Wie Schneeflocken im Wind. Denise Hunter

Wie Schneeflocken im Wind - Denise Hunter


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schob Micah vor sich her und flüsterte: „Lauf, Micah! Lauf schnell und bleib nicht stehen!“ Sie schaute der kleinen Gestalt nach, bis sie im Schatten des Waldes verschwunden war.

       Bitte, Gott!

      Hinter ihr rüttelte jemand am Türknauf der Vordertür. Sie wirbelte herum und starrte in die Dunkelheit. Sie hatte zwar abgeschlossen, aber das nützte jetzt gar nichts, weil ja das Fenster daneben eingeschlagen war. Sie tastete nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte, und erinnerte sich an die rostige alte Schaufel, die sie in einer Ecke gesehen hatte.

      In dem Moment, als sie nach der Schaufel griff, ging die Tür auf, und dann hörte sie hinter sich Schritte.

      Bitte!, flehte sie, tastete im Dunkeln herum und stieß dabei Sachen um, die polternd zu ihren Füßen auf dem Boden landeten.

      Sie packte den stabilen Holzgriff der Schaufel genau in dem Moment mit beiden Händen, als jemand sie von hinten umklammerte, sodass sie ihre Arme nicht mehr bewegen konnte. Doch sie trat mit aller Kraft nach hinten und traf ein Schienbein. Auch den Fußrücken des Eindringlings versuchte sie zu treffen, verfehlte ihn aber, und sein Griff wurde so fest, dass es wehtat.

      „Schluss jetzt!“, sagte er. „Hör sofort auf damit!“

      Sie schlug daraufhin mit der Schaufel nach hinten auf seine Beine, und es war ein dumpfer Aufprall zu hören, als sie traf.

      Er stöhnte laut auf, ließ sie aber trotzdem nicht los. „Ich habe gesagt, dass du aufhören sollst.“

      Doch sie musste weiterkämpfen, denn jede Sekunde, die sie hier durchhielt, bedeutete mehr Zeit zum Weglaufen für Micah. Sie erinnerte sich jetzt an ihr Training mit Walter, beugte sich einmal kurz vor und ließ dann ihren Kopf so schnell und heftig, wie sie konnte, nach hinten schnellen.

      Wieder stöhnte der Mann hinter ihr laut auf, als sie ihn traf, aber auch an ihrem Hinterkopf explodierte jetzt förmlich ein Schmerz. Sie drehte und wand sich, und das Adrenalin in ihrem Blut verlieh ihr ungeheure Kräfte, doch es gelang ihr trotzdem nicht, sich aus seiner eisenharten Umklammerung zu befreien.

      Er hob sie mit beiden Armen hoch, sodass sie keinen Bodenkontakt mehr hatte, und sie trat und wand sich, während er mit ihr vorwärtsging. Irgendwann stand sie dann mit dem Gesicht zur Wand, und das rohe Holz schnitt ihr in die Wangen.

      „So, es reicht jetzt! Verhalte dich ruhig, oder ich rufe die Polizei!“, hörte sie ihn sagen.

      Diese Worte sorgten dafür, dass sie sich auf der Stelle beruhigte. Ihr Atem ging stoßweise, ihre Lunge brannte, und irgendetwas an der Wand bohrte sich zwischen ihre Rippen.

      Ganz langsam ließ er sie mit einem Arm los, als traue er dem Frieden noch nicht so recht. Sie spürte seinen Atem an ihrem einen Ohr und seine stoppelige Haut wie Schmirgelpapier an ihrer. Sie hörte ein leises Klicken, und die trübe Glühbirne ging flackernd an. Eden schloss die Augen und betete.

      Beau hatte sie an ihrer Jacke gepackt, damit sie ihm nicht entwischen konnte, während er das Licht einschaltete. Der Größe nach zu urteilen, hatte er da irgendeinen Jugendlichen auf Abwegen erwischt, der außerdem auch noch ziemlich rauflustig war, das musste Beau schon sagen.

      Die Hände des Jungen hielten immer noch den Schaufelstiel fest, aber Beau sagte mit zusammengebissenen Zähnen: „Jetzt lass schon endlich los!“, und entriss dem Jungen die Schaufel, die daraufhin polternd zu Boden fiel.

      „So, du kleine Ratte, was glaubst du eigentlich …“, dabei drehte er den Jugendlichen mit einem Ruck zu sich herum, und seine Worte erstarben ihm auf den Lippen. Unter dem verbogenen Schirm der Baseballkappe hervor schauten ihn weit aufgerissene hellbraune Augen an – braune Augen, die er kannte: die braunen Augen einer Frau.

      Er trat einen Schritt zurück, ließ die Hände sinken und sagte völlig entgeistert: „Ach … Sie sind das. Ich … Mist … sind Sie verletzt?“

      „Es tut mir leid!“, sagte sie mit panischem Blick. „Ich verschwinde auch sofort.“

      Als sie jetzt an die Wand gekauert dasaß, schaute er ihr ins Gesicht, dachte daran, wie fest er sie angepackt hatte, und ihm wurde ganz anders.

      „Moment mal!“, sagte Beau plötzlich und schaute sich in dem Raum um. „Wo ist denn Ihr Sohn?“

      Als sie daraufhin zur Hintertür hinaus in den Fichtenwald rannte, hatte er das Gefühl, dass sie einfach weiterrennen würde, wenn sie ihr Kind gefunden hatte.

      „Jack“, rief sie. „Es ist alles in Ordnung, Jack.“

      Beau lief hinterher und schaltete die Taschenlampenfunktion seines Handys ein. Der eisige Wind blies durch seine Jacke hindurch und brannte auf seinen Wangen. Jedenfalls war es kein Abend, an dem man sich gern im Freien aufhielt.

      Warum sie wohl in dem Schuppen gewesen war? Vielleicht hatte sie vorgehabt, ihn zu bestehlen. Oder sie hatte einfach nicht gewusst, wohin. Aber gab es so etwas überhaupt? Und dann noch bei jemandem wie ihr mit dem hellblonden Haar und dem Engelsgesicht?

      Das Licht seiner Handylampe leuchtete jetzt vor ihm zwischen den Bäumen hindurch, und er sah die Mutter und ihr Kind. Sie kauerte neben ihrem Sohn, dessen Hose bis zu den Knien durchnässt war von Schnee, hielt ihn fest im Arm und murmelte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Dabei streichelte sie ihm die ganze Zeit sein nasses Gesicht.

      Mit Panik im Blick zeigte der Junge zurück in Richtung des Schuppens, und seine Mutter schien seine Gesten auf Anhieb zu verstehen.

      „Keine Sorge, mein Schatz, wir gehen noch einmal zurück und holen deinen Teddy“, sagte sie. Dann stand sie auf und erklärte Beau mit zittriger Stimme: „Er hat seinen Teddy dagelassen, den braucht er unbedingt. Ich gehe ihn holen, ja?“

      „Ja, natürlich“, sagte Beau, und als er ihnen dann folgte, gingen ihm tausend Fragen durch den Kopf. Wieder beim Schuppen angekommen, sprach er die wichtigste davon aus.

      „Was machen Sie eigentlich hier?“, fragte er, und der pochende Schmerz in seiner Nase bewirkte, dass die Frage heftiger herauskam, als er beabsichtigt hatte.

      Der Junge hob seinen Teddybären vom Boden auf und drückte sich dann wieder ganz fest an seine Mutter.

      Sie legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: „Es tut mir leid. Das mit dem Fenster tut mir wirklich leid. Ich bezahle es, sobald ich kann. Versprochen. Wir wussten nur nicht, wohin.“

      Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte dann: „Aber hier können Sie nicht bleiben.“

      „Vielleicht nur diese Nacht? Bitte … Wir machen auch wirklich keinen Ärger …“

      „Das habe ich doch gar nicht gemeint. Wir haben minus fünf Grad, und die Temperatur sinkt weiter. Es gibt hier keine Heizung, kein fließendes Wasser … Gibt es jemanden, den ich für Sie anrufen könnte?“

      „Nein, es gibt niemanden. Wir sind allein, und wir kommen auch zurecht. Ich … also wir brauchen nur einen Platz zum Schlafen. Nur für heute Nacht. Das hier genügt uns. Es ist sogar mehr, als wir brauchen.“

      Er wusste natürlich nicht, wie sie sonst lebte, aber der Schuppen hier genügte jedenfalls nicht – nicht einmal in den milden Sommermonaten hier in der Gegend, und schon gar nicht mitten im Winter.

      Er kratzte sich im Nacken und packte dann mit einer Hand eine dicke Haarsträhne am Hinterkopf. „Bei mir im Haus ist zurzeit gerade ein Zimmer frei. Meine Tante ist nicht zu Hause und …“

      „Nein. Nein. Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen, aber …“

      Dass sie einen Rückzieher machte, sah er schon an ihrem Blick, bevor dann ihr Körper folgte.

      „Wir machen uns lieber wieder auf den Weg. Wir …“

      „Wohin wollen Sie denn? Es ist beinahe Mitternacht, und alles hat geschlossen. Kennen Sie denn jemanden in der Stadt?“

      „Nein,


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