Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann
bald 1.500 Pferde, und auf dieser Berliner Bahn schlug jetzt das Herz des deutschen Rennsports. Heute, im dritten Jahrtausend, ist auch hier wieder ein Privatmann mit seinem Team dabei, diese herrliche Anlage wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Auch in Graditz strebte man von Anfang an nach dem Besten, investierte konsequent und sortierte aus, was den Kriterien nicht mehr entsprach. So kamen 1866 im Herbst schon zwei Stuten aus England an die Elbe, und 1867, im Jahr der Gründung des Union-Klubs durch den namhaften Besitzer und Züchter Graf Renard am 15. Dezember, folgten 15 weitere.
Dark Ronald, fünffacher Beschälerchampion in Graditz (Foto: Menzendorf; Leihgabe Niedersächsische Sparkassenstiftung und Kreissparkasse Verden im Deutschen Pferdemuseum)
Zehn Jahre später waren von den ursprünglich 56 Müttern nur noch zwei in der Herde, von denen aber nur eine, die 1858 geborene, aus Neustadt überstellte Touchstone-Enkelin Selima (Rifleman) erfolgreich wirkte und 1869, nach dem Stockwell-Sohn Rustic Sonntag fohlte, der für Graditz die erste „Union“ gewann. Gezogen hatte sie Sir R. M. Tatton Sykes in England, der, gemeinsam mit Lady Sykes of Sledmere, auch solche Pferde zog wie Doncaster (1870), Spearmint (1903), Lady Juror (1919) oder Mumtaz Mahal (1929).
Pro Jahr kaufte Graditz damals im Schnitt jährlich drei Stuten, und von 1866 bis 1945 waren es im In- und Ausland insgesamt 228, die nach Graditz kamen: 157 aus England, 22 aus Frankreich, 23 wurden in Deutschland, 14 in Belgien und neun in Österreich erworben. Die restlichen drei wurden aus den USA (2) und Dänemark importiert. Dass alle zu Familiengründerinnen würden, das war ohnehin nicht zu erwarten, doch wegen einer damals in Graditz grassierenden Anämie starben sogar 210 total aus.
Die längste Lebensdauer für Graditz hatten die Familien der Alveole und der 1872 in Österreich geborene Goura (Buccaneer-Gorse). Diese war eine rechte Schwester von Baron Oppenheims Good Hope (1873), der als Fohlen mit seiner 14-jährigen Mutter und dem Jährling Goura importiert wurde, das Österreichische Derby und die Union gewann, und auf den mecklenburgischen Gestüten des Grafen Hahn und G. von Maltzan deckte. Gorses Tochter, Miss Gorse, wurde Stamm-Mutter von Dorn (1869; Chamant), der für Schlenderhan Henckel-Rennen, Union, den Großen Hansa-Preis, Großen Preis von Berlin und das St. Ledger gewann. Auch bei Schlenderhans 1937 geborenem Oleander-Sohn Samurai (St. Ledger, Großer Preis von Baden) stand Miss Gorse noch als fünfte Mutter im Pedigree.
Zu Buccaneer, der im ungarischen Staatsgestüt Kisber stand, das in Ungarn eine ähnliche Rolle spielte wie Graditz in Deutschland, sei hier angefügt, dass Siegfried von Lehndorff in seinem Buch „Ein Leben mit Pferden“ darauf hinweist, dass seinem Vater Georg durch Graf von der Goltz, der von 1869 bis 1870 die Geschäfte des Oberlandstallmeisters versah, die Benutzung von Buccaneer und seines Stallgefährten Blue Gown ausdrücklich untersagt wurde, obwohl Buccaneer seine Vererberqualitäten bereits bewiesen hatte, was einige Beispiele auch unterstreichen: Formosa (gewann 1868 die 1000 und 2000 Guineas, Oaks und das St. Ledger); Kisber, der selbst ein großer Vererber wurde, holte für A. Baltazzi 1876 das Epsom Derby; Amalie von Edelreich setzte sich als erste Stute im Deutsche Derby 1873 durch; Pirat siegte 1877 zu Hamburg, und Tallos, der 1877 in den Derbys von Österreich und Deutschland den Ehrenplatz belegte, ließ sich 1880 den Großen Preis von Baden nicht entgehen. Und beide, Buccaneer und Kisber, zeugten auch noch weitere große und klassische Sieger nicht nur für die Donau-Monarchie.
Die 1889 geborene Crafton-Tochter Alveole, deren in Ungarn gezogener Graßvater Kisber in England trainiert wurde, kam 1905 nach Graditz, als dieses nach dem Unfalltod von G. von Bleichröder 1902 dessen 1896 gegründetes Gestüt Römerhof übernahm. Mit diesem Kauf kamen zwei Hengste und 16 Stuten in Graditzer Besitz, und zu den Ladies zählte auch die von Bleichröder 1894 importierte Alveole. Ihre Mutter Sainte Alvere (1883) kaufte Baron Eduard von Oppenheim auf einer Auktion des Zuchtvereins für 12.500 Mark für das von ihm gegründete Schlenderhan, denn sie war die Tochter des Newminster-Sohnes Hermit, der als einer der größten Vererber aller Zeiten gilt. Ihr letztes Fohlen, Blaustrumpf (1905; Saphir), lief beim dritten Start in einem Verkaufsrennen, wurde für 6.600 Mark gefordert, gewann in neuen Farben noch 12 Rennen und kam auf Umwegen in die Waldfrieder Zucht, wo sie zur Begründerin der Waldfrieder B-Linie wurde. Über ihre Enkelin Blaue Adria wurde sie dort zunächst Urgroßmutter von dem Alchimist-Enkel Baal (1950), der später in die DDR gelangte, und 1961 gewann ihr Urenkel Baalim das Deutsche Derby unter Gerhard Streit. Und genau wie diese Stute ist auch die vom Römerhof nach Graditz gekommene Alveole eine Tochter der Saint Alvere, aus der das Staatsgestüt 1907 die große Antwort erhielt. Auch Baron Eduard von Oppenheim hielt ebenfalls an seiner hohen Meinung von Sainte Alvere eisern fest, und als er von Römerhof das dritte Fohlen der Alveole-Tochter Bayreuth, Ibidem (1903) kaufte, wurde er für seine zu frühe Trennung von Blaustrumpf doch noch voll entschädigt: Die Tochter des Buccaneer-Enkels Little Duck (u. a. Französisches Derby und Großer Preis von Paris), die zweijährig sechs Rennen gewann und bei zwei Starts als Dreijährige 1906 im Preis der Diana siegte, wurde in Schlenderhan eine einflussreiche Stute, zu deren Familie, neben vielen anderen, auch Alba (1927), Aralia (1945), Asterblüte (1946), Asterios (1947) und Agio (1955) gehören, wobei das „Familien-A“ von Ibidems Tochter Arabis stammt.
Martin Beckmann führt in seinem Sport-Welt-Beitrag an, dass zwischen 1729 und 1945 elf Gestütsleiter regierten – Herr von Leipzig eröffnete, und Graf H. Kalein war der letzte Chef, ehe der zweite Weltkrieg fast alles vernichtete – und etwa 60 Hengste für Graditz (Altefeld inklusive) gewirkt haben. Auf sie alle einzugehen, würde den hier gesetzten Rahmen nicht nur sprengen, sondern einige von ihnen standen nur kurzfristig hier, und andere dienten in der Warmblutzucht. Neben den „ganz großen Beschälern“ gab es natürlich Vertreter, deren Söhne und Töchter in der Zucht Gutes leisteten, aber auch solche, die zu wenig Unterstützung erfuhren oder als gute Renner kläglich versagten. Von diesen Stallions sollen an dieser Stelle jedoch nur einige erwähnt sein:
Der 1863 geborenen Derbyzweite und Stockwell-Sohn Savernake, den Graf Georg Lehndorff 1868 erworben hatte, stand nur vier Saisons in Graditz und wurde danach an Harzburg verkauft. Dennoch hat er sich in der deutschen Zucht gut geschlagen, denn er hinterließ Pferde wie Hochstapler (Union, Großer Preis von Baden); Paul (Deutsches Derby 1874)¸ Vergissmeinnicht (Preis der Diana 1876 und Mutter von Weltmann); Nickel (Henckel-Rennen 1890; Großer Hansa-Preis 1892; Großer Preis von Baden ein Jahr später und Wiener Jubiläums-Preis). The Palmer (1864; Beatsman) hinterließ einige gute Stuten. Darunter Glocke (Preis der Diana, Goldene Peitsche, Badener Jugendpreis); die 1880 geborene Ungarin Fantasie, die Mutter von Derbysieger Tegetthoff wurde oder Maria (1880) die Zukunfts-, Fürstenberg-Rennen, St. Ledger an ihre Farben heftete und eine bekannte Mutter in der Schlenderhaner Zucht wurde. Bei Trumpeter (1856; Orlando) aus der königlichen Zucht wahr es wohl die Verwandtschaft, die zum Import des Zwanzigjährigen einlud, denn sein Vater hatte auch in Deutschland einige Töchter gezeugt, die eine große Rolle spielten. Zu diesen gehörte auch Dirt Cheap, die Mutter des Derby-Siegers von Trachenberg, der sich seinen Derbysieg 1882 mit Taurus teilen musste und 1890 Hannibal (Großer Hansa-Preis, Großer Preis von Berlin, St. Ledger) zeugte.
Der Franzose Chamant (1884; Mortemer), der bereits erwähnt wurde, lief in England (2000 Guineas, Middle Park Stakes, Dewhurst Plate) und kam 1878 nach Graditz. Der Hengst hatte bereits gute Geschwister auf der Bahn wie Camelia (1000 Guineas, Oaks), doch waren die Zugnummern wohl eher Stockwell (2000 Guineas, St. Ledger) und Rataplan (Doncaster Cup, Gold Cup) als Halbbrüder zu Chamants Mutter Araucaria (1862; Ambrose).
Georg Graf von Lehndorff 1833-1914 (Foto: gemeinfre; http//:commons wikimedia-org-windex ph.)
Chamant, der, neben der Vollblutzucht auch auch in der Halbblutzucht Überragendes leistete, schenkte Graditz allein drei Derbysieger und weitere, die sich in den anderen Klassiks durchsetzten, als auch Töchter, die gute Mutterstuten wurden. So fohlte Geheimnis (1883) Geier (Union, Derby im toten Rennen); Minnehaha (1887) fohlte die 1896 geborene Görlsdorferin Namouna (Sierstorpff-, Ratibor-Rennen, Hamburger Criterium, St. Ledger, Großer Preis von Berlin, Derbyzweite), oder Abendglocke, die Mutter von Derbysieger Arnfried wurde, der 1909 gewann. 1898, im Alter von 24 Jahren ging Chamant