Polnisch mit Sahne. Christiane Zwengel
und bleich, bemühte er sich, die Fassung zu wahren. Er sei eben erst aus einem Skiurlaub zurückgekommen, habe den Brief von mir vorgefunden, gelesen und sei umgehend zu mir gefahren.
Ob ich den Vertrag schon unterzeichnet hätte, war seine erste Frage. Die zweite, ob ich den Vertrag wieder rückgängig machen könne. Ich solle bei ihm bleiben, wir könnten uns zusammen eine Wohnung suchen, Mimi sei unwichtig.
Zu spät! Zu spät! Ich schien ins Bodenlose zu stürzen, ich hatte ja keine Ahnung, dass er in den Urlaub fahren wollte, es sei eine kurzfristige Entscheidung gewesen, deshalb habe er sich nicht mehr von mir verabschieden können. Und jetzt das! Warum hatte ich ihn nicht schon viel früher um eine Entscheidung gebeten, mit ihm geredet, ihm von meinen Gefühlen erzählt? Nun war es zu spät, der Stein war ins Rollen gekommen, Wohnung gekündigt und so weiter. Ich war nie ein Mensch, der auf einem einmal eingeschlagenen Weg stehen bleibt oder Entscheidungen rückgängig macht. Es war passiert, ich stand dazu, egal wie schwer es mir fiel. Es hat halt so sollen sein. Unsere Wege würden sich trennen müssen, Fernbeziehungen führte man damals noch nicht so wie heute.
Nur eine Woche bis zum 6. Mai blieb uns noch. Dann war meine Zeit an der Uniklinik in Mainz vorbei und mein Nachmieter sollte meine Wohnung übernehmen. Ein paar Tage wollte ich noch bei meiner Freundin Sissi und ihrem Mann Werner bleiben, bevor ich für weitere zehn Tage zu meinem Vater in die Eifel fahren wollte.
So hatte ich in dieser kurzen Zeit alle Hände voll zu tun, mein ganzes Hab und Gut, welches in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung untergebracht war, musste auf ein Minimum reduziert werden, sollte doch alles irgendwie in meinem VW-Käfer verstaut werden. Dieses Unterfangen stellte sich auch als äußerst schwierig dar. Am Schluss war das Auto so voll, das ich kaum noch hinter den Fahrersitz passte und durch das Rückfenster konnte man gar nichts mehr sehen. Ich glaube, ich fuhr den ersten tiefergelegten VW-Käfer überhaupt auf meinem Weg in die Schweiz.
Es gab viele Tränen beim Abschied. Sissi und Werner organisierten noch eine Abschiedsparty für mich und alle meine Freunde kamen. Ich hätte nie gedacht, dass mir der Abschied doch so schwer fallen würde. Am schlimmsten war es natürlich für Wolfgang. Eigentlich mussten wir uns wegen eines Missverständnisses trennen. Erich und er versprachen, mich so schnell wie möglich besuchen zu kommen. Es seien bald Semesterferien, da könne man kurzfristig in Urlaub fahren. Trotz allem war ich todtraurig. Doch sobald ich im Auto eingeklemmt hinter dem Steuer saß, nahm die Vorfreude auf das Neue und Unbekannte überhand.
Auf geht’s in die Eifel zum nächsten Abschied!
Mein Vater freute sich einerseits riesig, mich mal länger als ein Wochenende bei sich zu haben. Andererseits war er auch traurig, denn die Schweiz war ja so weit. Er sagte, ich müsse seine Angst und seine Sorgen verstehen, schließlich wäre ich ja mutterseelenallein in diesem fremden Land. Ich musste hoch und heilig versprechen, mich regelmäßig zu melden und mir ein Telefon anzuschaffen, nachdem er so oft vor Sorge fast umgekommen sei, weil ich in Mainz keines gehabt hatte und mich nur sporadisch gemeldet hatte.
Somit war die Zeit bei meinem Vater zwar schön, aber auch äußerst anstrengend. Gott sei Dank konnte ihn seine Frau Hera, mit der ich mich hervorragend verstand, allmählich beruhigen. Schließlich sei ich alt genug und stark mit eisernem Willen, außerdem hätte ich ein großes Mundwerk, ich würde meinen Weg schon gehen. Mich könne man nicht unterkriegen. Oh, wie Recht sie hatte! Mein Sturkopf bestand zu 99% aus Stahlbeton, ich nahm mir immer, was ich wollte und konnte auch meinen Willen zu fast 100% durchsetzen. Und niemals, noch nie in meinem Leben habe ich eine einmal getroffene Entscheidung bereut, ich stand und stehe noch heute immer dazu. Es war damals richtig, dass ich ins Ausland gegangen bin. Abgesehen davon, man macht im Leben niemals Fehler, nur positive und negative Erfahrungen. Auch heute sage ich: „Was mich nicht umbringt, macht mich nur noch härter“. Nimm das Leben, wie es ist, und mach aus jeder Situation das Beste.
Auch die Tage bei meinem Herrn Papa neigten sich langsam aber sicher dem Ende zu. Natürlich gab es auch hier wieder Tränen, die meinerseits schnell wieder trockneten, denn mit einem Tränennebel vor den Augen fährt es sich relativ schlecht Auto. Ich musste schließlich jetzt zu meiner letzten Abschiedsstation noch eine ordentliche Strecke fahren. Es ging nach Stuttgart, wo meine Freundin Cora derzeit bei ihrem Freund Marcus Urlaub machte und das eventuelle Zusammenleben übte.
Es war der 28. April und schon am 30. sollte ich in dem kleinen Ort in der Nähe von Basel eintreffen. So kurz davor wurde mir jetzt doch langsam etwas mulmig und meine Gedanken fingen an, Achterbahn zu fahren. War alles wirklich richtig, was ich tat? Konnte, wollte ich zurück? Nee, bloß nicht! Diese Blöße würde ich mir nie und nimmer geben. Nein, die Würfel waren gefallen!
Auf nach Stuttgart.
Außerdem freute ich mich auch, Cora wiederzusehen. Bei der Abschiedsparty in Mainz hatte sie nicht dabei sein können, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits bei Marcus war.
Und es wurden noch zwei wunderschöne Tage. Wir lachten viel, tranken und weinten. Waren wir schließlich doch für ein paar Jahre richtig dicke Freundinnen gewesen, die sehr viel Spaß miteinander hatten. Aber was noch viel interessanter war, sie hatte Marcus eigentlich mir zu verdanken, denn ich hatte ihn seinerzeit quasi beim Knobeln an sie verloren. Wir hatten ihn bei einem gemeinsamen Urlaub in Südfrankreich auf einem Campingplatz kennengelernt. Leider hatten Cora und ich ihn gleichermaßen äußerst niedlich gefunden, und weil beste Freundinnen sich niemals um einen Mann prügeln, hatten wir um ihn geknobelt. Ich hatte verloren, sie gewonnen. Heute sind Cora und Marcus verheiratet und haben vier Söhne. Was aus einer Urlaubsliebe so alles werden kann!
Und dann war es so weit. Der nächste, schlimmste Abschied stand vor der Tür. Und dieser fiel mir auch am schwersten. Von nun an gab es wirklich kein Zurück mehr. Nur noch ein paar Stunden trennten mich von meinem neuen Leben. Wenn ich damals gewusst hätte, was mich erwartete, doch, ich glaube, ich wäre wieder den gleichen Weg gegangen.
Ciao Cora! Ciao Marcus!
See you later!
Dann war ich weg, die letzte Etappe. Ich musste jetzt zuerst nach Basel. Die grenzsanitäre Untersuchung stand an. Alle Ausländer, die zum Arbeiten neu in die Schweiz einreisten, mussten sich dieser Prozedur unterziehen. Es ging eigentlich nur darum, den Nachweis zu erbringen, dass man nicht an Tuberkulose oder an einer anderen ansteckenden Krankheit litt. Leider genügte selbst bei Pflegepersonal eine Bescheinigung des Haus- oder Amtsarztes vom Wohnort nicht.
Doch bevor es so weit war, musste ich zuerst mit meinem hoffnungslos überladenen Auto die Schweizer Grenze passieren. Die Überraschung des Zöllners stand ihm im Gesicht geschrieben. Da kam doch so ein junges Mädchen, immer noch total verheult, im durch die Last tiefergelegten VW-Käfer, das noch zuletzt reingequetschte Bügelbrett im Nacken, an seinem Grenzposten an. Fassungslos fragte er, ob ich Ware anzumelden oder etwas zu verzollen hätte. Meine Güte, er will doch jetzt nicht etwa, dass ich mein Auto auspacke? Ich hielt ihm Ausweis und Arbeitspapiere unter die Nase und nach eingehender Aufklärung über mein überladenes Fahrzeug ließ er mich endlich doch weiterfahren.
Nach einigem Suchen und vielem Nachfragen traf ich dann auch noch rechtzeitig vor der Mittagspause bei der grenzsanitären Untersuchung ein. Nach erfolgreicher Anmeldung hieß es erst einmal, sich in Geduld zu üben, ich war ja nicht die Einzige, die an diesem Tag eingereist war.
Aber auch die längste Wartezeit ging irgendwann vorüber und so konnte ich mich denn auch am frühen Nachmittag auf den Weg zu meinem neuen Arbeitsort machen. Meinen Abschiedsschmerz hatte ich mit dem Grenzübertritt in Deutschland zurückgelassen. Jetzt war es geschafft, ich konnte mich in eine neue, ungewisse Zukunft stürzen. Ich fühlte mich stolz, dass ich diesen Schritt gemacht hatte, und gleichzeitig war ich ein leeres Blatt, das nur darauf wartete, endlich beschrieben zu werden.
Der Sprung ins Ungewisse war getan, ein neues, mein zweites Leben sollte beginnen!
2. Der Sprung ins Ungewisse – Beginn des zweiten Lebens
Nach meiner Ankunft im Spital meldete ich mich gleich bei der Pflegedienstleitung, welche mich sehr herzlich begrüßte. Ich bekam im naheliegenden Wohnheim für Angestellte ein kleines 1-Zimmer-Appartement