Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg


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Es war eine Krankheit von Säuglingen und alten Menschen. Für jeden anderen wäre es absolut ungewöhnlich gewesen, ein krankes Herz zu haben.

      Krebs trat auch äußerst selten auf. Selbst das Rauchen von Tabak verursachte in nicht elektrifizierten Zeiten keinen Lungenkrebs.

      Dies sind die Zivilisationskrankheiten, die wir auch unseren tierischen und pflanzlichen Nachbarn zugefügt haben. Wir leben mit diesen Krankheiten, weil wir uns weigern, die von uns nutzbar gemachte Energie als das zu akzeptieren, was sie ist. Die 50-Hz-Netzspannung in unserer Hausverkabelung, die Ultraschallfrequenzen in unseren Computern, die Radiowellen in unseren Fernsehern, die Mikrowellen in unseren Handys1 sind nur Verzerrungen des unsichtbaren Regenbogens, der durch unsere Adern fließt und uns lebendig macht. Aber wir haben das vergessen.

      Es ist an der Zeit, dass wir anfangen uns zu erinnern.

TEIL 1

      KAPITEL 1

      In einer Flasche eingefangen

      Das Leidener Experiment war eine Idee mit immenser und weitreichender Auswirkung: Überall wurde man gefragt, ob man die Effekte des Experiments schon erlebt hätte. Es war das Jahr 1746. Der Ort eine beliebige Stadt in England, Frankreich, Deutschland, Holland, Italien. Ein paar Jahre später auch in Amerika. Die Elektrizität war eingetroffen und wie bei einem Wunderkind, das sein Debüt gab, stellte sich die ganze westliche Welt ein, um sich ihre Aufführung anzusehen.

      Ihre Hebammen – Kleist, Cunaeus, Allamand und Musschenbroek – warnten, sie hätten geholfen, ein Enfant terrible zur Welt zu bringen, dessen Schläge den Menschen den Atem rauben, ihr Blut kochen und sie lähmen könnte. Die Öffentlichkeit hätte besser zuhören und vorsichtiger sein sollen. Aber wie man sich denken kann, ermutigten die farbenfrohen Berichte dieser Wissenschaftler die Menschenmengen nur noch mehr.

      Pieter van Musschenbroek, Professor für Physik an der Universität Leiden, hatte seine übliche Reibungsmaschine benutzt. Diese bestand aus einer Glaskugel, die er schnell um ihre Achse drehte, während er sie mit den Händen rieb, um das „elektrische Fluidum“ zu erzeugen, das wir heute als statische Elektrizität kennen. Ein eiserner Gewehrlauf, der den Globus fast berührte, hing an Seidenschnüren von der Decke. Er wurde als „Hauptleiter“ bezeichnet und normalerweise dazu verwendet, Funken statischer Elektrizität aus der geriebenen, rotierenden Glaskugel zu erzeugen.

      In jenen frühen Tagen war die Elektrizität jedoch nur von begrenztem Nutzen, da sie immer vor Ort produziert werden musste und es keine Möglichkeit gab, sie zu speichern. Also dachten sich Musschenbroek und seine Mitarbeiter ein geniales Experiment aus – ein Experiment, das die Welt für immer verändern sollte: Sie befestigten einen Draht am anderen Ende des Hauptleiters und steckten ihn in eine kleine Glasflasche, die teilweise mit Wasser gefüllt war. Sie wollten sehen, ob das elektrische Fluidum in einem Glas gespeichert werden konnte. Und der Versuch übertraf ihre kühnsten Erwartungen.

      „Ich werde Ihnen von einem neuen, aber schrecklichen Experiment erzählen“, schrieb Musschenbroek an einen Freund in Paris, „von dem ich Euch rate, es nie selber auszuprobieren, noch würde ich, der dies einmal durch Gottes Gnade er- und überlebt habe, es für alles Geld der Welt nochmals durchführen.“ Er hielt die Flasche in der rechten Hand und versuchte mit der anderen, Funken aus dem Gewehrlauf zu erzeugen. „Plötzlich wurde meine rechte Hand mit solcher Kraft getroffen, dass mein ganzer Körper zitterte, als wäre er vom Blitz getroffen. Obwohl das Glas dünn war, zerbrach es nicht. Meine Hand wurde zwar nicht abgerissen, aber mein Arm und mein ganzer Körper waren sehr viel schlimmer betroffen, als ich es in Worte fassen kann. Kurzum, ich dachte, das sei mein Ende.“1 Als sein Kompagnon in Sachen Erfindungen, der Biologe Jean Nicolas Sébastien Allamand, das Experiment durchführte, spürte er einen „gewaltigen Schlag“. „Ich war so fassungslos“, sagte er, „dass ich für einige Momente nicht atmen konnte.“ Aufgrund der Stärke des Schmerzes an seinem rechten Arm befürchtete er sogar, eine dauerhafte Verletzung davongetragen zu haben.2

      Liniengravur in Mémoires de l’Académie Royale des Sciences, Tafel 1, S. 23, 1746

      Aber nur die Hälfte der Nachricht erreichte die Öffentlichkeit. Die Tatsache, dass Menschen durch diese Experimente vorübergehend oder, wie wir sehen werden, dauerhaft verletzt oder sogar getötet werden könnten, ging in der allgemeinen Aufregung, die auf diese Zeit folgte, verloren. Nicht nur verloren, sie wurden auch bald schon verspottet, bezweifelt und schließlich vergessen. Damals wie heute war es gesellschaftlich nicht akzeptiert, Elektrizität als gefährlich hinzustellen. Nur zwei Jahrzehnte später schrieb Joseph Priestley, der englische Wissenschaftler, der durch seine Entdeckung von Sauerstoff berühmt wurde, seine Geschichte der Elektrizität, in der er den „feigen Professor“ Musschenbroek und die „übertriebenen Berichte“ der ersten Experimentatoren ins Lächerliche zog.3

      Die Erfinder waren nicht die Einzigen, die versuchten, die Öffentlichkeit zu warnen. Johann Heinrich Winkler, Professor für Griechisch und Latein in Leipzig, versuchte das Experiment durchzuführen, als er davon hörte. „Ich erlitt große Krämpfe in meinem Körper“, schrieb er an einen Freund in London. „Es hat mein Blut in große Aufregung versetzt, so dass ich Angst vor einem brennenden Fieber hatte und kühlende Medikamente verwenden musste. Ich fühlte eine Schwere in meinem Kopf, als hätte ich einen Stein darauf liegen. Zweimal verursachte es bei mir eine Nasenblutung, zu der ich ansonsten nicht geneigt bin. Meine Frau, die den elektrischen Blitz nur zweimal erhalten hatte, war danach so schwach, dass sie kaum noch laufen konnte. Eine Woche später erhielt sie nur einen elektrischen Blitz; ein paar Minuten später blutete sie aus der Nase.“

      Aus den Erfahrungen zog Winkler die Lehre, dass Lebewesen keine Elektrizität zugefügt werden sollte. Und so verwandelte er seine Maschine in ein großes Warnsignal. „Ich habe in den Berliner Zeitungen gelesen“, schrieb er, „dass sie solche elektrischen Blitze an einem Vogel ausprobiert haben und er dadurch sehr große Schmerzen erlitten hat. Ich habe dieses Experiment nicht wiederholt; denn ich halte es für falsch, Lebewesen einen solchen Schmerz zuzufügen.“ Er wickelte deshalb eine Eisenkette um die Flasche, die zu einem Stück Metall unter dem Gewehrlauf führte. „Wenn dann die Elektrifizierung stattfindet“, fuhr er fort, „sind die Funken, die vom Rohr auf das Metall fliegen, so groß und so stark, dass sie (sogar tagsüber) in einer Entfernung von 50 Metern gesehen und gehört werden können. Sie stellen einen Blitzstrahl dar, eine klare und kompakte Feuerlinie; und sie machen ein Geräusch, das alle Leute, die es hören, erschreckt.“

      Die breite Öffentlichkeit reagierte jedoch nicht wie erwartet. Nachdem sie Berichte wie die von Musschenbroek in den Protokollen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Frankreich, der Académie Royale des Sciences, und seine eigenen in den Philosophical Transactions der Royal Society of London gelesen hatte, stellten sich neugierig gewordene Männer und Frauen zu Tausenden in ganz Europa an, um den Reiz der Elektrizität in Experimenten selbst zu erleben.

      Abbé Jean-Antoine Nollet, ein Theologe, der zum Physiker wurde, führte die Magie der Leidener Flasche in Frankreich ein. Er versuchte die unersättlichen Forderungen der Öffentlichkeit zu befriedigen, indem er Dutzende, Hunderte von Menschen gleichzeitig elektrisierte. Dazu forderte er sie alle zum Händehalten auf, um eine Menschenkette in Form eines großen Kreises zu bilden, dessen Enden nahe beieinanderlagen. Er stellte sich an ein Ende, während die Person, die das letzte Glied darstellte, die Flasche ergriff. Plötzlich vervollständigte der gelehrte Abt mit seiner Hand den Schaltkreis durch das Berühren des in die Flasche eingeführten Metalldrahtes. Der Stromschlag wurde sofort entlang der gesamten Kette gleichzeitig verspürt. Elektrizität war kurzerhand zu einem gesellschaftlichen Ereignis geworden; die Welt war, wie einige Beobachter es nannten, von „Elektromanie“ besessen.

      Die Tatsache, dass Nollet mehrere Fische und einen Spatz mit derselben Ausrüstung durch einen Stromschlag getötet hatte, schreckte die Menge nicht im Geringsten ab. In Versailles elektrisierte er in Gegenwart des Königs eine Kompanie von 240 Soldaten der französischen


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