Tödliche Offenbarung. Cornelia Kuhnert
auf den Platz.«
»Das geht nicht«, presst Martha zitternd heraus.
|24|Wilfried Dreyer starrt sie ungläubig an und geht weiter.
Martha breitet ihre Arme aus wie das Berliner Ampelmännchen bei Rot und verbaut ihm den Weg.
»Na, hören Sie! Lassen Sie mich jetzt bitte in den Caddyraum. Ich möchte meine Sachen holen.« Sein Tonfall hat die freundliche Sonntagsstimmung verloren. Er ist gekommen, um Golf zu spielen und davon lässt er sich nicht abhalten.
»Das geht nicht.« Martha sieht sich hilfesuchend nach Trixi und Roswitha um, doch die starren nur zum Schuppen, ohne sich zu regen.
»Was soll der Blödsinn? Ich will jetzt in den Caddyraum …«
»Bleiben Sie stehen!« Martha stellt sich ihm erneut in den Weg. »Da hinten …«
»Erlauben Sie mal, junge Frau, was ist das für ein Ton?«, unterbricht er sie aufgebracht. »Ich bin seit Jahren Mitglied in diesem Club, aber so etwas ist mir noch nie passiert.«
»Das geht nicht. Bitte bleiben Sie stehen bis die …«
»Was reden Sie da für einen Unsinn!« Wutschnaubend macht Dreyer einen Schritt auf das Caddyhaus zu, aber Martha stellt sich ihm erneut in den Weg.
»Stopp! Die Spuren dürfen nicht verwischt werden.«
In diesem Moment kommt Uwe Zwingel von der Driving Range und nähert sich gemächlich der Gruppe.
»Was gibt es denn?« Sein jovialer Ton beruhigt Dreyers Gemüt augenblicklich.
»Uwe, gut, dass du da bist. Diese Frau da, die redet wirres Zeug.«
Der Trainer verzieht das Gesicht. Schon wieder die Landeck. Hoffnungsloser Fall. Der erste gute Golfschlag ihres |25|Lebens – und schon ist er ihr zu Kopf gestiegen. Manche sollten es einfach sein lassen.
»Frau Landeck, nun machen Sie bitte Platz. Bei diesem herrlichen Sommerwetter …«
In diesem Moment fährt der Einsatzwagen mit Blaulicht über den Fußweg zum Caddyhaus.
Ein Blick hinter den Schuppen reicht Streuwald, um zu wissen, dass sie keinen Notarzt mehr zu rufen brauchen. Der Mann auf der Bank ist tot, und nicht erst seit ein paar Minuten. Ohne eine Gefühlsregung zu zeigen, mustert Streuwald das Gesicht des Mannes. Er ist mindestens vierzig, vielleicht sogar fünfzig Jahre alt. Seine groben Gesichtszüge sind bläulich verfärbt. Blut ist nicht zu sehen, aber die dunklen Flecken am Hals sprechen eine deutliche Sprache.
Streuwald dreht sich zu Borgfeld um und ruft: »Dieter, ruf in Hannover an. Das hier übersteigt unsere Zuständigkeit.«
6
Sonja Borgfeld öffnet die Tür des backsteinernen Reihenhauses in Burgdorf.
»Du?«
Überrascht mustert sie Felix. Die beiden sehen sich sonst nur selten. In der Pausenhalle des Gymnasiums, im Politikkurs oder bei den Treffen im Dorfkrug. Dort sitzt er stets in der letzten Reihe und sagt nichts. Trotzdem ist er mit seinen dunklen Locken nicht zu übersehen.
|26|»Die haben schon ihre Fahne gehisst«, sagt Felix, außer Atem vom Sprint auf dem Fahrrad.
»Woher weißt du das?«
»Ich war draußen.« Felix lächelt Sonja stolz an. Mein Name ist Bond, Felix Bond. Er hatte getan, was getan werden musste. Seine Angst ist längst vergessen.
»Komm ins Haus«, murmelt Sonja. Ich habe gerade einen Tee gekocht.
Zufrieden hält Felix wenig später eine heiße Tasse Tee in der Hand, obwohl er lieber eine kalte Cola getrunken hätte. Immerhin steht er neben Sonja in der Küche, kann sie ansehen, mit ihr reden.
»Mit wem warst du da?« Sonja trinkt den grünen Tee in kleinen Schlucken
»Mit keinem.«
»Du warst da allein?« Beunruhigt flattern Sonjas Augen hin und her. »Wir haben gestern gesagt, dass niemand alleine zu denen gehen soll.«
Felix sieht sie überrascht an. »Wir haben aber auch gesagt, dass wir irgendwas unternehmen müssen, dass man nicht immer nur reden und lamentieren kann. Du vorneweg.«
Stimmt. Sie ist es gewesen, die alle angestachelt hat, endlich etwas zu tun. Seit zwei Monaten gibt es jeden Freitag im Nebenzimmer des Dorfkruges diese Treffen: Einziges Thema ist das ehemalige Landschulheim hinter dem Segelflughafen, das in ein Schulungszentrum für die Partei der »Aufrechten Deutschen« umgewandelt werden soll. Sonja selbst geht die Idee mit den Mahnwachen nicht weit genug, aber immerhin soll der Protestauflauf schon Sonntag losgehen.
»Hier.« Felix schaltet seine Digitalkamera an und hält sie |27|Sonja hin. »Überspiel das auf deinen Rechner, vielleicht können wir damit etwas anfangen.«
»Komm mit in mein Zimmer.«
Bücher stapeln sich in der einen Ecke von Sonjas Zimmer, getragene Anziehsachen in der anderen. An den Wänden hängen Fotomontagen mit Bildern ihrer Freundinnen, Werbezettel und alte Eintrittskarten. Das Bett ist nicht gemacht, der Papierkorb quillt über. Auf dem verstaubten Schreibtisch stapeln sich Hefte, CDs und DVDs. Sonjas Zimmer besticht wie immer durch Chaos. Alle Versuche ihrer Mutter, eine Ordnung herzustellen, sind in den letzten Jahren gescheitert. »Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen.« Mit solchen Antworten treibt Sonja ihre Mutter an den Rand des Wahnsinns. »Manches wächst sich von alleine aus«, ist deshalb seit Monaten die stumme Durchhalteparole von Maria Borgfeld.
Sonja drückt auf den Startknopf ihres Rechners und schiebt einen zweiten Stuhl vor den Schreibtisch.
»Das dauert noch einen Moment, der Computer braucht immer ewig.«
»Ich hab Zeit.« Felix sieht Sonja direkt in die Augen. »Sind ja Ferien.«
Sonja senkt verlegen den Blick und sucht in der Schreibtischschublade nach dem Überspielkabel, von dem sie genau weiß, dass es hinter dem Stapel alter Zeitungen liegt. Als die Röte in ihrem Gesicht verflogen ist, zieht sie es dort hervor.
»Da ist es.«
Sie hält das Kabel mit einer triumphierenden Geste hoch.
»Dann leg mal los.« Ihre Stimme strahlt wieder ihre gewohnte Selbstsicherheit aus.
Auf dem Monitor erscheint kurz darauf das erste Bild. Vor |28|dem Flachdachgebäude flattern zwei Reichskriegsfahnen mit schwarzem Kreuz, in der Mitte ein Kreis mit Reichsadler, in der linken oberen Ecke das Eiserne Kreuz auf schwarz-weißrotem Hintergrund. Das nächste Bild zeigt den Blonden mit der 18 auf dem Rücken. Er spritzt mit einem Hochdruckreiniger die offene Ladefläche eines dunkelgrünen Autos ab. Ein Klick und der Blonde steht mit einem anderen rauchend vor der Tür.
»Die haben die ganze Zeit miteinander geredet. Sah fast aus wie ein Streit.«
»Konntest du was verstehen?«
»Nein, so dicht habe ich mich nicht herangetraut.«
Nicht herangetraut. Schon als Felix die ersten Worte sagt, würde er sich am liebsten ohrfeigen.
»So gegen halb zehn kam dieser Wörstein heraus und sagte etwas zu denen. Sah aus wie ein Befehl. Plötzlich hatten sie es ganz eilig. Die beiden sprangen in den Wagen und fuhren davon.«
»Schade, dass du nicht mehr verstanden hast.« Ihr Mundwinkel zuckt enttäuscht. »Vielleicht wüssten wir dann, was die vorhaben.«
Felix zoomt den Jungen heran, der das Auto gewaschen hat. Die Ärmel seines Sweatshirts sind hochgeschoben, auf dem Unterarm kann man eine Tätowierung erkennen. Ein roter gerader Strich von ungefähr zehn Zentimetern Länge mit jeweils einem Haken oben und unten.
»Sieht aus wie ein Angelhaken«, murmelt Felix und betrachtet das Foto genauer. »Siehst du das?«
Sein Zeigefinger deutet auf das Gesicht des einen Jungen.
Sonja kommt dichter an den Monitor