. Auf dem kurzen Weg zur Fahrertür vernahm er eine garstig klingende Stimme.

      »Ähm, Herr Schneidmann?«

      Mit ungutem Gefühl und kaltem Blick schaute der Bauunternehmer auf. Eine fremde Person in grauem Anzug, mit Krawatte und weißem Hemd? Wollte man ihm nun auch noch den Kinobesuch mit dem Kleinen verderben? Schon stand der Mann unmittelbar vor ihm.

      »Guten Tag, Herr Schneidmann.« Er zeigte flüchtig einen Ausweis vor. »Selig, Bauaufsichtsbehörde. Wir müssen Sie kurz sprechen. Können Sie bitte mitkommen, unser Fahrzeug steht dort.« Er wies auf einen schwarzen Mercedes Vito, der auf der anderen Straßenseite parkte.

      Eine ihm bestens bekannte Empfindung, hervorgerufen durch die Einsicht, dass er mit solchen Leuten unbedingt kooperieren musste, breitete sich von Brechreiz begleitet in Schneidmanns Magen aus. Kurzzeitig öffnete er die hintere Tür. »Mach keinen Blödsinn, Spatz, ich bin gleich zurück.« Dann folgte er arglos diesem Selig von der Bauaufsichtsbehörde, während der Kleine seinem Vater enttäuscht nachblickte, bis dieser hinter dem großen schwarzen Auto verschwunden war.

      »Es geht um die Gerüste.« Selig stand an der geöffneten Schiebetür und breitete auf dem Wagenboden einen Plan aus. Dann bat er den Bauunternehmer heranzutreten.

      »Das ist ein Stadtplan von Berlin. Was soll das?«, fragte dieser.

      »Nichts«, bekam er zur Antwort. Der vermeintliche Behördenmitarbeiter ergriff Schneidmanns Handgelenke und bog die Arme auf dessen Rücken, während eine dunkle Gestalt aus dem Fahrzeuginneren dem Unternehmer die Kanüle einer Spritze in die linke Schulter rammte. Schneidmann wurde in das Fahrzeug gestoßen, Selig stieg rasch auf der Beifahrerseite ein, die Seitentür fiel ins Schloss.

      Erstaunt beobachtete Villads, dass jenes große schwarze Fahrzeug ganz plötzlich davonfuhr. Von seinem Vater fehlte jede Spur. Lange saß der Junge wartend auf dem Rücksitz und beobachtete die Dreckwolke, die sich allmählich senkte. Er schluchzte, ohne tatsächlich zu weinen. Irgendwann näherte sich Bauleiter Sporing, den Villads an den Stiefeln erkannte. Der Achtjährige öffnete hastig den Sicherheitsgurt und anschließend die schwere Fahrzeugtür.

      »Haben Sie vielleicht meinen Papa gesehen?« Nun aber standen Tränen in seinen Augen.

      *

      »Es sind viel zu wenig Medien da!« Theodor Fack blickte nervös um sich. »Warum nur sind keine Medien da?« Sein schwäbischer Dialekt verriet unanzweifelbar seine Herkunft. »Da tut man nun was dafür, das Leben in dieser Migranten-Einöde zu verbessern und die Medien scheren sich einen Dreck darum!« Er blickte hilfesuchend zu seiner blutjungen Marketingchefin.

      »Vielleicht kommen sie ja noch«, antwortete seine auf zweiundzwanzig Zentimeter hohen Absätzen stehende und einen schrillen Minirock tragende Angestellte.

      In Facks Ohren klang diese Antwort jedoch wie: »Heute kommt bestimmt keiner mehr.« Wie schauderhaft! Theodor Fack, Sohn von Franz-Ferdinand Fack, einem der weltweit größten Einzelhändler, wollte sich auf Titelblättern wiederfinden. Stattdessen wurde er von unzähligen türkischen, ein Kopftuch tragenden Frauen angestarrt, die darauf warteten, dass er endlich den Billigladen in einem heruntergekommenen Stadtteil mit Plattenbauten jenseits des Neckars eröffnen würde. Immerhin lockten die abermals preisgesenkten Eröffnungsangebote.

      Fack war achtunddreißig Jahre alt, wirkte jedoch älter, und ein Lebemann. Er zeigte sich gern mit mehreren Models an der Seite in der Öffentlichkeit. Als ungeschickter Golfspieler betrieb er diesen Sport nur, um sich auf exquisiten Golfplätzen zeigen zu können. Zu seinem Konzern zählte die Ladenkette b&s – eine Abkürzung für billig und super –, die ihm wider Erwarten täglich ausreichend Geld in die offenen Taschen spülte. Das Vermögen von Theodor Fack wurde jüngst auf sage und schreibe 3,6 Milliarden Euro geschätzt. Es war sprunghaft angestiegen, weil Franz-Ferdinand seinen einzigen Sohn als Alleinerben eingesetzt hatte, bevor er kürzlich in einem Flugzeug zum wiederholten Male einen Herzinfarkt


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