Hoffnung, die uns trägt. Rolf Pöhler
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Hoffnung, die uns trägt
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Liebe und Erbarmen, du hast Geduld, deine Güte kennt keine Grenzen.“ (Jona 4,2
GNB; vgl. 2 Mo 34,6f.) In grundlegender Übereinstimmung mit der Gottesoffen-
barung im Alten Bund, doch in unübertroffener Klarheit und Anziehungskraft,
macht das Neue Testament ein Dreifaches über diesen Gott deutlich.
Gott ist ein „Du“
Gott ist nicht nur die Energie, die alles durchströmt, oder der Geist, der alles
Lebendige erfüllt. Im Gegensatz zur pantheistischen Vorstellung vom göttlichen
Sein sieht die Bibel in Gott das personale Gegenüber des Menschen, das mit seinen
Geschöpfen kommuniziert (1 Mo 3,8f.; 2 Mo 33,11), sich mit ihnen partnerschaft-
lich verbindet (Joh 14,12-14; Offb 5,10; 20,4-6) und in eine persönliche Lebens-
beziehung zu ihnen eintritt (Joh 17,3; 1 Joh 1,1-3).
Für uns Menschen bedeutet das, dass wir nicht nur an ihn glauben, sondern dass
wir ihm glauben, das heißt, ihm vorbehaltlos vertrauen dürfen und ihn deshalb
jederzeit und direkt im Gebet ansprechen können. Dies ist wahrscheinlich auch die
ursprüngliche, aus dem Indogermanischen stammende Bedeutung des Wortes
Gott: „der Angerufene“. Was immer wir über den großen Unbekannten sagen oder
auch nur schweigend erahnen mögen – Gott ist das große „Du“, mit dem ich eine
persönliche und freundschaftliche Beziehung pflegen kann!
Gott ist heilig
Wie bedeutsam, ja geradezu heilsam diese Nähe Gottes für uns Menschen ist,
wird nicht zuletzt an der Heiligkeit Gottes deutlich, die im Alten Testament häufig
hervorgehoben und im Neuen Testament im Sinne der Hoheit (Offb 4),
Unergründbarkeit (Röm 11,33-36) und Unnahbarkeit Gottes (1 Tim 6,16) verstan-
den und bestätigt wird. Das eigentlich Unfassbare und Wunderbare aber ist, dass
sich dieser heilige Gott dem Menschen liebevoll und rettend zuwendet. Seine
Heiligkeit zeigt sich gerade nicht – wie man vermuten könnte – in isolierter
Erhabenheit und unüberwindlicher Distanz, sondern in echter Zuwendung und lie-
bevoller Annäherung an seine sündigen und erlösungsbedürftigen Geschöpfe (Jes
6,1-7; 57,15).
Als „der Heilige Gottes“ verkörperte Jesus in einzigartiger und eindrucksvoller
Weise diese grundlegende göttliche Wesenseigenschaft (Mk 1,24; Lk 4,34; Joh
6,69). Für seine Nachfolger, die ebenfalls zur Heiligkeit gerufen sind (Eph 4,24;
1 Ths 3,13; Hbr 12,10), kann dies darum nicht heißen, sich in ein frommes Ghetto
fernab der sündigen Welt und der real existierenden Gesellschaft zurückzuziehen.
Vielmehr soll die Gemeinde Jesu der Welt die Vergebungsbereitschaft und bestän-
dige Liebe Gottes bezeugen und glaubhaft vorleben.
Gott ist gerecht
Ein weiterer grundlegender, aber ebenfalls häufig missverstandener Begriff, der
das Wesen Gottes treffend beschreibt, ist das Wort „Gerechtigkeit“. Damit meint die
Bibel nicht – wie im abendländischen Rechtsverständnis – den verdienten Ausgleich
und die neutrale Haltung strikter Unparteilichkeit, wie dies in den zwei Waagschalen
sowie den verbundenen Augen der römischen Göttin Justitia zum Ausdruck kommt.
Im Gegenteil: Der gerechte Gott ergreift stets eindeutig Partei! Er tritt entschieden für
die Entrechteten und Unterdrückten, die Armen und Elenden sowie für alle ein, die
seinen Namen anrufen (Jes 11,4; 41,10).
Gottes Gerechtigkeit steht deshalb auch nicht im Gegensatz zu seiner Liebe, Gnade
und Barmherzigkeit. Vielmehr ist sie ein Ausdruck seiner Treue zu dem Bund, den er
mit seinem Volk geschlossen hat. Dass die Gerechtigkeit, die uns im Evangelium
angeboten wird, nicht die strafende Vergeltung, sondern die rettende Liebe Gottes
meint (Röm 1,16f.), war die geradezu umwerfende Entdeckung Luthers, die ihn zum
Reformator der Christenheit machte. Echte geistliche Erneuerung hat immer auch
mit unserem Gottesbild zu tun. Sie nimmt uns die Angst vor dem vernichtenden
Urteil des strafenden Weltenrichters und weckt stattdessen tiefe Dankbarkeit, Liebe
und Zuneigung zu dem großen „Vater unser im Himmel“ (Mt 6,9).
Ein väterlicher Gott
Handelt es sich bei dem hier skizzierten biblischen Gottesbild – wie bei den zahl-
reichen anderen religiösen, philosophischen und theologischen Gottesvorstellun-
gen gleichermaßen – um ein Produkt menschlicher Weisheit und religiöser
Sehnsucht oder bietet uns die Heilige Schrift tatsächlich eine zutreffende Beschrei-
bung der jenseitigen göttlichen Wirklichkeit an?
Letztlich ist dies eine Frage des Glaubens, die nicht allein auf der Grundlage ratio-
naler Argumente und konkreter Erfahrungen entschieden werden kann. „Wir glau-
ben immer das, was wir wollen“, wusste schon der griechische Denker Demosthe-
nes. Deshalb werden wir uns stets für das Bild von Gott entscheiden, das unsern
tiefsten Sehnsüchten (bzw. Ängsten) entspricht. Worauf es am Ende allerdings
wirklich ankommt, sind nicht unsere subjektiven Vorstellungen und religiösen
Spekulationen über Gott. Entscheidend ist vielmehr, ob bzw. dass der Ewige und
Unfassbare sich in Jesus Christus persönlich vorgestellt und durch den Heiligen
Geist sein wahres Wesen offenbart hat.
In einem Kinderlied, das sich mir in frühen Lebensjahren eingeprägt hat, heißt
es einfach und lapidar: „Gott ist gut, wir sind seine Kinder.“ Ist damit nicht bereits
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