Bonzentochter. Michaela Martin
Ich bin seit fünf Jahren mit Klaus zusammen und bis heute immer treu gewesen. Dazu hat mich meine Mama erzogen und so soll es auch bleiben, selbst wenn es ab und zu schwerfällt.
Sollte ich mit Klaus zusammenbleiben, steht zu befürchten, dass ich in einem der wichtigsten und vor allem aufregendsten Bereiche meines Lebens weit unterdurchschnittlich bleibe. Ich habe es immer gehasst, Mittelmaß zu sein, musste aber lernen, es zu akzeptieren. Damit habe ich mich inzwischen abgefunden, alles andere wäre lächerlich. Aber muss ich denn wirklich in Sachen Liebeserfahrung unter dem Durchschnitt bleiben? Das wäre doch zu ärgerlich!
Schluss mit trüben Gedanken, egal ob Durchschnitt oder nicht, heute Abend heißt mein Traummann Klaus, alles Weitere ergibt sich später.
Meine Freundin Karin leistet in diesem Bereich weit Überdurchschnittliches, so viel steht heute schon fest. Auf ihren Neuen bin ich schon sehr gespannt, obwohl sie immer demselben Beuteschema erliegt und ihre Männer alle aussehen wie die kleinen Brüder von Alain Delon, was ja grundsätzlich für einen guten Geschmack spricht.
Wir müssen morgen unbedingt mit den beiden ins Kino gehen. Wenn ich richtig nachrechne, geht Karin jetzt schon fünf Wochen mit Toni. Wie ich das Tempo meiner Freundin kenne, neigt sich der erst Liebesrausch auch schon wieder dem Ende zu. Es besteht die Gefahr, dass Toni morgen schon wieder Geschichte ist, und zwar bevor ich seine Bekanntschaft gemacht habe. Das wäre wirklich schade, denn ich habe den Ehrgeiz, jeden Lover meiner Freundin mindestens einmal zu sprechen. Schon um mir die Frage beantworten zu können, ob ich mit meiner spießigen, monogamen Beziehung mit Klaus Wesentliches verpasse. Bisher kommt noch kein Neid auf, aber man weiß ja nie, wen Karin noch anschleppt.
Ich habe Durst und gehe zurück in die Küche, um eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank zu nehmen. Vergeblich suche ich ein Wasserglas im Küchenschrank. Kurzfristig bin ich versucht, aus der Flasche zu trinken, eine kleine Schwäche aus meiner Singlezeit. Aber die ist ja nun vorbei, inzwischen bin ich ja eine Art Mutterersatz und muss Vorbild für meine kleine Schwester sein.
Seitdem ich in einer Wohngemeinschaft lebe, habe ich mir angewöhnt, aus einem Glas zu trinken, in der stillen Hoffnung, dass es meine Mitbewohner mir gleichtun. Ich liebe sie zwar beide sehr, aber der Gedanke, dass wir alle drei abwechselnd an ein und derselben Mineralflasche nuckeln, ist mir zuwider. Doch auch in der Spülmaschine werde ich nicht fündig. Das Geschirr der letzten zwei Tage steht dreckig in der Maschine und verströmt einen leicht säuerlichen Geruch. Die Spülmaschine ist das einzige Luxusobjekt in unserem Haushalt und wurde ausschließlich zur Wahrung des Familienfriedens angeschafft. Den handbetriebenen Abwasch hassen wir alle drei so sehr, dass an der Spülmaschine kein Weg vorbeiführte. Wir wollten nicht riskieren, dass wir uns wegen dreckigem Geschirr ständig in den Haaren liegen. Erstaunlicherweise hat keiner ein Problem damit, das dreckige Geschirr in die Spülmaschine zu stellen und auch das Ausräumen der Maschine klappt in der Regel wunderbar. Der heutige Tag beweist allerdings, dass wir noch daran arbeiten müssen, dass sich immer auch einer finden muss, der die Spülmaschine in Betrieb setzt. Das Problem wird sich lösen lassen, da bin ich mir sicher.
Schnell schließe ich die Spülmaschinentüre wieder und vergesse spontan alle meine guten Vorsätze und mein Grauen vor fremdem Speichel. Genüsslich setze ich die kühle Mineralflasche an meinen Mund und lasse das eiskalte Wasser meinen Rachen herunter rinnen. Nachdem ich die Flasche wieder in den Kühlschrank gestellt habe, setze ich mich an den Küchentisch, um einen kurzen Blick in die Post zu werfen.
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