Die Tote hinter der Nightwood Bar. Katherine V. Forrest
Vorhängen verhangenen Fenster hoch und wies dorthin. »Wen haben Sie dort eingesetzt, Fred?«
»Davis und Ploski.«
»Nehmen Sie jeden verfügbaren Polizisten, den Sie entbehren können. Ich bin sicher, die lassen eine Durchsuchung zu. Sie sollen jeden, den sie finden können, befragen. Ein Motel und Sonntagabend – da reisen die Leute ab. Holen Sie sich ihre Adressen. Und vergessen Sie auf keinen Fall die Zulassung jedes einzelnen Wagens hier auf dem Parkplatz und unten in der La Brea Avenue festzustellen. Und die Gästeeintragungen vom Motel, die können wir auch brauchen.« Zu Taylor sagte sie: »Fangen wir an, bevor die vom Labor sich auf alles stürzen.«
Sie malte rasch eine Skizze von dem Rechteck in ihr Notizbuch, markierte die Position von Müllcontainer, Bus und Leiche. Dann notierte sie ihre und Taylors Ankunftszeit, 19.30 Uhr, und das Datum, 16. Juni 1985, und die ungefähre Temperatur, 23 Grad.
Kate und Taylor gingen an den Schaulustigen vorbei, die vor ihnen zurückwichen, als hätten sie Angst, sich anzustecken, und folgten dem gelben Band bis zum anderen Ende des Rechtecks. Kate betrat es zuerst, Taylor wartete auf ihr Zeichen. Sie bewegte sich in gerader Linie vorsichtig auf den VW-Bus zu und studierte bei jedem Schritt sorgfältig den Boden.
Der Parkplatz war ungewöhnlich sauber. Ein paar Fetzen Einwickelpapier vom Imbissstand klebten am Zaun, aber das meiste war vom Hang herabgeweht worden – Blätter, Tannennadeln, kleine Zweige, die die Windböen zu Mustern zusammengeweht hatten. Sie bückte sich mehrfach, um die Zigarettenstummel und Streichhölzer zu begutachten, die auf dem Asphalt festklebten und ihrem verrotteten Aussehen nach bereits mehrere Tage alt waren. Der oder die Mörder hatten irgendwo ihre Unterschrift hinterlassen – alle Mörder taten das; allerdings, dachte Kate, würde sie die kaum hier draußen frei herumliegend finden.
Als ihr Blick ein paar Flecken folgte, die wie gewöhnliche Ölspuren auf Asphalt aussahen, blieb er plötzlich an einem Paar starrer, silberblauer Augen hängen.
Dory Quillins Gesicht war bleich wie Wachs, umrahmt von weißblondem, feinem Haar, das sich leicht im Abendwind bewegte. Das zart geformte Gesicht, der kleine, sanfte Mund erinnerten Kate an die zerbrechliche Vollkommenheit kindlicher Gesichtszüge. Aber es waren die weit aufgerissenen silberblauen Augen, die Kate gefangen nahmen; sie starrten zu ihr hoch, flehentlich und voller Bestürzung.
Kate riss sich von dem Anblick los. Sie fasste sich wieder, sagte sich, dass Gesichtszüge im Augenblick des Todes in jeder Form erstarren konnten, und führte die Untersuchung der Ölflecken zu Ende. Sie achtete sorgfältig darauf, wohin sie ihre Füße setzte – ein notwendiges Vorgehen zur Spurensicherung und Sammlung von Beweismaterial –, dann blieb sie vor der Leiche stehen.
Die weiße Kleidung bestand aus einem Baseballtrikot mit einem schwarzen Streifen entlang der Hosennähte; das Oberteil trug vorne keinerlei Beschriftung. Beide Arme waren ausgestreckt, die Beine angewinkelt, wobei die Spikes fest im Boden steckten; es sah aus, als wäre Dory Quillins letzte Tat der Versuch gewesen, sich aufzurichten und nach ihrem Mörder zu greifen. So, mit ausgestreckten Armen und diesem ungläubigen Ausdruck in ihrem Gesicht, war sie dann gestorben …
Ein Kind, hatte Hansen in seiner unbeholfenen, unfreiwilligen Trauer gesagt. Die weiße Kleidung fügte ihrer Jugend und Schönheit das Symbol der Unschuld hinzu. Und ihre ausdrucksvollen Augen sagten Kate, dass sie den an ihr begangenen Verrat nicht begreifen konnte.
In vorsichtigem Abstand ließ sich Kate auf ein Knie nieder. Dory Quillins Gesicht war zu drei viertel sichtbar, die Wunde an der linken Kopfseite war zum Teil verdeckt, aber die dunkle Lache unterhalb der zum Boden geneigten Stirnhälfte wies nur allzu deutlich auf sie hin. Kate brauchte nicht alles von der Wunde zu sehen, um zu wissen, wie sie aussah – die geschwollenen Ränder, das mit Blut vollgesogene, schwarze Gewebe drumherum.
Kate zwang sich dazu, den Körper zu untersuchen; alles in ihr drängte danach, sich vorzubeugen und diese ungläubigen silberblauen Augen zu schließen. Am Körper befanden sich, soweit sichtbar, keine weiteren Prellungen, und das Baseballtrikot war unbeschädigt; offensichtlich war gegen Dory Quillin keine zusätzliche Gewalt ausgeübt worden. Sie trug eine Digitaluhr mit Plastikarmband am Arm – höchstens ein paar Dollar wert, schätzte Kate – und einen Ring am kleinen Finger. Da beide Handflächen nach oben zeigten, konnte Kate nicht erkennen, ob der Ring einen wertvollen Stein hatte. Die kurze Halskette war aus Gold. Kiefer und Nacken, wo die Leichenstarre gewöhnlich als Erstes einsetzte, waren noch weich und biegsam. Die Hautoberfläche war zu wenig sichtbar, um verräterische bläuliche oder rötliche Stellen auszumachen, aber eine Leichenblässe schien unwahrscheinlich.
Hansen hatte recht – der Mord war erst vor kurzem passiert. Der Mörder dieser Kindfrau konnte nicht allzu weit entfernt sein. Vielleicht war er sogar hier, mitten in der Menge begierig starrender Gesichter auf der anderen Seite des Parkplatzes. Während sie die Gesichter studierte und in ihr Gedächtnis eingrub, gab sie Taylor ein Zeichen, zu ihr herüberzukommen. Sie würde Shapiro, der jeden Moment auftauchen musste, anweisen, einige Aufnahmen von ihnen zu machen, wenn er die Umgebung fotografierte.
Sie sah, wie Taylor ihrem Weg folgte, seine großen, plumpen Füße vorsichtig platzierte und das Gelände, das sie bereits untersucht hatte, pflichtgemäß einer zweiten Prüfung unterzog. Dann beobachtete sie ihn dabei, wie er auf Dory Quillin hinabsah, und wie er seine wulstigen Lippen aus- und einstülpte. Normalerweise fühlte sie sich von Taylors Galgenhumor angesichts des Todes nicht übermäßig abgestoßen; er lenkte ab, milderte etwas die Grausamkeit und Anspannung. Hätte er jedoch jetzt einen seiner schaurigen Witze zum Besten gegeben, sie hätte ihn, so schwor sie sich, für immer gehasst.
Er sah wortlos zu ihr auf, und in seinen milden braunen Augen spiegelte sich Trauer wider.
Leise sagte sie: »Wir sollen alle Gottes Kinder sein. Sie zumindest sieht aus wie eins.«
»Wir sind alle Gottes Arschlöcher«, sagte er knurrend. »Sonst würden wir nicht solche Scheiße bauen.«
Sie wandte sich dem Bus zu. In seinem Schatten lag ein Aluminiumschläger. Sie betrachtete den glatten Metallgriff. Auf einer solchen Oberfläche könnten sich Fingerabdrücke einprägen. An diesem Mord waren möglicherweise mehrere Personen beteiligt gewesen, aber nur eine Person hatte den Schlag ausgeführt. Andererseits war dieser Schläger durch viele Hände gegangen, bevor er zu einer Mordwaffe wurde. Trotzdem, es war nicht hoffnungslos.
Die beiden Detectives machten sich mehrere Minuten lang Notizen; Kate hielt in allen Einzelheiten Lage und Aussehen des Körpers fest, den Zustand der Kleidung, Größe und Form der Blutlache, den Gerinnungsgrad des Blutes sowie ihren Gesamteindruck.
Sie näherte sich vorsichtig dem Schläger und blieb in einem zweckmäßigen Abstand vor ihm stehen; Taylor hockte sich breit neben sie. Der blanke Schläger war an einem Ende dunkel befleckt; an den verschmutzten Stellen klebte etwas Dreck.
Taylor wies mit dem Finger darauf. »Sieht aus, als sei er fallen gelassen worden, vielleicht genau hier – das da könnte die Aufschlagstelle am Boden sein, ein Blutfleck. Dann ist er hierhin gerollt.«
Kate sah sich den Schläger, den Bus und die Lage der Leiche genau an. »Möglich. Vielleicht wurde er aber auch geworfen. Und ist dann vom Bus abgeprallt und hierher zurück.«
»Dann müsste es eine Delle im Bus geben – nicht, dass die weiter auffallen würde. Aber das hätte einen höllischen Lärm gemacht, und das hätte jemand hören müssen.«
»Vielleicht hat das ja jemand.« Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass der Mörder den Schläger einfach fallen gelassen hatte und geflohen war. Sie sah sich den Tatort erneut genau an. »Sie muss wie ein Stein hingefallen sein bei einem solchen Schlag. Nach den Blutspuren zu urteilen, hat sie sich kaum bewegt.« Kate holte mit dem Arm aus. »Ich würde sagen, der Mörder stand ungefähr hier.«
Taylor stand auf. »Angesichts der Wunde links haben wir es mit einem rechtshändigen Schläger zu tun.«
Sie hätte ihm vergeben, wenn er zur Demonstration nicht ein paarmal mit einem unsichtbaren Schläger ausgeholt hätte, wenn er nicht gegrinst hätte. Fünf Minuten, Taylor konnte Dory Quillin nicht mehr als fünf Minuten ihre Würde lassen. Sie