Im Schatten des Wolfes. H.E. Otys

Im Schatten des Wolfes - H.E. Otys


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Zudem fehlt ihnen der Respekt vor Frauen.«

       »Respekt vor Frauen«, wiederholte sie, ohne sich umzuwenden. Der Nordmann bereitete ihr selbst in dieser Entfernung eine Gänsehaut. Er sprach ihre Sprache fließend, roch nach herber Seife und gutem Wein. Sie wusste plötzlich, wer jenen Wein bevorzugte, den sie selbst hinübergebracht hatte.

       »Respekt«, sagte sie nochmals. Sie hatte es geflüstert und trotzdem nicht gemerkt, dass er direkt hinter sie getreten war.

       »Es scheint, dir ist bisher wenig Respekt von Männern entgegengebracht worden.« Seine Stimme klang nicht länger klar, ein Unterton schwang darin, leise, rau. Die Kerze flackerte kurz, dann erlosch sie. Sie bemerkte den Hauch der Atembewegung, als er sie ausblies.

       Sie konnte sich nicht rühren. Wie zuvor. Sie stand nur da.

       »Du solltest zumindest wissen, dass es Männer gibt, die euch sehr wohl Respekt entgegenbringen.« Während er das sagte, strich er das Haar aus ihrem Nacken und legte es vorn über ihre Schulter. Bei seinen nächsten Worten spürte sie seine Lippen auf ihrem Nacken, spürte, wie seine Barthärchen die Liebkosung begleiteten.

       »Und du solltest es nicht vergessen, wenn du einem Mann einmal gehörst.«

       Seine Arme legten sich um ihre Taille, zogen sie an ihn. Sie ließ es geschehen, lauschte seinen Worten, verfolgte seine Berührung. Sie hatte keine Angst. Vor diesem einen Mann nicht. Sie ließ zu, was kein anderer je gewagt hatte, was kein anderer je hätte tun dürfen.

       »Männer wie ich nehmen sich niemals das, was eine Frau ihnen nicht freiwillig schenkt.«

       Ihr Kopf legte sich auf seinen Oberarm, ihr Hals hieß seine Lippen willkommen, während seine Hände nach oben wanderten, den Ansätzen der sanften Wölbungen unter dem Webstoff des Kleides folgten.

       »Jene anderen Männer werden nie in eure Seele schauen dürfen, merk dir das.« Er drehte sie langsam zu sich, nahm ihr Gesicht in beide Hände. Nichts vermochte die Dunkelheit zu durchdringen, weder ihre Gesichtszüge, noch ihre Haarfarbe oder die Farbe ihres Kleides. Nichts gab sie preis. Aber das Gefühl, das beide in Gegenwart der vielen Nordmänner beschlichen hatte, konnte die Dunkelheit durchbrechen.

       »Ich zeige dir Respekt«, sagte er.

       Wie von selbst öffneten sich ihre Lippen etwas, ließen den seinen ihren Willen, mehr noch, unterwarfen sich ihnen. Er atmete lang aus, eine jede Spannung schien den Hünen zu verlassen. Er genoss und sie wusste ganz plötzlich, was er meinte. Sie öffnete sich ihm, ohne sich selbst aufzugeben.

       Der Nordmann bemerkte es, fühlte ihre Gedanken, wusste, er hatte erreicht, was er wollte. Er erhielt jene Antwort, die er begehrte, stellte trotzdem überrascht fest, dass ihm dieses Mädchen mehr gab als all jene vor ihr. Er bedauerte, dass Welten zwischen ihnen lagen.

       Sie stellte sich unverhofft auf die Zehenspitzen und legte ihre Arme um ihn. Ihre Lippen antworteten den seinen sanft, ohne jede Hast, unverfälscht. Eine ewige Zeit. Sie beide genossen. Vergaßen, wo sie waren, wer sie waren, gaben sich einzig dem Gefühl hin.

       Ungern trennte er sich dann von ihren Lippen.

       »Bei den Göttern, ich wünschte, ich könnte dies hier zu Ende führen«, hauchte er in ihren Nacken und presste sie an sich.

       »Gott schütze dich, Nordmann«, flüsterte sie in sein Ohr. »Ich werde niemals vergessen.«

       »Suche jenen Mann, der dir gibt, was du verdienst. Suche ihn sorgfältig.«

       Sie hielt sich wie zuvor an der Tischkante. Der Luftzug der herunterfallenden Vorhänge umgab sie. Er war fort.

      Robyn schnappte nach Luft, Schmerzen durchfuhren ihren kältesteifen Körper. Schmerzen, die sie nie derart erfahren hatte. Nicht in all den Jahren. Wer war sie? Warum hatte sie als vierjähriges Mädchen inmitten einer unwirtlichen Steinwüste gestanden? Warum hatte ihr Vater das zugelassen?

      Sie wimmerte auf, Tränen mischten sich auf ihren Wangen mit dem Salzwasser, das sie nur zu gern verschlingen wollte. Doch der Arm hielt sie fest. Die Präsenz des Nordmannes, der zwischen ihr und dem nassen Grab stand, war keine Einbildung. Kein Trugbild. Für einen Moment schloss sie die Augen.

      Sie würde nie erfahren, wer jener Nordmann gewesen war. Warum hatte er ihr jene Erinnerung bereitet? Was hatte ihn bewogen, ihr an diesem Abend einen Glauben einzupflanzen, den sie nur zu bereitwillig aufnahm? Sie hatte nie einen solchen Mann getroffen.

      »Es wird dir bei uns besser ergehen als bei jenen, die dich deiner Familie entrissen.«

      Robyn brauchte eine Weile. Die Worte drangen nur langsam zu ihr vor. Dann begriff sie. Der Nordmann hatte zu ihr gesprochen. Sie drehte ihren Kopf langsam, zwinkerte im Sonnenlicht.

      »Ich kann dir nicht das Paradies versprechen. Nur eines ...«

      Robyn fühlte den Druck seiner Arme. Er würde sie nicht gehen lassen.

      »Du wirst keine Sklavin sein.«

      Wie konnte sie weiterleben wollen? Wenn nicht als Sklavin, als was dann? Was war mit all ihren Fragen? Wie würde sie je eine Antwort darauf erhalten?

      Sie wandte sich ab, blickte auf die See, die ruhige See. Sie lag vor ihr, ließ in ihr die Hoffnung aufkeimen, dass sie irgendwo dort am Horizont die Antworten zu all ihren Fragen finden würde.

      Wulf spürte, dass sie nach seinen Armen griff, doch ehe er feststellen konnte, ob sie sich von ihm befreien wollte oder die Ausweglosigkeit ihrer Situation zuließ, sank sie in sich zusammen. Er verhinderte ein erneutes Abgleiten unter Wasser, in dem er sie nach hinten kippen ließ, um mit ihr zum Schiff zu schwimmen.

       Der Rauch quoll um alle Häuser am Strand. Sie floh, hielt ihre Röcke mit eiserner Hand fest, um nicht über sie zu fallen. Der sandige Boden ließ sie straucheln, sie fiel, spuckte den Sand aus, schluckte den Rest hinunter, nur um wieder auf die Beine zu kommen und weiterlaufen zu können.

       In dem Durcheinander suchte sie ihren Vater. Etwas sagte ihr, er würde sich wie die anderen flüchtenden Menschen in das Wäldchen nahe dem Kloster zurückziehen. Dort war es unwegsamer, die Bäume und vereinzelten Sträucher boten mehr Schutz vor den raubenden und plündernden Nordmännern.

       Ihr Vater würde mit den Mönchen und den anderen Bewohnern dort auf sie warten. Und abwarten. Die Nordmänner hatten, was sie wollten, zogen sich zum großen Teil bereits auf ihr Schiff zurück mit Gold, Wolle, den Vorräten des Klosters, insbesondere dem wertvollen Honig. Sie trugen ihre Beute nahezu ohne Gegenwehr der Menschen auf ihr Schiff, das am Strand lag und unheilvoll umwoben wurde vom Rauch der angezündeten Hütten und des flammenden Klosters.

       Sie hörte die Nordmänner brüllen. Das Drachenboot wurde bereits ins Wasser geschoben, sie stemmten sich gegen die Planken, übergaben es der See. Verloren keine Zeit. Das Unheil, welches sie hinterließen, rief kein Mitleid in ihnen wach. Eine Pranke umfasste im Laufen ihren Hals, drückte ihr die Luft ab. Sie krallte sich in die Hemdsärmel des Nordmannes, der sie festhielt. Sie würgte an ihrem aufsteigenden Mageninhalt. Sein Blick war durchdringend, als er sie von oben bis unten betrachtete. Sie verstand augenblicklich. Er besah sich seine Ware. Sie fühlte, wie der Schock sie lähmen wollte, sie erkalten lassen wollte. Doch als der Nordmann sie mühelos über seine Schulter legte, holte sie aus tiefster Seele Luft und schrie, dass selbst die Nordmänner, die am Strand warteten, aufsahen.

       »Vaaaaaaaateeeeeeeer ...« Sie wollte nicht so aufgeben, nicht ohne ihren Schmerz und ihre Verzweiflung herausgerufen zu haben. »Vaaaaaaateeeeeer ...«

       Sie sah zurück auf das Wäldchen, im Dunst der Feuer


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