Der gefesselte Dionysos. Patrik Knothe

Der gefesselte Dionysos - Patrik Knothe


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gekommen.

      „Ich auch!“, meldete sich der rothaarige Junge von vorhin und warf einen Plüsch-Clown ins Feuer.

      Daraufhin folgten ein auseinanderfallender Laster, eine Schaufel, eine dreckige Stoffpuppe, ein Tischtennisschläger, eine Quietsche-Ente, ein Auto, der Federschmuck eines Indianers und eine Plastik-Pistole. Es fing an schrecklich zu stinken und eine riesige Rauchwolke umnebelte die Kinder.

      Alle standen nun um Dionysos bis auf Apollon, einen lockigen Jungen namens Krotos, eine Gruppe von 5 Kindern, die sich um die hakennasige Blonde versammelt hatte und einen griesgrämig drein blickenden Jungen mit strengem Seitenscheitel und Cordhose. Einzig bei Krotos erscheint mir die Erwähnung des Namens wichtig. Wir werden später noch einiges von ihm hören.

      „Also wir machen bei so was nicht mit“, sagte die Blonde hochnäsig. „Ihr seid ja verrückt geworden. Los gehen wir! Wir müssten schon längst zu Hause sein.“ Sie sprang auf und die vier anderen folgten ihr.

      „Ich gehe mit ihnen“, sagte der Junge mit der Cordhose und schon war auch er verschwunden.

      Dionysos sah Krotos an. Er vermied es noch sich Apollon zuzuwenden.

      „Was ist mit dir?“, fragte er.

      Krotos malte verlegen Figuren in den Sand. „Ich würde schon gerne mitmachen, aber ich habe mein Spielzeug vergessen …“ Ein paar Kinder lachten.

      „Krotos du Trottel … mal wieder typisch!“

      Dionysos machte schon den Mund auf und wollte etwas sagen, doch Krotos sprang auf einmal auf, riss sich sein T-Shirt vom Leib und warf es ins Feuer, ganz so als wäre er gerade eine böse Krankheit losgeworden.

      „Geht das auch???“, schrie er schon fast und wartete keine Antwort ab, sondern rannte direkt in den Haufen seiner Freunde hinein, die schon allesamt in wildes Gelächter über ihn ausgebrochen waren.

      So war nur noch Apollon übrig. Abwechselnd sah er Dionysos und Sophia verständnislos an. Er hatte einen Teddybär dabei, an dem an sämtlichen Gliedern die Wolle herausquoll.

      Schließlich nahm auch Dionysos den hölzernen Weihnachtsmann dem ein Bein fehlte und übergab ihn den Flammen. Gespannt erwartete er was Apollon tun würde. Wieder waren alle still.

      „Ach was soll’s.“ Und auch der Teddybär landete im Feuer.

      Die Kinder stürmten auf Apollon zu, umarmten ihn, johlten und brüllten als gäbe kein Morgen. Sie sangen und tanzten um das Feuer. Es war ein sternenklarer Abend und der leichte Wind wehte ihre Rufe und Lieder bis in die Ohren der Rentner in Delphi, die gerade gemütlich auf der Terrasse saßen.

      „Wir sind viel mehr als ich gedacht hatte“, keuchte Dionysos fröhlich, nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. „So können wir es auf jeden Fall schaffen. Also morgen wieder selbe Zeit, selber Ort?“

      Jeder war einverstanden. „DANN BIS MORGEN!“, schrie er und alle rannten sie wie von einer blinden Kraft ergriffen unter den dunklen Bäumen hindurch nach Delphi zurück.

      Dionysos war überglücklich. Noch nie hatte er sich so lebendig gefühlt. Manch einer wird sich vielleicht darüber wundern, wie viele seiner Freunde gleich von Anfang an dabei waren, doch seien Sie ehrlich … wie schwer ist es Kinder zu Unfug anzustiften?

      X

      Als Orthos am darauffolgenden Sonntag erwachte, war er, was bei ihm eine Seltenheit war, glänzender Laune. Er hatte gestern 200 Drachmen an den Automaten gewonnen und für die nächsten Wochen sollte er keine Geldsorgen haben.

      Bis zum Mittagessen konsumierte er seine üblichen Mengen an Kaffee und Tabak, beschwerte sich danach bei seiner Schwester über das verkochte Gemüse und gab dem Hofhund für seinen Ungehorsam ein paar Tritte in die Rippen mit. Es schien ein perfekter Tag zu werden …

      Auch der übliche Spaziergang gestaltete sich äußerst unterhaltsam: Eine alte Frau wäre beinahe in einen Laternenpfahl gefahren nachdem er sie durch das Autofenster hindurch wegen Falschparkens angepöbelt hatte. Es konnte ja nicht angehen, dass die Leute ihre Autos überall abstellten wo es ihnen passte! Zwei Mal fiel ihm ein rothaariger Junge in den Gärten auf, der ihn von weitem zu beobachten schien. Doch sobald er sich zu nähern begann, verschwand das Kind.

      So musste es sein, dachte er sich. Die Jugend sollte endlich wieder Ehrfurcht vor den Erwachsenen, insbesondere vor ihm, bekommen. Bald würde er auch das Baumhaus dieser drei ungezogenen Bengel auseinander nehmen die es gewagt hatten sich mit ihm anzulegen …

      Wieder zu Hause angekommen änderte sich Orthos’ Laune jedoch schlagartig. Es war kein Bier mehr im Haus. Hatte er gestern Abend nicht noch einen halbvollen Kasten in der Küche stehen gehabt? Zuerst begann er an seiner eigenen Erinnerung zu zweifeln, die ihn in solchen Fällen des Öfteren im Stich ließ. Doch dann …

      „GALATEIA!!“

      Seine Schwester kam einen Augenblick später durch die Verbindungstüre des Hauses in seine Küche. Sie hatte dasselbe unförmige, grobe Gesicht wie ihr Bruder, war aber um einiges liebenswerter. Sie und ihr Mann hatten nie Kinder bekommen, so dass Orthos inzwischen diese Rolle in ihrer Familie eingenommen hatte.

      „Was ist denn? Schrei doch nicht gleich so!“

      „Ich schrei’ so viel ich will! Was habt ihr mit meinem Bier gemacht?“

      „Was für Bier? Niemand war bei dir.“

      „Es ist alles weg!!“

      „Du hast bestimmt wieder alles selbst ausgetrun …“

      „WAS? Der Kasten ist weg! Ich hatte einen Kasten und er ist weg. War bestimmt der andere! Sag’s! Gib’s zu!“ Mit dem anderen meinte Orthos für gewöhnlich seinen Schwager Minos, dessen Namen er nur ungern in den Mund nahm.

      „Minos ist gestern Abend früh schlafen gegangen und seit heute morgen um sechs Uhr auf dem Feld. Er hat dir bestimmt nichts weggenommen.“

      „Und wer soll’s sonst gewesen sein?“

      „Du weißt doch, dass er kein Bier trinkt.“

      „Klar, das ist immer eure Ausrede. Vielleicht will er’s mir nur wegnehmen; er gönnt’s mir nicht!“

      Plötzlich dämmerte ihm eine neue Tatsache. „Und ich kann heute nicht mal neues kaufen. Sonntag!! Alle Geschäfte geschlossen. Scheiße!!“ Er ging langsam auf seine Schwester zu. „Ihr habt doch noch irgendwo Bier, oder? Ihr habt noch welches!“ Galateia wich langsam zurück. Sie spürte, dass ihr Bruder kurz vor einem Wutausbruch stand.

      „Orthos, wir haben kein Bier … wirklich nicht … aber warte! Ja! Eine Flasche Birnenschnaps ist noch da von letztem Weihnachten.“ Orthos’ Gesicht entspannte sich etwas, aber er ging immer noch weiter auf Galateia zu.

      „Und wo?“, fragte er drohend.

      „Ich hol ihn dir gleich. Im Keller. Einen Moment.“ Sie war froh, ihren Bruder wieder beruhigt zu haben. Die Schnapsflasche ließ sie jedoch beinahe auf die Kellertreppe fallen als Orthos von Neuem zu schreien begann.

      „AUCH ALLE ZIGARETTEN WEG!!!!! Wollt ihr mich verarschen? Komm sofort her!! KOMM HER!“

      Galateia musste all ihr Können aufwenden um Orthos zu beruhigen. Sie war immer noch davon überzeugt, dass ihr Bruder das ganze Bier selbst ausgetrunken und alle Zigaretten geraucht hatte. Wahrscheinlich wollte er nur nicht wieder um Geld betteln. Unter keinen Umständen hätte sie sich jedoch getraut ihm ihre Vermutung ins Gesicht zu sagen.

      Eine geschlagene halbe Stunde brüllte er durch das ganze Haus, schmiss den Küchentisch um und zerstörte die einzige Topfpflanze seiner Wohnung. Galateia brachte ihm in weiser Voraussicht das Abendessen in seine Wohnung, so dass ihr Bruder nicht auf die Idee kam mit Minos Streit anzufangen.

      Gegen neun Uhr Abends schlief Orthos völlig benebelt in seinem verranzten Ledersessel


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