Im Schatten des Wolfes. H.E. Otys

Im Schatten des Wolfes - H.E. Otys


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war.

      Seine Hände entspannten sich. Er ließ ihre Schultern los. Wulf drehte sich um und sah seinen Bruder Leif vor sich stehen. Nach nur einem kurzen Atemzug umarmten sie einander.

      »Verzeih meine Worte, Bruder. Aber der alte Mann hat einen solchen Sohn wie dich nicht verdient. Du siehst nur das Gute in ihm.«

      Leif studierte Wulf kurz.

      »Und du, Bruder, siehst noch immer nur das Schlechte in ihm. Wird das immer so weitergehen?« Leif lachte kurz, aber es klang gequält, voll Sorge

      »Solange, bis Eilaf der Wahrheit entgegensieht, Leif. Genau solange.«

      »Er wird nie aufhören zu glauben, er sei im Recht. Er hatte Kinder, Söhne, unser Onkel nicht. Vater hat die Zeit nur nach vorn gedreht.«

      »Unser Onkel hatte auch Kinder«, beharrte Wulf.

      »Ja, aber nicht mehr. Vater hat ein Recht auf diesen Thron, so wie ich, so wie auch du.«

      »Ich verzichte auf diesen Thron. Ich wollte ihn nie, ich habe nie darum gebeten. Es war ganz allein Eilafs Entscheidung.«

      »Vater wollte nur das Beste für dich.«

      »Deshalb schickte er mich also all die Jahre nach Byzanz.« Wulf konnte nicht glauben, dass Leif noch immer hinter ihrem Vater stand. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal.

      »Er tat es, weil er glaubte, du wärst der geeignetste, fähigste von uns.«

      »Schluss damit, Leif.« Wulf war es leid. »Wir werden uns in dieser Sache nie einig sein. Geh hinein und feiere, trink einen Met für mich und sieh zu, dass sich unser Bruder Harold nicht besinnungslos säuft.«

      »Es ist gut, dass du wieder hier bist, Wulf«, sagte Leif ernst.

      »Du bist einer der wenigen, der so denkt.«

      »Täusch dich nicht. Viele wagen nicht zu sprechen ...«

      »Ich täusche mich nicht in dir und meinte, was ich in der Halle sagte.« Wulf sah seinen Bruder durchdringend an. »Du denkst die Wahrheit, willst sie aber nicht sagen.«

      Leif kannte den Blick seines Bruders und nickte leicht.

      »Wirst du morgen am Strand sein?«, fragte er ihn abschließend. Zum ersten Mal an diesem Abend trat ein milder Ausdruck in Wulfs Gesicht.

      »Von jetzt ab jeden Tag, Leif, jeden Tag. Davon habe ich über fünfzehn Jahre geträumt.«

      »Ich werde hinunterkommen und dich besuchen. Die Schiffsbauern erwarten dich freudig.«

      »Diesen Männern, Leif, glaube ich es.«

      »Wulf?«

      Robyn bemerkte, dass der Bruder ihres Retters sie musterte. Wulf folgte seinem Blick.

      »Ihr habt sie wirklich aus dem Meer gefischt?«

      »So wahr sie dort steht.«

      »Die Leute reden schon jetzt über sie.«

      »Die Leute sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern.«

      Einen Moment war es still. Ihr Atem stieg dampfend in die Winternacht auf. Der Wind strich leise durch die nahe gelegenen Nadelbäume.

      »Eine Nixe«, sagte Leif, fast ehrfürchtig.

      Gerade in diesem Augenblick schwoll das Dröhnen in Robyns Kopf wieder unerträglich an. Sie stöhnte leise und drehte sich zum Pferd hin, um ihnen ihren Schmerz nicht zeigen zu müssen.

      »Bis morgen.« Leif wandte sich ab und ging langsam zur Halle zurück. Wulf nickte nur, hob Robyn mühelos in den Sattel und achtete nicht auf ihr Unbehagen.

       8.

      Du wirst noch eine Weile ausharren müssen, Nixe.« Mit Leichtigkeit hatte Wulf sich ebenfalls in den Sattel geschwungen.

      Robyn hörte seine Worte kaum. Sie krallte sich an seinem Umhang fest, musste sich an ihn lehnen, um wieder Herr über den Schmerz zu werden. Er ließ sie gewähren und zügelte das Pferd, das wie er nach Hause drängte.

      Nach einer Weile entkrampfte Robyn ihre Hände. Wieder hatte der Schmerz nachgelassen. Sie würde in den nächsten Tagen versuchen, sich weniger abrupt zu bewegen. Sie öffnete die Augen, ohne ihren Kopf zu heben, und betrachtete in der Dunkelheit die Häuser der Nordmenschen. Einfache Häuser, aber stabil und dem Wetter trotzend. Manchmal schlich ein Schatten um sie, doch sie war sich nicht sicher, ob sie Mensch oder Tier beobachtete. Die Abstände der Häuser wurden größer, umso dichter die Bäume wuchsen. Sie hatten den Wald erreicht, der sie mit unheimlicher Stille empfing, nur das Stapfen des Pferdes war zu hören. Dann aber sah Robyn wieder Schatten, hinter den Bäumen. Diesmal glaubte sie zu irren.

      »Wachen«, meinte ihr Retter, der ihrem Blick gefolgt war, »die uns vor unseren eigenen Leuten schützen sollen. Vor jenen, die dich raubten.«

      Robyn verstand noch immer nicht, was hier vorging. Befanden sich die Nordmenschen im Zwist mit ihresgleichen? Mit anderen Nordmenschen, die einmal zu ihnen gehört hatten? Einen anderen König hatten? Der kinderlos war? Der verstoßen worden war? Von jenem Rotschopf, dem sie misstraute?

      Es verging einige Zeit. Zeit, die Robyn an ihrem Retter lehnte. Ihrem Ehemann. Sie würde keine Sklavin sein. Er hatte sein Versprechen gehalten. Aber sie würde die Frau eines zornigen Mannes werden. Dem eine Frau aufgezwungen worden war. Und nun eine zweite. Und sie wäre die Frau eines Mannes, der Anspruch auf den Thron hatte. Einen Thron, den er nicht haben wollte. Genauso wenig haben wollte wie sie als Ehefrau.

      Begriff sie überhaupt, was passiert war? Wie konnte sie? Sie saß fast gelassen vor ihm auf dem Pferd, ihr Kopf Halt suchend an ihm, ihre Hände in seinen Mantel verschlungen. Was würde er tun, wenn sie in seinem Haus ankamen? Würde er sie schlagen? Ihr Gewalt antun? Oder sie ignorieren?

      Ein Ruck ging durch den Pferdekörper.

      »Pass auf.« Er ließ sie zuerst vom Pferd heruntergleiten. Sie hielt sich an der Mähne fest und sah sich um. Das Haus auf der anderen Seite des Pferdes war fast zugeschneit. Um es herum standen Tannen, die ihre schneebedeckten Zweige tief hängen ließen. Weitere Häuser konnte Robyn in der Nähe nicht ausmachen, der Weg vor ihr führte weiter in den Wald hinein. Weit konnte sie jedoch nicht sehen, die Dunkelheit und mit ihr der helle Schnee verschluckten Formen und Bewegungen.

      Ihr Retter nahm das Pferd nicht wie erwartet mit zum Haus. Er wies es an, zu verweilen, was das mächtige Tier ohne Ungeduld akzeptierte. Jemand hatte scheinbar den Weg zum Haus etwas geräumt. Sie erreichten die Tür mühelos, Wulf schob sie auf, trat zuerst ein und wartete, dass sie ihm folgte.

      Robyn war überrascht. Wärme stieg ihr entgegen. Das leichte Glühen der Feuerstelle strahlte noch genügend Wärme aus, um sie selbst an der Tür zu spüren. Doch das Haus war leer. Als hätten Geister gewirkt, um es wohnlich zu machen.

      Wulf legte ohne Verzug etwas Holz nach und ging dann im Raum umher. Robyn verfolgte sein Tun. Er schüttete Wasser aus einem Eimer in einen Topf, den er ins Feuer stellte. Auf seinem Lager rechts türmten sich Felle und Decken, säuberlich gelegt, desgleichen Kleidung, von der er ein Hemd hervorzog, um es auf die Bank neben dem Feuer zu legen. Dann schritt er hinter das Feuer auf den Tisch zu. Dort lagen einige Bündel, die er kontrollierte. Dann sah Robyn, dass er Met in ein Horn einschenkte und damit auf sie zukam. Er überragte sie um mindestens einen Kopf, doch sie erwiderte seinen Blick furchtlos.

      »Es ist Brauch, dass Mann und Frau am Tage ihrer Hochzeit aus einem Horn trinken.« Er gab ihr das Horn in die Hand. »Trink, Nixe. Auch diesem Ritual müssen wir uns beugen.«

      Robyn setzte an, vorsichtig, um keine Schmerzen auszulösen, nahm jedoch einen tiefen Schluck und schloss die Augen, da sie plötzlich Durst und Hunger verspürte. Der Met verteilte sich angenehm auf ihrer Zunge. Dem Anlass zum Trotz trank sie einen weiteren langen Schluck und gab


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