Wölfe im Schafspelz. Edin Løvås

Wölfe im Schafspelz - Edin Løvås


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mit Jesus reden, sondern Jesus betrachten und innerlich erleben!

      Jeden Morgen vor dem Frühstück wird in Sandom Abendmahl gefeiert, was für freikirchlich geprägte Menschen recht ungewöhnlich ist. Zwei Stunden körperliche Arbeit gehören ebenso zum Tagesrhythmus wie die Möglichkeit, in der herrlichen Fluss- und Waldlandschaft spazieren zu gehen. Während der schweigend eingenommenen einfachen Mahlzeiten hört man klassische Musik. Abends trifft man sich am offenen Kamin zum Austausch. Viele Menschen suchen im Lauf dieser Woche das seelsorgerliche Gespräch oder legen eine „Lebensbeichte“ ab. Gedrängt oder aufgefordert wird zu nichts. In Sandom soll der Heilige Geist durch Stille, Wort und Sakrament selbst wirken.

      Als Leiter des volksmissionarischen Lorenzer Ladens in Nürnberg bin ich jahrelang jeden Sommer mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, aber auch mit „Suchenden“ in Norwegen gewesen. Abschluss und Höhepunkt dieser Freizeiten war jeweils eine Meditationswoche in Sandom. Jedes Jahr habe ich miterlebt, wie junge Menschen dabei geistlich erneuert wurden. Niemand blieb von Sandom unberührt. Für mich persönlich gehören die Wochen in Edin Løvås' Einkehrhaus zu den wichtigsten Erfahrungen meiner geistlichen Biographie. Aus der Quelle Sandom bezogen wir in den ersten schwierigen Aufbaujahren in Nürnberg einen nicht unerheblichen Teil unserer geistlichen Kraft. Es gibt in meiner „geistlichen Geographie“ ein paar „heilige Orte“. Sandom ist wohl der wichtigste.

      Mittlerweile sind in Norwegen zwei weitere Einkehrzentren dazugekommen, der Thomashof an der schwedischen Grenze in Südnorwegen und der Lia-Hof für Familienfreizeiten. All das ist aus privater Initiative entstanden, trägt sich selbst, vor allem auch durch Spenden aus einem großen Freundeskreis, und wirkt weit in alle christlichen Kirchen und Gemeinschaften Skandinaviens hinein.

      Vielleicht ist es sinnvoll, ein paar Sätze zur kirchlichen Situation in Norwegen zu sagen, um dem Leser und der Leserin zu helfen, das vorliegende Büchlein besser einzuordnen. In Norwegen gibt es eine große lutherische Staatskirche und starke lutherische Organisationen, vergleichbar unseren „landeskirchlichen Gemeinschaften“ und Missionsgesellschaften, die zwar innerhalb der Kirche arbeiten, aber dennoch selbständig sind. Sie legen großen Wert auf das Engagement von Laien und sind missionarisch und evangelistisch ausgerichtet. Daneben gibt es zahlreiche Freikirchen, die teils evangelikal-pietistisch, teils pfingstlerisch geprägt sind, und eine sehr kleine römisch-katholische Kirche.

      Norwegens Christenheit wird von drei markanten Frömmigkeitstypen bestimmt: dem lutherisch-staatskirchlichen mit gelegentlich hochkirchlichen Einflüssen, dem pietistischen und dem charismatischen. Die Christusmystik der Retreat-Bewegung, die auf Edin Løvås zurückgeht, stellt im Grunde einen vierten Typus dar, fühlt sich aber mit allen drei erstgenannten Typen verbunden. Edin Løvås sieht seine Lebensaufgabe darin, eine Kultur der Einkehr und Stille bei Christus in alle christlichen Kreise zu tragen. Nur aus der Stille, so glaubt er, können wirkliche Evangelisation und Erweckung kommen. In seinen jungen Jahren hatte Edin Løvås einen starken geistlichen Impuls, der ihn lebenslang begleitet hat: „Unsere Zeit braucht Christusjünger!“ Es ist das Ziel seiner gesamten Evangelisations- und Meditationsarbeit, Menschen zu befähigen, dem lebendigen Christus nachzufolgen. „Christus ist über allem, überall und bei allen“ ist sein Motto, Ausgangspunkt und Grundsatz für missionarische Verkündigung. So heißt denn auch die neue Zeitschrift, die er mit herausgibt, OVER ALT (kann als „überall“ oder „über allem“ übersetzt werden).

      In den letzten Jahren hat es in Norwegen eine sehr starke geistliche Gemeindeerneuerungsbewegung gegeben (Oase-Bewegung). Diese Bewegung ist charismatisch beeinflusst und ökumenisch offen, grenzt sich aber deutlich von fundamentalistischen und neopfingstlerischen Strömungen amerikanischer Prägung ab. Daneben hat sich – aus den USA und von England kommend – eine andere Bewegung ausgebreitet, die sich „Glaubensbewegung“, „Herrlichkeitstheologie“ oder „Fortschrittstheologie“ nennt. Diese Bewegung lehrt unter anderem, dass Kinder Gottes das Anrecht auf irdischen Wohlstand und diesseitiges Wohlergehen haben. Auf diesem Boden entstehen Gruppen und Gemeinden ohne demokratische Ordnung und Kontrolle. Sie sammeln sich um starke, angeblich direkt von Gott berufene Führergestalten, die ihre Mitarbeiter und Mitleiter selbst bestimmen. Das vorliegende Buch von Edin Løvås hat gerade in den letztgenannten Kreisen manches bewirkt. Es hat unter anderem dazu geführt, dass einige bekannte Führerfiguren als „Machtmenschen“ entlarvt und von ihren Gemeinden abgesetzt wurden! Zugleich hat es vielen Ehefrauen und einigen Ehemännern geholfen, deren Ehe eine Hölle von Unterdrückung und Gewalt war.

      Wo Menschen beieinander sind, entsteht die Machtfrage. Das gilt innerhalb der Kirche und des Christentums genauso wie in der „Welt“. Es gibt „starke“ Menschen, die ihre Umwelt aufgrund ihrer Begabung, ihrer Ausstrahlung, ihrer Kompetenz, ihrer Rednergabe oder anderer Eigenschaften prägen und beeinflussen. Es gibt „schwache“ Menschen, die meist passiv sind und sich leicht beeinflussen lassen. Im Extremfall führt das dazu, dass es Führer und Geführte gibt, Menschen, die bestimmen, und Menschen, die gehorchen. Es gibt schlimme Formen des Machtmissbrauchs, nicht nur in der Politik, sondern auch in christlichen Gemeinden, Kreisen und Familien. Edin Løvås legt im vorliegenden Buch den Finger auf diesen wunden Punkt.

      Menschen, deren Stimme immer wieder unterdrückt wurde, verstummen irgendwann von selbst. Ich glaube, dass dieses Buch eines erfahrenen Seelsorgers dazu beitragen kann, stumm gemachten Kindern, Ehefrauen und Gemeindegliedern Mut zu geben, den Mund aufzumachen und die Dinge beim Namen zu nennen. Es ist keine christliche Tugend, sich unterdrücken zu lassen und dazu zu schweigen! In der norwegischen Christenheit jedenfalls hat dieses Buch klärend und befreiend gewirkt. Das wünsche ich ihm auch für den deutschsprachigen Raum.

      Andreas Ebert

      Nach 40 Jahren seelsorgerlicher Arbeit bin ich entsetzt darüber, welches Ausmaß von Leiden durch Machtmenschen einzelnen Christinnen und Christen und christlichen Gruppen und Gemeinden zugefügt wird. Ich bin zugleich bestürzt darüber, dass in christlichen Kreisen und selbst unter sachkundigen Fachleuten über diese Dinge nicht offen und ehrlich geredet wird.

      Was sagen christliche Psychiater und Therapeuten? Wie verhalten sich Seelsorger? Was weiß man bei kirchlichen Beratungsstellen? Welche Antworten bekommt man bei der Telefonseelsorge? So weit ich Einblick habe, scheinen die Opfer von Machtmenschen selten ernst genommen zu werden. Vielfach werden sie – wenn sie es endlich wagen, Hilfe zu suchen – schon beim ersten Anlauf abgewiesen; und ihre Unterdrücker wissen das!

      Im 2. Korintherbrief erwähnt Paulus „falsche Apostel“; er beschreibt, wie gelähmt die Gemeinde und ihre Leiter im Verhältnis zu diesen Menschen sind: „Ihr nehmt es hin, wenn euch jemand versklavt, ausbeutet, gefangen hält, auf euch herabsieht und euch ins Gesicht schlägt“ (2. Kor. 11,20).

      Genau dies geschieht auch heute mit vielen unserer Brüder und Schwestern in Christus in Familien, christlichen Gruppen und Gemeinden. Immer wieder habe ich mich gefragt: Müssen sich die Pastoren und „Hirten“ der Gemeinde nicht ganz besonders der Opfer dieser Machtmenschen annehmen? Es steht ja geschrieben: „Weidet die Herde Gottes, die euch anvertraut ist, und habt auf sie Acht!“ (1. Petr. 5,2.) Es steht auch geschrieben, dass wir uns der Schwachen annehmen sollen (1. Thess. 5,14) und dass wir, „die wir stark sind, das Unvermögen der Schwachen tragen“ sollen (Röm. 15,1).

      Mir scheint, dass dieses sehr ernste Problem in einem diffusen Nebel liegt. Die Träger von Leitungsverantwortung reagieren an diesem Punkt meist wie gelähmt. Ich vermute, dass die Hirten mitunter genauso viel Angst haben wie die Herde. Sollte das zutreffen, will ich niemandem Vorwürfe machen; denn nichts – außer Satan selbst – ist so angsterregend wie die Situation, die entsteht, wenn irgendwo solche „reißenden Wölfe“ (Apg. 20,29) eindringen.

      Der Einstellung, das Menschenbild und die Haltung des Machtmenschen werden in erster Linie davon bestimmt, dass er auf Macht aus ist. Er kennt nichts Schöneres, als zu herrschen. Machtmenschen haben den unbändigen Drang, die Herzen und Gedanken anderer zu lenken. Christliche Gemeinden und Kreise sind Bereiche, wo sie diesem Bedürfnis meist ungehindert nachgehen können.

      Machtmenschen


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