Wie Schneeflocken im Wind. Denise Hunter

Wie Schneeflocken im Wind - Denise Hunter


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ihr jetzt die Tränen kamen, blinzelte sie sie weg und saugte den warmen Blick seiner schokoladenbraunen Augen auf. Dabei merkte sie, dass dieser Blick nicht mehr mitleidig war, sondern einfach mitfühlend.

      SIEBEN

      Die Frau um die sechzig, die in dem provisorischen Schlafzimmer in einem Doppelbett lag, schaute Eden finster an. Sie hatte silbergraues Haar, ein schmales Gesicht und auffällig blaue Augen. Um die Augen herum hatte sie ein Gespinst aus feinen Fältchen, aber die beherrschenden Linien in ihrem Gesicht waren die beiden senkrechten Falten zwischen ihren spärlichen Augenbrauen. Ihr eines Bein war eingegipst und lag steif und klobig auf dem hellblauen Bettlaken.

      „Wer ist denn das?“, fragte Miss Trudy missmutig.

      Beau lächelte Eden entschuldigend an und sagte dann zu seiner Tante: „Also wirklich, Tante Trudy, so kannst du doch nicht mit einem Gast umgehen! Kate wird uns den Haushalt führen, und es wäre vielleicht klüger, ein bisschen netter zu ihr zu sein.“

      Daraufhin wurde Miss Trudys Blick noch finsterer, und sie fragte: „Ihr habt einen Babysitter für mich engagiert?“

      „Jetzt sei doch nicht albern“, sagte Beau. „Wieso sollten wir denn für dich einen Babysitter engagieren? Das ist Kate – und jetzt stelle ich gerade fest, dass ich Ihren Nachnamen noch gar nicht kenne.“

      „Du hast also eine völlig unbekannte Person als Babysitter für mich eingestellt?“, fragte Miss Trudy empört.

      Bei dem barschen Tonfall der Frau drückte sich Micah immer fester an Eden.

      „Bennet“, sagte Eden auf Beaus Bemerkung und spürte, wie sie unter dem prüfenden Blick der älteren Dame rot wurde.

      „Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Trudy. Das hier ist mein Sohn Jack“, stellte sie sich und den Kleinen vor.

      „Er bringt sicher ein bisschen Leben ins Haus, wenn ich bei der Arbeit bin“, sagte Beau.

      „Ja, großartig! Bettruhe, Schmerzen und einen lärmenden Jungen im Haus. Genau, wie es der Doktor verordnet hat“, bemerkte die Frau mit Zynismus in der Stimme.

      Beau warf Eden einen entschuldigenden Blick zu und sagte: „Tut mir leid. Normalerweise ist sie nicht so unleidlich. Na ja, eigentlich doch, aber sie hat einen weichen Kern. Man muss nur ein wenig graben, um ihn zu finden.“

      Die Farbe, die ihr zu der direkten Art von Beaus Tante sofort in den Sinn kam, war Indigo. „Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen“, sagte sie.

      Beau überreichte ihr die Entlassungspapiere der Klinik mit den Anweisungen für zu Hause und sagte: „Miss Trudy soll nichts Schweres heben, aber daran wird sie sich nicht halten, und deshalb sollen Sie sie daran hindern, sich zu überanstrengen. Sie hat in der Klinik zwar Krücken bekommen, aber ich weiß nicht, wie sie damit zurechtkommt.“

      „Ach, das bekommen wir schon hin. Mi … also mein Sohn hat sich auch einmal das Bein gebrochen, als er drei war. Wenn ich einen drei Jahre alten Jungen dazu bringen kann, sich ruhig zu verhalten, dann schaffe ich das bei Ihrer Tante bestimmt auch“, versicherte sie.

      „Das habe ich gehört!“, war Tante Trudys empörte Stimme durch die Wand zu hören. „Ich bin kein Kind mehr, merkt euch das.“

      Ups. Eden biss sich auf die Unterlippe.

      Beau senkte die Stimme und sagte: „Ich hätte Sie warnen sollen. Sie hat ein geradezu bionisches Gehör.“

      Eden musste über das Gesicht lachen, das er dabei machte, und ihr Lachen klang sogar für ihre eigenen Ohren ziemlich eingerostet.

      „Wenn es Ihnen gelingt, sie aus der Küche fernzuhalten“, fuhr Beau leise fort, „dann grenzt das an ein Wunder. Sie ist nämlich eine Art Kontrollfreak, und die Küche ist auf jeden Fall ihr Hoheitsbereich.“

      „Okay, ich soll sie aus der Küche fernhalten. Kapiert. Sonst noch etwas?“

      „Es sieht im ganzen Haus total chaotisch aus, und die Lebensmittelvorräte sind aufgebraucht, weil es hier in der Zeit, seit sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde, unglaublich hektisch zugegangen ist. Wir sind also mit allem zufrieden, was Sie uns zum Abendessen zaubern“, erklärte er.

      „Verstanden“, sagte sie darauf nur.

      Dann blätterte er einen Stapel Papiere durch, die in der Küche auf einer Ablage lagen, und gab ihr ein Blatt davon. Es war das W-4-Formular, die Vollmacht des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, die Steuer direkt vom Lohn abzuziehen und abzuführen. Als sie es sah, wurde ihr ziemlich mulmig zumute.

      „Bitte füllen Sie das doch bei Gelegenheit aus, ja?“, bat Beau sie.

      „Sonst noch etwas?“, fragte sie rasch, um die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen.

      „Wo ist mein Strickkorb?“, rief Miss Trudy in dem Moment. „Und was ist das für ein Geruch? Es stinkt nach Babykotze.“

      Als Eden Beau daraufhin fragend ansah, zwinkerte er ihr erheitert zu, und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin sofort bei Ihnen, Miss Trudy“, rief sie zurück.

      „Ihre Stricksachen sind wahrscheinlich in der Tasche, die sie aus dem Krankenhaus mitgebracht hat“, sagte Beau. „Ich muss noch ein paar Stunden nach draußen und arbeiten, aber Sie können mich immer auf dem Handy erreichen.“ Er schrieb ihr die Nummer auf einen kleinen Zettel und sagte dann noch: „Ich lasse Ihnen auch Zacs und Rileys Nummer da, aber rufen Sie bitte immer zuerst mich an. In der Schreibtischschublade liegt Geld für Notfälle.“ Er zog die Schublade auf und zeigte ihr einen kleinen Packen Zwanzigdollarscheine, der zwischen Stiften und Rechnungen lag. „Wenn Sie einkaufen gehen wollen, sagen Sie mir bitte Bescheid, dann gebe ich Ihnen Geld. Sie können Tante Trudys Wagen benutzen – hier sind die Schlüssel. Riley und ich kommen gegen sechs nach Hause. Manchmal kommt auch Zac zum Essen vorbei, aber normalerweise nicht. Jack und Sie sind natürlich herzlich eingeladen, mit uns zu essen.“ Er legte einen Scheck auf den Tisch und fuhr fort: „In Anbetracht der besonderen Umstände habe ich gedacht, dass es vielleicht ganz gut ist, wenn ich Ihnen die erste Woche im Voraus bezahle.“

      Eden wurde ganz warm ums Herz bei so viel Umsicht, und sie sagte: „Vielen Dank, das ist wirklich nett von Ihnen.“

      „Anscheinend muss ich aufstehen und mir mein Strickzeug selbst holen!“, rief Miss Trudy in diesem Moment.

      Beau grinste Eden an und sagte: „Das ist mein Stichwort.“

      Als er weg war, flitzte Eden ins Wohnzimmer und fand dort den Strickkorb mit einem gerippten, blaugrauen Strickzeug. Sie brachte ihn Miss Trudy, die das Strickzeug nahm und wortlos zu stricken begann.

      Micah hatte inzwischen aufgehört zu malen und schaute sich einen Zeichentrickfilm im Fernsehen an. Nachdem Eden Miss Trudy versorgt und im Haus für Ordnung gesorgt hatte, kümmerte sie sich um das Abendessen. Sie schaute ins Tiefkühlfach und fühlte sich völlig überfordert. Sie hatte gehofft, dort etwas Einfaches zu finden, etwas in einer Packung mit einer Gebrauchsanweisung auf der Rückseite, aber es gab nicht ein einziges Fertiggericht, sondern nur tiefgekühlte Hähnchenbrüste und Hackfleisch. Sie hatte keine Ahnung, was sie damit anstellen sollte.

      Sie hatte sich eigentlich immer gewünscht, Kochen zu lernen, und nach ihrer Heirat mit Antonio hatte sie sich vorgestellt, ihm jeden Abend ein viergängiges Candlelight-Dinner zu servieren, aber davon hatte er nichts wissen wollen. In der Welt, in der er lebte, war das nicht die Aufgabe einer Ehefrau. Dafür hatte man Personal. Das Äußerste, was sie in dieser Beziehung hatte erreichen können, war, ihm nach Micahs Geburt auszureden, eine Nanny einzustellen.

      Als sie Miss Trudy gefragt hatte, wo ihre Kochbücher wären, hatte die Frau nur laut und spöttisch gelacht und dann gesagt: „Richtige Köche brauchen kein Rezept.“


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