Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann

Wer bleibt Millionär? - Tino Hemmann


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fast wöchentlich überwiegend familiären Besuch in ihrer Villa, die – obwohl modern saniert – einen barocken Eindruck erweckte. Nahezu immer war eine der Familien ihrer vier Kinder zugegen. Die Nachkommen hatten ihr insgesamt elf Enkel geschenkt, von denen einige bereits ans Erwachsenenalter anklopften. Die Blauschner genoss die Gegenwart junger Menschen. Und einer der Gründe, warum sie dies tat, bestand darin, dass ihr verblichener Gatte vor vielen Jahren mit ihr gemeinsam einen Altenpflegering gegründet hatte. Als Dr. Blauschner noch berufstätig war, kam sie unablässig mit dem Elend des Altwerdens, das bekanntlich nur einen kleinen Schritt vom Tod entfernt ist, in Berührung. Nun erst, da sie sich als grauhaarige alte Dame im Spiegel sah, begriff die studierte Allgemeinmedizinerin, dass auch ihr das unvermeidliche Schicksal drohte, dem unzählige ihrer Berufsgenossen bereits anheimgefallen waren. Deren Nachkommen hatten schlussendlich für die Wertsteigerung des deutschlandweiten Altenpflegerings gesorgt, sodass selbst der übereilte Verkauf des Geschäftes dafür Sorge trug, dass sich das Vermögen der Ärztin zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit fast einundneunzig Millionen Euro beziffern ließ. Sie widmete sich der Kunst, schrieb mehrere literarisch wenig anspruchsvolle Bücher und versuchte, in der Königsstadt und Elbmetropole anerkannt zu werden. Klappte das nicht wie geplant, dann erkaufte sie sich die gewünschte Beachtung.

      Dr. Carola Blauschner prüfte zum wiederholten Male den Sitz des Kleides, das als Einzelstück von einem teuren Schneider in ihrer Geburtsstadt Bremen gefertigt worden war, dann betrat sie die Galerie in der Dresdener Neustadt, saugte die Atmosphäre der Ausstellung in sich auf und begann zu lächeln.

      Der uralte Kunstprofessor Morgenstern kam mit weit geöffneten Armen auf die Gönnerin zu. Ein Charmeur, der seinesgleichen suchte! »Nu, meine Liebste, Sie sehen so jung und frech aus. Ich bin entzückt.«

      »Das sollten Sie auch sein, diese Galerie hat mich ein kleines Vermögen gekostet.« Die Blauschner nahm das Sektglas entgegen, welches der Professor von einem Tablett entwendet hatte, und nippte daran. »Und, wie läuft es?«

      »Nu, wunderbar.« Eine andere Antwort war nicht zu erwarten gewesen. »Wenn man bedenkt, dass die meisten erst am Abend hereinschneien werden.« Morgenstern stellte sich auf Zehenspitzen, sodass sich seine Lippen dem linken Ohr der Sponsorin nähern konnten. »Da ist ein Herr, der seit einer halben Stunde eines Ihrer Bilder betrachtet. Vielleicht sollten Sie …«

      »Denken Sie an meine Beachtung oder an Ihr Honorar, Herr Professor?« Verschmitzt lächelte die Blauschner.

      »Nu – ganz ehrlich gesagt – natürlich an beides, meine Liebste.«

      »Sie sind mir vielleicht einer …« Sie lief leichtfüßig, als würde sie schweben, durch die kleinen Räume der Galerie und näherte sich den eigenen fünf Werken, die einen der Räume füllten.

      Tatsächlich! Da stand ein schätzungsweise vierzigjähriger Herr, bekleidet mit einem schwarzen Anzug, einem rosafarbenen Seidenhemd und einem reinweißen, korrekt gebändigten Binder. Er betrachtete durch die Gläser einer modernen Brille hindurch das Bild »Elbtalwärts«, das achtzig mal fünfundsechzig Zentimeter maß und, umfasst von einem schneeweißen Passepartout, in einem massiven Holzbilderrahmen mit feinem Profil verweilte. Sein Schnauzer zuckte etwas, er bewegte den Kopf leicht, als wollte er das volle Haar nach hinten gleiten lassen.

      Morgenstern hüstelte und sprach recht laut: »Nu, dann will ich mich mal um die anderen Gäste kümmern, liebste Frau Dr. Blauschner.« Und schon war er verschwunden.

      Der Kunstliebhaber – um einen solchen musste es sich zweifellos handeln – schaute sich fast etwas erschrocken um. Er blickte über die Gläser der Brille hinweg und äußerte nur: »Nein.«

      »Nein?«, fragte die Blauschner und errötete.

      Nun lächelte der Mann. »Sie sind die Künstlerin?«

      Die Blauschner lächelte ebenfalls und nickte, worauf er sich wieder dem Bild zuwandte. »Sie haben im Elbbogen gestanden, als Sie das Bild malten. Nicht wahr?«

      »So ist es. Wobei, ganz ehrlich gesagt, die meiste Zeit habe ich gesessen.«

      Er schaute unablässig auf das Bild. »Ich habe die Stelle sofort wiedererkannt. Hier bin ich aufgewachsen. Ich lief oft von zu Hause weg, für ein paar Stunden nur, verstehen Sie, und ich war stets genau hier.« Er zeigte auf einen Punkt des Gemäldes, unweit des filigran gemalten Ufers. »Eben dort habe ich gesessen.«

      »Was haben Sie dort getan?«

      Der Mann rückte nachdenklich die Brille auf der Nase zurecht. »Nachgedacht, philosophiert, gelesen, gelauscht, beobachtet.« Er nickte dem Bild zu. »Eben all die Dinge, die man tut, wenn man jung ist und an einem solchen Ort verweilt. – Ist dieses Werk käuflich zu erwerben?«

      Sie genoss den Hauch von Ruhm, das bisschen Aufmerksamkeit dieses fremden Herrn, der ihr längst nicht mehr so fremd vorkam. Trotzdem antwortete sie nur: »Vielleicht.«

      »Wie wäre es«, er zierte sich nicht lange, »wenn wir nebenan im Café die Modalitäten besprechen? Ich lade Sie herzlich ein.«

      Die Blauschner schaute sich unbeholfen um.

      Er lächelte erneut. Ein verzauberndes Lächeln! »Ihre Kunstwerke werden nicht davonlaufen.«

      Überzeugt stimmte sie zu. »In Ordnung.«

      Wenige Minuten später saßen die beiden an einem kleinen Korbtisch im straßenseitigen Bereich des Boulevard-Cafés, eine große Tasse Kaffee vor sich.

      »Wollen Sie Milch und Zucker?«, fragte er.

      »Viel Milch bitte«, antwortete sie schmunzelnd. Tatsächlich war ihr plötzlich der Gedanke gekommen, dieser deutlich jüngere Mann hätte den Versuch gestartet, ihr den Hof zu machen. Das Schmunzeln galt den eigenen Gedanken.

      Der nette Herr goss die Milch in ihren Kaffee, wobei unbemerkt etwas pulverige Substanz in die Tasse gelangte. »Darf ich?« Er nahm ihren Löffel und rührte sanft um, dann schob er das Getränk zu ihr hinüber.

      »Was tun Sie beruflich?«

      »Was glauben Sie denn, was ich tue?«

      Sie betrachtete seine Hände und nahm einige Schlucke ihres Kaffees. »Jedenfalls sind Sie kein Handwerker.«

      »Das haben Sie gut erkannt.« Er lächelte und trank ebenfalls. »Ich bin beim Fernsehen.«

      »Oh.« Eine kurze Pause folgte. »Beim Fernsehen?«

      »So ist es. Ich denke mir Dinge aus, die die Quoten erhöhen sollen.«

      Keck fragte sie nach: »Gute Sendungen oder auch solche, die verblöden?« Kaum waren die Worte verklungen, hielt sich Dr. Carola Blauschner eine Hand vor den gähnenden Mund.

      »Sowohl als auch. Entscheidend sind die Einschaltquoten. Würden Sendungen – Sie sagten so schön treffend –, die verblöden, nicht angeschaut werden, dann würde man sie nicht produzieren.«

      Die Ärztin widmete sich abermals ihrer Kaffeetasse, denn sie fühlte sich plötzlich sehr müde. »Damit haben Sie wahrscheinlich recht.« Normalerweise sorgte Koffein für Munterkeit. Doch heute schien alles anders zu sein.

      »Würden Sie denn gern in einer großen Show auftreten?« Der Mann hatte die Frage in vollem Ernst gestellt. »Wahrscheinlich wären Sie ein guter Kandidat, wenn es nicht gerade um sportliche Höchstleistungen geht.«

      Sie lachte übertrieben. Ihre Augenlider schlossen sich für mehrere Momente, dann blinzelte sie und wollte die rechte Hand zur Kaffeetasse bewegen, doch die gehorchte ihr nicht. Ihr Lachen verebbte so schnell, wie es gekommen war. »Was …?«

      Er stand auf, ging zu ihrem Platz und hielt die Rentnerin fest, damit sie nicht vom Korbstuhl fallen konnte. Sein Blick wanderte über den Gehweg der vielbefahrenen Straße. Sein kurzes Nicken galt einem jüngeren Mann, der eine Kapuzenjacke und eine Sonnenbrille trug. Dieser näherte sich einen Rollstuhl schiebend und fuhr geschickt neben den Platz der Ärztin. Er hob sie in Sekundenschnelle in den Rollstuhl, schnallte sie fest und drückte ihren Kopf gegen eine Kopflehne, während der vermeintliche Kunstliebhaber ihr eine große Sonnenbrille aufsetzte.


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