Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis

Mara und der Feuerbringer - Tommy Krappweis


Скачать книгу
ihrem Kopf zu vertreiben, wie sie vor Larissas Finger einknickte und zerlief wie ein Schokoladen-Osterhase auf der Herdplatte. Quatsch!

      Sie blickte sich wieder um. Warum hatte Mama sie nur hierhergeschleppt! Und das ausgerechnet am Samstag! Was hätte man bei diesem wunderschönen, sonnigen Wetter doch alles unternehmen können! Zum Beispiel zu Hause bleiben, die Rollläden runterziehen, sich ins Bett legen und unter der Bettdecke Musik hören! Aber nein, Mama musste sie ja mal wieder zu einem dieser sogenannten »Seminare« ihrer Frauengruppe mitschleifen. Und Mara hasste diese Seminare fast so sehr wie …

      … da war sie schon wieder: Larissa. Normalerweise ärgerte sich Mara darüber, dass diese blöde Kuh in ihren Gedanken so viel Platz einnahm. Aber im Moment war sie froh, etwas zu haben, worüber sie brüten konnte. Sonst wäre sie wahrscheinlich vor Langeweile gestorben. Sie saß jetzt schon geschlagene vier Stunden vor diesem blöden Baum und seit zwei Stunden tat ihr auch noch der Rücken weh! Damit hatte Mama echt den Bogen überspannt!

      Mara war jedes Mal aufs Neue erstaunt, mit was für einem Unsinn man sein Wochenende vergeuden konnte. Das »Erdmutter-Seminar« vor drei Wochen war schon ziemlich dämlich gewesen und Mara erinnerte sich mit Schaudern an die Berge von Rindenmulch aus dem Baumarkt, mit denen sie sich alle gegenseitig zudecken mussten, um »eins zu werden mit dem Mutterboden«. Wenn es so was wie eine Erdmutter wirklich gab, hatte sie sich an diesem Tag sicher großartig amüsiert. Heute jedoch hätte sich die Erdmutter vermutlich einfach nur kopfschüttelnd abgewendet. Denn nichts auf der Welt war so unfassbar hirnrissig wie: eine Baum-Audienz!

      Nur ein paar Meter von ihr entfernt hielt eine schreckschraubige Dame mit weißem Spitzenkragen, die längst nicht so alt war, wie ihre Klamotten sie aussehen ließen, einen Baum mit beiden Armen umschlungen und die Augen geschlossen. Dabei bewegten sich unentwegt ihre Lippen, und Mara wusste, was diese Frau seit Stunden lautlos vor sich hin brabbelte. Es war der Satz, den die sogenannte Seminarleiterin ihnen allen vor ein paar Stunden vorgesagt hatte und den sie an einen von ihnen ausgewählten Baum richten sollten.

      Er lautete: Willst du mit mir sprechen?

      Und sie, Mara, vierzehn Jahre und genervt, saß mitten zwischen diesen Bekloppten und fühlte sich so deplatziert wie ein Pinguin beim Beachvolleyball. Und nur ein paar Meter weiter saß ihre Mama vor einem weiteren Baum und machte einen besonders vergeistigten Eindruck. Mara wusste, dass ihre Mutter sich gerade mal wieder unglaublich viel Mühe gab, alles richtig zu machen, und hinterher in den höchsten Tönen von dem Seminar schwärmen würde. Das musste sie ja auch, wenn sie nicht zugeben wollte, dass sie siebzig Euro dafür bezahlt hatte, drei Stunden lang sinnlos vor einem Baum zu sitzen.

      Die hohle Nuss Larissa war natürlich nicht schuld daran, dass Mama sie hierhergeschleppt hatte – das war Mara klar. Aber irgendwo musste die brodelnde Wut über ihre selten dämliche Situation ja hin. Und mit Larissa traf es ganz sicher nicht die Falsche! Schließlich war Larissa ein Monster, und die waren bekanntlich hart im Nehmen. Wieder drängte sich ein Bild mit vollem Ellenbogeneinsatz in Maras Gedanken: Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie ein haushohes Larissamonster mit brüllender Lache über den Schulhof wankte und dabei alles unter seinen Füßen zermalmte. Büsche, Bänke, Fünftklässler …

      Schluss damit! Mara schüttelte sich, um die Bilder aus ihrem Kopf zu vertreiben. Ja, sie war mit einer blühenden Fantasie gesegnet, aber Mara hasste jede Sekunde, die sie mit diesen albernen Tagträumen vergeudete. Die waren schließlich der Grund, warum man sie in der Schule so hänselte! Wenn Mara mal wieder in einen ihrer Träume versank, bekam sie rundherum einfach nichts mehr mit. Und das Schlimmste war, dass man es ihr auch noch sehr deutlich ansah. So wusste zum Beispiel der blöde Basti von der Bank hinter ihr ganz genau, wann er ihr wieder irgendwelche Papiergebilde in die Haare stecken konnte, ohne dass sie es bemerkte. Mara bemerkte auch nicht, wenn man ihren Schulranzen heimlich mit Steinen aus dem Pausenhof auffüllte oder ihren Füller an der Unterseite dick mit Lippenstift beschmierte. Das fiel ihr alles meistens erst später auf, wenn der Gong sie aus ihrem Tagtraum riss und sie ein paar Minuten später unter dem Gelächter von Larissa und ihrer Clique die Steine aus ihrem Ranzen sortierte und dabei überall rote Flecken hinterließ, während ihr laufend Papierkügelchen aus den Haaren purzelten.

      Und das alles passierte ausgerechnet ihr, wo sie sich doch immer so viel Mühe gab, nicht aufzufallen! Mara war eigentlich die Art Mädchen, die man im Schulhof nicht bemerkte, und das war ihr auch bisher ganz recht so gewesen. Ihr Aussehen hatte ihr dabei immer geholfen: Maras Nase war weder zu groß noch zu klein, ihre Augen irgendwas zwischen grau und blau, die Haarfarbe irgendwo zwischen köterbraun und dunkelblond und außerdem war sie weder groß noch klein, noch dick oder dünn oder sonst wie besonders.

      Doch dann war eines Tages Lästerqueen Larissa an die Schule gekommen und hatte sich aus der Menge der Unscheinbaren ausgerechnet Mara als Opfer herausgepickt. Und mit ihr schwenkte sich auch die gesamte Klasse auf sie ein wie ein Geschützturm.

      Manchmal kam Mara sich vor wie ein Gecko in einem viel zu kleinen Terrarium, der tagaus, tagein angestarrt wurde und nichts anderes tun konnte, als zurückzustarren. Und schuld daran waren nur ihre Tagträume … und natürlich Larissa, diese blöde Kuh.

      Apropos blöde Kuh. Diese altmodische, aber schön griffige Bezeichnung passte auch wie die Faust aufs Auge auf die meisten Mitglieder von Mamas komischer Frauengruppe. Die ganz schlimmen waren blöde Kühe, die weniger schlimmen waren nur blöd und die harmlosen waren nur Kühe. Ihnen allen gemeinsam war ein bestenfalls »fluffig« zu nennender Kleidungsstil sowie die Fähigkeit, sich allem zu verschließen, was man mit dem Begriff »Realität« bezeichnete. Und natürlich der selbst gewählte Name ihrer Gruppe. Sie nannten sich stolz die »Wiccas von der Au«.

      Wicca war angeblich ein altenglischer Begriff für Hexe, aber Mama wurde immer sauer, wenn Mara sie fragte, ob sie wieder zu ihrer Hexengruppe ging. Denn laut Mama waren ihre Wiccas »ein Zusammenschluss weiser und starker Frauen, die wissen, worum es in der Welt wirklich geht«. Für Mara hingegen waren sie »ein Zusammenschluss weichkeksiger Schabracken, die von der Welt überfordert sind und sich darum eine eigene bauen«. Das hatte Mara ihrer Mutter allerdings noch nie so gesagt, denn sie konnte sich noch gut daran erinnern, was passiert war, als Papa das einmal so ähnlich ausgedrückt hatte. Jetzt lebte er in Berlin und Mara hatte seit einem halben Jahr nicht mal mehr mit ihm telefoniert. Doch war sie ehrlich gesagt kurz davor, ihrer Mutter zu sagen, was sie von diesem ganzen Wicca-Zirkus hielt!

      Was bitte erwarteten sich die Schwurbelhexen von diesem »Seminar«? Dass ihnen ein Baum die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest gab? Warum glaubten die Wiccas von der Au eigentlich immer, dass alles, was alt und stumm war, gleichzeitig auch unglaublich weise sein musste und nur darauf wartete, sein Wissen ausgerechnet mit ihnen zu teilen? Wenn Bäume sprechen könnten und irgendwas mitzuteilen hätten, dann hätten sie das ja wohl schon längst getan, oder nicht?

      Wieder formte sich urplötzlich ein Bild in Maras Kopf: Sie sah einen mittelgroßen Apfelbaum, der an einem Rednerpult stand, und vor ihm eine Schar von Reportern, die ihn mit Fragen bestürmten. Der Baum winkte mit einem Ast ab und sagte: »Wir werden uns mit diesen Fragen zu gegebener Zeit beschäftigen, aber bitte haben Sie Verständnis, dass ich dazu im Moment wenig sagen kann.«

      NEIN. Mara drückte die skurrile Szene zu einem kleinen Knäuel zusammen und warf sie in Gedanken ganz weit weg. Oh, wie sie dieses Kopfkino hasste! Ihre Gedanken waren eh schon voll mit Mama, Papa, Schule, Larissa und dem Rest der Welt! Oh ja, Mara hatte wirklich schon genug mit der Realität zu kämpfen und heute war es ein besonders harter Kampf.

      Sie sah zu ihrer Mutter hinüber. Die war zu Maras namenlosem Entsetzen gerade dazu übergegangen, zur Verstärkung des Gesprächsangebots an ihren Baum ein paar Yogaübungen mit einfließen zu lassen.

      Mama, bitte nicht, dachte Mara. Aber da war es bereits zu spät. Die nackten Füße ihrer Mutter reckten sich hoffnungsvoll nach dem untersten Zweig des Baumes.

      Das hatte zwei Effekte. Effekt eins: Der Baum war jetzt garantiert so peinlich berührt, dass er nie wieder zu irgendwem oder irgendwas sprechen würde. Effekt zwei bestand aus zehn Augenpaaren, die sich allesamt von ihren Bäumen ab- und Maras Mutter zuwendeten.

      Und


Скачать книгу