Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann

Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III - Erhard Heckmann


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aufstieg, ausschließlich auf ostpreußisches Blut um. Und dank dieses Erfolges blieb die Halbblutzucht auch in Graditz, als die staatlichen Vollblüter für zwanzig Jahre nach Altefeld umzogen. Vorübergehend wurde auch die Zucht der Traber und Maultiere wieder aufgenommen, wobei für letztere aus ostpreußischen Zuchten etwa dreißig Mutterstuten nach Graditz gebracht und von zwei Eselhengsten gedeckt wurden, die aus Italien und Amerika stammten.

      Die Bodenbeschaffenheit um das Gestüt war fruchtbar, bester Weizenboden ließ auch Klee und Luzerne gedeihen und sorgte für die Eigenversorgung von Gestüt und Rennstall, und für das Training standen auch zwei Bahnen zur Verfügung, 2.500 Meter Sand und 2.000 Meter Gras. Für den Ruhm dieses Gestütes sorgten in- und ausländische Hengste, und drei von ihnen, die aus dem Rennstall in die Zucht wechselten – Herold und sein Sohn Alchimist, zu denen sich der Hanielsche Ferro gesellte – hatten innerhalb von 14 Jahren alle das Derby und den Großen Preis von Berlin gewonnen, bevor sie in Graditz wirkten. Aber nicht alle „Graditzer Hengste“ deckten im eigenen Gestüt, sondern waren verpachtet oder standen beispielsweise auch in der Filiale Römerhof.

      Zu den Importen, die Graf Goorg Lehndorff zur Blutauffrischung der Herde und Verbesserung der Zucht durchführte, zählten mit Nuage (Großer Preis von Paris 1910) und Ard Patrick (Epsom Derby 1902) auch zwei Enkel des ungeschlagenen St. Simon (1881; Galopin). Die ersten großen Erfolge durfte Graditz aber schon einige Jahre früher feiern, als der Stockwell-Enkel Sonntag (1869; Rustic) das Union-Rennen von 1972 gewann, und Potrimpos vierzehn Jahre später für den ersten Derbysieg der „Schwarz-Weiß-Gestreiften“ sorgte.

      Als 1913 auch noch Dark Ronald (1905; Bay Ronald) angekauft wurde, dessen Kinder allein 872 Rennen und 13,7 Millionen Mark gewannen, waren die Weichen endgültig gestellt, sodass bis Ende 1945 allein zwölf Derbysieger gefeiert werden konnten, von denen sieben während der Regie von Graf Georg Lehndorf abgesattelt wurden. 1949 war es dann Deutschlands ältestem Privatgestüt Schlenderhan mit der Pharis-Tochter Asterblüte vorbehalten, diesen Derbyrekord zu egalisieren. Wie weit jedoch das Blut dieser importierten Hengste reichte, zeigt das Beispiel des letzten Derbysiegers der DDR: Der Graditzer Filutek, der 1990 in Hoppegarten gewann, war ein von dem Luciano-Sohn Cil stammender Hengst aus der Angeber-Tochter Figura, deren siebte Mutter Fama (Saraband) eine Tochter der Alveole ist. Und Alveole war die Mutter der Ard Patrick-Tochter Antwort, einer großen Linienbegründerin im einstigen Graditz. Trainiert wurde der in den Farben des Rennstalles Berolina laufende Graditzer damals von Heinz Schäfke, während es für den späteren Dresdener Trainer Lutz Pyritz, mehrfacher Champion-Jockey der DDR, im Sattel der dritte Treffer in diesem Rennen war. Und noch einer vertrat den Fama-Zweig der großen Graditzer Siegerfamilie der Alveole: Der Graditzer Hengst Faktotum (1952; Harlekin). Er war der beste Rennhengst der DDR-Zucht, gewann die Dreifache Krone und schlug im „Großen Preis der Sozialistischen Länder“ in Moskau Element, der durch seinen Sohn Anilin berühmt wurde. Faktotums dritte Mutter Fahne stammte von Dark Ronald aus der Flagge, deren Mutter den Namen Fama trug.

      Wie wichtig die Importe für die Zucht waren zeigt sich auch daran, dass die ersten beiden Derbysieger der „Schwarz-Weißen“ (Potrimus 1886 und Peter 1891) von dem Franzosen Chamant (1874; Mortemer) abstammten, der 1878 nach Deutschland kam. Der vierte, Habenichts, der 1898 gewann, hatte diesen Franzosen ebenfalls zum Vater, während die Derbysieger von 1893 (Geier) und 1909 (Arnfried) eine Chamant-Tochter zur Mutter hatten, und bei Orient (Bonavista), der für Graditz 1910 das sechste Derby gewann, stand eine Chamant-Enkelin als Großmutter im Pedigree. Als 1919 Gibraltar im Grundewald – nach dem Hannibal-Sohn Gulliver II 1912 – das nächste Blaue Band gewann, hieß sein Vater Nuage, und die Mutter war eine Tochter von Ard Patrick. Ein Jahr später hatte bereits der teuerste Graditzer-Import, Dark Ronald, an Herold seinen ersten Derbysieger, und dieser eine Mutter von Art Patrick. Der zehnte Graditzer, der das „Blaue Band“ für sich entschied, Dionys 1931, stammte von dem Dark Ronalds Sohn Herold aus der Nuage-Stute Dichterin, und der große Alchimist, der zwei Jahre später Derbysieger wurde, vertrat die gleiche Kombination, denn er war von Herold aus der Nuage-Tochter Aversion gezogen. Bevor Schlenderhan viermal hintereinander den Derbysieger feiern konnte, holte der Graditzer Ferro-Sohn Abendfrieden für seine Zuchtstätte 1937 den zwölften Triumph im „Blauen Band“. Und dieser Sieger verband über seine Mutter, die Herold-Tochter Antonia, das Blut von Dark Ronald mit dem von Nuage und Ard Patrick, und deckte später Mydlinghoven. Zu Nuage verband Antonias Mutter Adresse, während Ard Patricks Blutströme über Herolds Mutter Hornisse und Antonias Großmutter Antwort flossen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verlor die Dark Ronald Linie an Kraft, doch brachten Derbysieger wie Alarich (Derbysieger 1960) Baalim (1961) Stuyvesant (1976) oder Surumu (1977) die Linie wieder stark zurück, wobei auch der Derbysieger von 1948, Birkhahn, als Beschäler eine tragende Rolle spielte. Dieser startete in Graditz, gewann fünf Hengst-Championate und wurde dann von Gabrielle von Oppenheim für Schlenderhan gekauft. Fünf Jahre später war der Alchimist-Sohn bereits tot, ließ aber anschließend noch drei Championate in der damaligen Bundesrepublik Deutschland folgen.. Und Schlenderhans 16. Derbysieger Sruyvesant war als Priamos-Sohn ein Enkel von Alchimist, und auf der Mutterseite führte der Schlenderhaner zu Schwarzgold, womit zwei ganz große Pferde dieser beiden Zuchten verbunden waren. Wenn man von Dark Ronald spricht, dann darf auch Landgraf nicht vergessenen werden, denn er war sein großer, deutsch gezogener Gegenspieler. Doch dazu später.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Zucht nahezu zum Erliegen, denn die gesamte Herde wurde aufgelöst, ein Großteil des Pferdebestandes als Kriegsbeute nach Russland und Polen abtransportiert, und der 15-jährige Alchimist erschossen, weil er sich nicht einspannen ließ oder einen Reiter verweigerte. Der 28 Jahre alte Herold hatte das gleiche Schicksal schon beim Einmarsch der Russen erlitten, womit das vorläufige Ende von Graditz gekommen war. Das weltbekannte Preußische Staatsgestüt, das 56 klassische Sieger absattelte, im Schnitt 40 bis 45 Zuchtstuten unterhielt, jährlich zehn bis 15 Pferde aller Altersgruppen versteigerte, die keinesfalls Ladenhüter sondern begehrt waren, dessen Hengste dank staatlicher Subventionen zu günstigen Taxen auch den Stuten privater Züchtern zur Verfügung standen, und das auch die Kavallerie mit Vollblütern versorgte, um in die Landespferdezucht die nötige Härte und Ausdauer zu bringen, hatte aufgehört zu existieren.

      Der Neubeginn war nicht nur in Graditz schwierig, doch begannen die Rennen in Mitteldeutschland 1945 schon ein Jahr früher als in Westdeutschland. 1948 gab es durch den aus Leipzig angereisten Birkhahn eine erste „Gemeinsamkeit“, als der Hoppegartener Derbysieger auch das „Blaue Band“ zu Hamburg gewann. Ein Jahr später meldete sich auch das Gestüt Schlenderhan eindrucksvoll zurück, als es mit Asterblüte und Aubergine alle klassischen Rennen gewann: Schwarzgold Rennen, Diana, Union und Derby gingen an Erstere, St. Ledger und Henckel Rennen an ihre Stallgefährdin. Dass jedoch schon 1951 ein Pferd wie Neckar zur Verfügung stand, das war nicht zu erwarten.

      Wenn die deutsche Vollblutzucht heute weltweit geachtet ist, so hat auch Graditz einen Meilenstein dazu beigetragen, diente der Gemeinnützigkeit und wurde dieser gerecht. Über Generationen spielte es neben großen Privatzuchten eine wichtige Rolle und schrieb eines der bedeutendsten Kapitel der deutschen Vollblutzucht. Graditz war aber nicht nur eine Macht, sondern auch eine „Weltanschauung“, und die ganz große Bedeutung dieses Gestüts war die Tatsache, dass es auch privaten Züchtern hervorragende Hengste zur Verfügung stellte, denn der private Beschäler-Erwerb vom Format eines Galtee More (Sieger der englischen Triple Crown), Ard Patrick oder gar eines Dark Ronald, der ein Glücksfall gewesen sein mag, war kaum möglich. Mit Graditz, dessen Rennstall sich nicht am Nützlichkeitssport beteiligte, hat der Staat damals bewiesen, dass er um die Bedeutung der Vollblutzucht wusste, denn auch die Decktaxen (1937 kosteten Alchimist und Herold jeweils 300 Mark) kamen kleinen Züchtern entgegen. Aber auch große Privatzuchten wie Waldfried oder Schlenderhahn zogen von den Graditzer Aktivitäten großen Nutzen. So stammte Oleanders Mutter Orchidee von Galte Moore, und der Vater des großartigen Schlenderhaners, Prunus, war ein Sohn von Dark Ronald.

      Bis Graditz seinen ersten Derbysieger, den Charmant-Sohn Potrimpos, absatteln konnte, schrieb man bereits das Jahr 1886, doch als die Schwarz-Weißen Farben fünf Jahre später die deutsche Gewinnstatistik mit rund 250.000 Mark anführten, gab es bereits „Aufregung“. Damals unterzeichneten achtzehn Besitzer eine Resolution an die Rennvereine, um die Graditzer von bestimmten Rennen auszuschließen und Pferden in Privatbesitz in anderen Prüfungen Gewichtserlaubnisse einzuräumen.


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